Tanja Bräuninger (r.) und Silvia Parusel-Emmendörfer (M.) aus dem Seniorenzentrum Wilhelmsdorf mit einer Bewohnerin | Foto: Annette Scherer
Predigt
November 2018
Krankheit und Heilung
Autor: Pfarrer Gottfried Heinzmann
Predigt zu Johannes 5,1-9
Stadtkirche Biberach, 11.11.2018
Liebe Gemeinde,
wir feiern 150 Jahre Krankenpflegeverein. Was für ein schönes Jubiläum! 150 Jahre im Dienst für Menschen, die krank sind und Unterstützung brauchen. 150 Jahre Jubiläum eines ganz besonderen Vereins. Ein Krankenpflegeverein – das ist im Gegensatz zum Sportverein oder Gesangsverein ein Verein, den man im besten Fall gar nicht braucht. So wie das Krankenhaus. Den Notarzt. Oder Pflegedienst. Ein Krankenpflegeverein erinnert uns an eine Seite unseres Menschseins, die wir gerne verdrängen. An das Kranksein.
Welche Erfahrungen mit Krankheit haben Sie gemacht? Sitzen Sie gesund und munter hier in der Kirche? Oder spüren Sie gerade, dass etwas nicht stimmt? Oder waren Sie gerade beim Arzt und befinden sich aktuell in Behandlung? Wie schwerwiegend ist Ihre Erkrankung? Gibt es Aussicht auf Heilung?
Der Predigttext, mit dem wir uns heute aus Anlass des 150-jährigen Jubiläums des Krankenpflegevereins beschäftigen wollen, erzählt eine Krankengeschichte. Und auch eine Heilungsgeschichte. Ich lese den Predigttext aus dem Johannesevangelium Kapitel 5:
Johannes 5,1-9
Ich lade Sie ein, noch ein wenig in diese Geschichte einzutauchen und dabei auch einige grundsätzliche Fragen zu Gesundheit und Krankheit und unserem Umgang damit zu bedenken.
1. Der Mensch am Teich Betesda: Was ist das für ein Leben?
2. Der Besucher am Teich Betesda: Willst du gesund werden?
3. Der Ort Betesda: Was geschieht da?
Welche Erfahrungen mit Krankheit haben Sie gemacht?
1. DER MENSCH AM TEICH BETESDA
Von diesem Menschen wird nur wenig erzählt. Wir erfahren keinen Namen. Nichts über die Krankheit. Doch der eine kleine Satz löst manche Gedanken aus: »Es war dort ein Mensch, der lag 38 Jahre krank.«
38 Jahre – das wiegt schwer. 38 Jahre – es fällt schwer, sich das vorzustellen. 38 Jahre – eine unglaublich lange Zeit.
Ob man diesem kranken Menschen auch zum Geburtstag gratuliert hat? Was werden die Gratulanten wohl gesagt haben? »Alles Gute zum Geburtstag!« Und dann? »Glück und Gesundheit«? Wohl eher nicht. Verlegenes Schweigen ... Vielleicht kennen wir das. Wir wissen nicht, wie wir mit einer solchen Situation umgehen sollen.
Denn wir haben es längst verinnerlicht, was wir so nebenbei sagen. »Hauptsache gesund«. Oder: »Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts.« Der Stellenwert, den die Gesundheit bei uns heute hat, ist fast unermesslich hoch. Gesundheit ist wichtig. Gesundheit ist die Grundlage von allem. Gesundheit ist die Bedingung für ein gelingendes Leben! Wenn wir gesund sind, können wir zustimmend nicken. Wenn wir krank sind und schnell wieder gesund werden, kann sich das in einem Gedanken der Dankbarkeit äußern.
Doch diese hohe Bedeutung der Gesundheit hat auch eine Kehrseite: Sie wertet das Leben von Menschen ab, die krank sind. Laut oder leise wird die Frage gestellt: Kann man überhaupt glücklich sein, wenn man krank ist? Kann man ein gelingendes Leben führen, wenn man 38 Jahre krank ist?
Nach biblischer Überzeugung gelingt unser Leben, wenn es in Beziehung mit Gott gelebt wird. In Beziehung mit Gott, dem Schöpfer, der zu uns sagt: Dein Leben ist kostbar. Vom Anfang bis zum Ende. Kostbar. Wenn du gesund bist und wenn du krank bist. Kostbar. Weil du wertvoll bist in meinen Augen und weil ich dich lieb habe.
Auch das Leben dieses Menschen, der 38 Jahre krank war, ist also kostbar. Genauso wie das Leben jedes Menschen, dort am Teich Betesda. Und genauso wie das Leben jedes Menschen hier in der Kirche. In den Wohnungen, Häusern und Krankenhäusern. In den Einrichtungen für behinderte Menschen, Seniorenzentren und Hospizen.
Jedes Leben ist kostbar. Vom Anfang bis zum Ende.
Doch die hohe Bedeutung der Gesundheit hat auch eine Kehrseite: Sie wertet das Leben von Menschen ab, die krank sind.