Predigt
Oktober 2021
Barmherzig
Autor: Pfarrer Gottfried Heinzmann
Eröffnung der Vesperkirche in Sigmaringen am 03.10.2021 – Gottesdienst Erntedankfest, Stadtkirche
Liebe Gemeinde,
Erntedankfest – was für ein schöner Anlass zum Start für die Vesperkirche! Der Tisch ist gedeckt. Auf dem Altar liegen Äpfel und Birnen, Kartoffeln und Rüben und über allem strahlen die goldgelben Sonnenblumen. Dankbarkeit ist angesagt. In Liedern und Gebeten. In Lesung und Predigt. Doch – wie sieht es innendrin aus? Wie sitzen wir heute hier?
»Nun preiset alle Gottes Barmherzigkeit!«, haben wir gesungen. Ganz selbstverständlich steht dieses »alle« im Gesangbuch. Dabei kann doch jeder und jede genügend Geschichten erzählen, warum dieses »alle« gerade nicht für »alle« gelten kann. Und warum solche Worte vielleicht etwas zögernd über die Lippen kommen.
Wie wir mit Dankbarkeit umgehen, das hat sehr viel mit unserer Haltung zu tun. Wie wir innerlich aufgestellt sind und auf uns selbst und die Welt blicken.
Man kann das auch an Begrüßungsritualen ablesen. Im Deutschen fragen wir: »Und – wie geht’s?« Die Antwort kann dann lauten: »Danke, soweit alles in Ordnung« – »Ach danke, geht so…« oder »Danke – ich kann nicht klagen«.
In anderen Kulturen klingt das anders. Bei den Zulu in Südafrika zum Beispiel gibt es keinen Begriff, der dem westlichen »Danke« entspricht. Wenn man gefragt wird, wie es geht, lautet die Antwort: »Siyabong-ga!« Das bedeutet: »Wir sind gesegnet!« In Sierra Leone antworten die Einheimischen: »Itemagotenke«. In dem dort gebräuchlichen Pidgin-Englisch bedeutet das: »Ich sage Gott danke!«1
Wie wir mit Dankbarkeit umgehen, das hat sehr viel mit unserer Haltung zu tun.
Mich bringen diese Antworten zum Nachdenken. Und mich beeindruckt die Haltung, die dahintersteht: Wir können dankbar sein. Wir sind gesegnet! Wir sagen Gott danke!
Genau darum geht es ja beim Erntedankfest. Dass wir uns gemeinsam auf diese Grundlage stellen: Wir verdanken unser Leben nicht uns selbst. Wir haben unser Leben nicht selbst in der Hand. Da ist jemand, der uns in seiner Hand hält. Wir können dankbar sein. Wir sind gesegnet! Wir sagen Gott danke!
Das Erntedankfest will uns beim Danken helfen. Mit Liedern und Gebeten. Mit Formulierungen, die schon Generationen vor uns zum Danken gebraucht wurden: »Alle gute Gabe kommt her von Gott, dem Herrn, drum dankt ihm, dankt! – und hofft auf ihn!«
Doch bei diesem Vergleich von Begrüßungsritualen und Erntedank, muss auch eine kritische Rückfrage gestellt werden: Manchmal bleiben wir ja bei Begrüßungen ganz bewusst an der Oberfläche. Auf die Frage »Und – wie geht’s?« wollen wir in manchen Fällen gar nicht mehr sagen als »Danke – alles okay.« Das hat damit zu tun, weil vielleicht die Zeit zu knapp ist oder wir es dieser Person nicht anvertrauen wollen.
Auf die Frage »Und – wie geht’s?« wollen wir in manchen Fällen gar nicht mehr sagen als »Danke – alles okay.«