Auf einer Fensterbank bei den Zieglerschen | Foto: Vanessa Lang

Predigt

Januar 2020

Zuversicht

Autor: Pfarrer Gottfried Heinzmann

Predigt zu Psalm 91,1-2 Am 27.01.2020 | Gottesdienst zur Amtseinführung von Markus Lauxmann als Kaufmännischem Vorstand, Wilhelmsdorf

Liebe Gemeinde,

Sind Sie gut ins neue Jahr gest­ar­tet? – Gefühlt sind wir ja schon mit­ten­drin. »Sind Sie gut bei den Zieg­ler­schen gest­ar­tet?« Diese Frage wird Herrn Laux­mann immer wie­der gestellt. Und aus mei­ner Sicht gilt für ihn genau das­selbe wie für uns im Blick auf das neue Jahr: Er ist schon mit­ten­drin. »Wel­che guten Worte und Wünsche haben Sie am Anfang mit auf den Weg genom­men?« – In einer Zeit, in der wir bei uns im Ländle, in Deutsch­land und in der gan­zen Welt vor großen Her­aus­for­de­run­gen ste­hen, brau­chen wir gute Worte und gute Wünsche.

Ich möchte Ihnen von einem guten Wort erzählen, das für die Zieg­ler­schen eine ganz beson­dere Bedeu­tung hatte und hat. Es war am Jah­res­an­fang 1873. Der deutsch-französische Krieg ist gerade vor­bei. Das deut­sche Reich wird gegründet. Das König­reich Württem­berg schließt sich die­sem unter preußischer Führung aus­ge­ru­fe­nen ers­ten deut­schen Natio­nal­staat als Bun­des­staat an. In Preußen wer­den alle Schu­len unter staat­li­che Auf­sicht gestellt.

In die­ser unru­hi­gen Zeit über­nimmt Johan­nes Zieg­ler die Lei­tung der so genann­ten »Dop­pel­an­stalt«. Die dama­lige »Taub­stum­men­an­stalt« und das »Kna­ben­in­sti­tut« hat­ten zu der Zeit ins­ge­samt 56 Schüler. Die Gebäude für Schule und Inter­nat sind zu klein und in die Jahre gekom­men. Es muss drin­gend inves­tiert wer­den.

Auf einer Foto­gra­fie von damals sieht man Johan­nes Zieg­ler an sei­nem Schreib­tisch sit­zen. Um ihn herum Bücher und Tages­zei­tun­gen. Wel­che Gedan­ken ihn wohl beschäftigt haben? Ich ver­su­che ein paar davon zu for­mu­lie­ren:

  • Wie soll das gehen? Lange können wir das Defi­zit mit der Taub­stum­men­ar­beit nicht mehr tra­gen.
  • Neu bauen? Wo sol­len wir das Geld her­be­kom­men? Wer gibt uns Kre­dit?
  • Was ist, wenn die Schul­po­li­tik sich ändert?
  • Wäre es nicht bes­ser, die Taub­stum­men­ar­beit zu been­den? &hel­lip; Dabei wol­len wir doch gerade für diese Kin­der da sein.

Beim Got­tes­dienst zum Jah­res­wech­sel gibt es hier in Wil­helms­dorf einen Brauch. Man zieht aus einer Aus­wahl von Bibel­ver­sen ein persönli­ches Jah­res­los. Die­ses gute Wort von Gott beglei­tet einen durch das ganze Jahr. Es gibt Ermu­ti­gung, Weg­wei­sung, aber auch Kor­rek­tur und Trost.

Am Jah­res­an­fang 1873 zieht Johan­nes Zieg­ler einen Bibel­vers aus Psalm 91: »Wer unter dem Schirm des Höchs­ten sitzt und unter dem Schat­ten des Allmächti­gen bleibt, der spricht zu dem Herrn: meine Zuver­sicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe.«

Die­ser Bibel­vers hilft Johan­nes Zieg­ler, sich inner­lich zu sor­tie­ren. Nicht nur die Bedro­hun­gen, die Schwie­rig­kei­ten und Risi­ken zu sehen, son­dern zu erken­nen: Ich stehe unter Got­tes Schutz und Segen. Er leiht sich diese bib­li­schen Worte für sei­nen eige­nen ange­foch­te­nen Glau­ben. Er spricht sie nach. Ver­mut­lich nicht nur ein­mal: »Du, Gott, bist meine Zuver­sicht und meine Burg. Auf dich hoffe ich!«

Und er buch­sta­biert diese Worte durch. Was bedeu­tet es, dass diese Arbeit unter Got­tes Schutz und Segen steht? Er rech­net und kal­ku­liert, bespricht sich mit ande­ren, sie über­le­gen und wägen ab. Und schließlich wagt er es, die not­wen­di­gen Neu­bau­ten anzu­ge­hen.

Dieses gute Wort von Gott begleitet einen durch das ganze Jahr.

Mich beein­druckt diese Geschichte und gleich­zei­tig for­dert sie mich her­aus: Geht das so ein­fach? Ich ziehe einen Bibel­vers und finde dann die Ant­wort auf die Fra­gen, die mich umtrei­ben? Sogar die Ant­wort auf die unter­neh­me­ri­schen oder gesell­schaft­li­chen Fra­gen, die uns alle mit­ein­an­der beschäfti­gen?

Ganz sicher geht das nicht so ein­fach. Und man würde Johan­nes Zieg­ler auch unrecht tun, wenn man meinte, das wäre bei ihm so ein­fach gewe­sen. Ich ent­de­cke aber hin­ter die­sem Bibel­vers und dem, was Johan­nes Zieg­ler damit erlebt hat, zwei ganz grundsätzli­che Fra­gen, mit denen wir auch heute inten­siv zu tun haben:

1. Woraus schöpfen wir unsere Zuver­sicht?
2. Woran ori­en­tie­ren wir uns?

Geht das so einfach? Ich ziehe einen Bibelvers und finde dann die Antwort auf die Fragen, die mich umtreiben?

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