»Freude schöner Götterfunken« – Singen vorm Fenster im Seniorenzentrum Wendlingen der Zieglerschen | Foto: Die Zieglerschen
Predigt
Oktober 2020
Singen gegen die Angst
Autor: Pfarrer Gottfried Heinzmann
Nachteulengottesdienst 18.10.2020, 19.00 Uhr
Friedenskirche Ludwigsburg
Das Singen fehlt – in diesen von einem Virus bestimmten Krisenzeiten. Wir wollen es trotzdem wagen, mit Abstand, mit Mund-Nasen-Schutz. Summen und singen, vielleicht auch nur hören. Denn Lieder entfalten gerade in der Krise eine besondere Kraft. Wir entdecken gemeinsam alte und neue, bekannte und unbekannte Lieder. Lieder, die tragen in schweren Zeiten.
Lied: Ich singe dir mit Herz und Mund, NE-Kombo
»Ich singe dir mit Herz und Mund«, so haben wir es gehört und vielleicht mitgesummt. Und vielleicht ging es Ihnen wie mir. Ich würde so gerne mitsingen. Und ich spüre in solchen Momenten, dass mir etwas fehlt.
Was fehlt denn, wenn ich nicht singe? Das ist gar nicht so einfach zu beschreiben. Beim Singen ist nicht nur der Kopf beteiligt. Sondern der ganz Mensch. Singen ist mehr als einen Text lesen oder eine Melodie spielen.
- Beim Singen nehme ich Worte und Töne in mich auf. Ich mache sie mir zu eigen.
- Beim Singen spüre ich eine Resonanz. Meine Stimmbänder schwingen, mein Körper schwingt mit.
- Beim Singen verändert sich meine Stimmung. Ich spüre mich selbst.
Man kann das im Fußballstadion erleben. In Nicht-Corona-Zeiten. Wenn die Fans aus Liverpool gemeinsam singen: »You’ll never walk alone«. Alle singen mit. Ob sie singen können oder nicht. Man kann das auch in der Kirche erleben. In Gottesdiensten, bei denen wir emotional in besonderer Weise beteiligt sind, spüren wie das Herz singt und springt und guten Mut hat. Man kann das auch alleine erleben. Wenn ich ein Lied höre, das gerade voll und ganz in meine Situation passt. Wenn ich einstimme und mich selbst auffordere: »Meine Seele singe, denn die Nacht ist vorbei! Mach dich auf und bringe deinem Gott Lob und Preis«.
In der Bibel – in Psalm 109 – gibt es eine etwas merkwürdige Formulierung. Da steht auf Hebräisch: »ani tefillah«. Auf Deutsch: Ich bin Klagepsalm. Also nicht: Ich bete oder singe einen Psalm. Sondern: Ich bin Psalm. Ich bin Lied.
Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr sage ich: Wenn das gemeinsame Singen im Gottesdienst gerade nicht möglich ist, will ich doch andere Wege finden, um die Kraft der Lieder zu spüren. Lieder sind mir wichtig für mein Leben und für meinen Glauben. Ich will die Kraft der Lieder spüren in diesem Leben mit Corona.
Ich will durch Lieder einer Stimmung Stimme geben.
Ich will durch Lieder deutlich machen, dass meine Hoffnung nicht verstummt ist.
Ich will in meinem Leben den Liedern Gehör verschaffen, die mich tragen.
Lied: »Meine Seele singe, denn die Nacht ist vorbei«
Lieder sind mir wichtig für mein Leben und für meinen Glauben. Ich will die Kraft der Lieder spüren in diesem Leben mit Corona.
Ich mag Liederbücher. Ich blättere gerne darin. Auch alte Gesangbücher finde ich spannend. Manche alten Gesangbücher aus dem 18. und 19. Jahrhundert tragen den Titel »Geistliches Schatzkästlein«. Ein Schatzkästlein. Wir würden das heute anders formulieren. Aber den Gedanken finde ich spannend. Welche Lieder sind für mich so wertvoll, dass ich sie in eine Schatzkiste lege? Welche Lieder trage ich in der Schatzkiste meiner Seele, weil ich sie auswendig kann?
Menschen, die schwer krank waren, berichten davon, wie wichtig solch ein Liederschatz ist. Wenn man keine Kraft zum Lesen mehr hat. Wenn man keinen klaren Gedanken mehr fassen kann. Wenn zum Beten die Worte fehlen.
Welche Verse mir wohl bleiben, wenn es ernst wird?
Hoffentlich einige Liedverse, die mir Halt und Trost geben. Und ich hoffe auch Psalm 23. »Der Herr ist mein Hirte. Mir wird nichts mangeln.« Und vielleicht genügt es dann, nur diese paar Worte zu sagen, zu beten. Immer wieder. Gegen die Angst. Gegen die Hoffnungslosigkeit. Gegen den Strudel an negativen Gedanken. »Der Herr ist ... mein ... Hirte. Mein. Hirte. »... und ob ich schon wanderte im finstern Tal fürchte ich kein Unglück. Denn du bist bei mir.« Im Vertrauen, dass daraus Zuversicht wächst: »Du, Gott, bist bei mir!«
Wir beten gemeinsam Psalm 23 und stehen dazu auf: »Ich bin in guten Händen / mein Hirte ist der Herr«
Welche Verse mir wohl bleiben, wenn es ernst wird?