die zieglerschen im lauf der zeit – tradition und erfahrung

  • Die Anfänge der Gemeinde Wilhelmsdorf


    1824

    Zehn Siedler im Moor – die Gründung von Wilhelmsdorf

    Zu einer Zeit, als das heutige Wilhelmsdorf noch ein schwarzes Schlammloch ist – gut 20 Kilometer von Ravensburg entfernt – treffen zehn Siedler aus Korntal bei Stuttgart hier ein. König Wilhelm I. von Württemberg hat ihnen auf Bitte des Korntaler Gemeindevorstehers Gottlieb Wilhelm Hoffmann ein Stück unfruchtbares Moorland aus seinem Privatbesitz geschenkt, um die weitere Abwanderung schwäbischer Pietisten zu beenden.

    Das ist 1824. Die Zugereisten sind im katholischen Oberschwaben nicht willkommen. »Ungläubige sind es, Sträflinge und Zuchthäusler«, erregen sich die Einheimischen in den Wirtshäusern: »Vor denen müssen wir uns in Acht nehmen.« Schultheiß Strobel aus der Nachbargemeinde Esenhausen höhnt: »Die sollen nur kommen. Wo ist denn schon einmal gesehen worden, dass man auf solch unfruchtbarem Land ein Dorf errichten kann. Ich versichere euch, die gehen auch wieder.«

    Die Zugereisten bleiben. Sie gründen im Moor ihre Siedlung: Wilhelmsdorf, benannt nach dem König. Der kommt gleich in den ersten vier Jahren gleich drei Mal in »sein Dorf«, um nach dem Rechten zu sehen und auch, um zu helfen. Dank seiner Hilfe gelingt es, einen »3.000 Fuß langen« Entwässerungskanal fertigzustellen. Und er stiftet auch die Orgel für den neu errichteten Betsaal.

    Namensgeber von Wilhelmsdorf: König Wilhelm I.

    »König Wilhelm war ein starker Geist. Er wußte, was er wollte, und führte auch hinaus, was er wollte. Das Lengenweiler Moosried setzte er als die Geburts- und künftige Wohnstätte für die neue Tochtergemeinde von Korntal fest.« Das schrieb Johannes Ziegler in seinem Buch »Wilhelmsdorf. Ein Königskind«. In der Tat war König Wilhelm I., der von 1816 bis 1864, also sehr lange, regierte, ein kluger Stratege und großzügiger Spender. Für die Rettungshäuser im Land - auch die in Korntal und Wilhelmsdorf - hatte er immer eine offene Hand. Andere Mitglieder des Königshauses fühlten sich später dieser Tradition verpflichtet.

  • Harte Arbeit voller Rückschläge: die Bewirtschaftung des Moores


    1827

    Gottvertrauen im unwirtlichem Moor

    Die Ansiedelung in Wilhelmsdorf ist keine »sie kamen – sahen – siegten«-Geschichte. Denn Schultheiß Strobel behält beinahe Recht: Die Siedler scheitern an der Bewirtschaftung des Moors. Zu unerfahren sind sie für die Aufgabe, zu schwierig ist die Herausforderung. Im Buch »Wilhelmsdorf. Ein Königskind«, das die Anfänge Wilhelmsdorfs beschreibt, heißt es dazu: »Es ist wahr, bittere Armut war in Wilhelmsdorf; aber die Armut wurde – man darf es wohl sagen – von allen mit gottvertrauender Geduld, mit heldenhaftem Mut und mit glaubensvollem Blick in die Zukunft getragen. Es war dürre Wüste in Wilhelmsdorf; aber das Königskind ging mit lebendigem Glauben seinen Weg …«

    Dieser Weg führt schließlich zur diakonischen Arbeit in Wilhelmsdorf: Ausgerechnet sie, die Siedler, die selbst Hilfe nötig haben, beginnen anderen zu helfen. Das ist nicht nur tiefer Ausdruck christlicher Nächstenliebe, sondern letztlich die einzige Möglichkeit, im unfruchtbaren Gelände zu überleben.

  • Bis heute in Wilhelmsdorf unverändert zu bewundern: der 1828 eingeweihte Betsaal


    1828

    Der Betsaal wird eingeweiht

    Der berühmte Betsaal, der bis heute das Ortsbild von Wilhelmsdorf prägt, wird 1828 eingeweiht. Er bildet das Zentrum des neuen Ortes, der nach einem klaren christlichen Plan aufgebaut wird. Die vier Hauptstraßen (Zußdorfer, Esenhauser, Riedhauser und Pfrunger Straße) bilden ein Kreuz. Im Schnittpunkt (also im Zentrum) befindet sich der Betsaal – die Wilhelmsdorfer Kirche. Um den Betsaal herum führt ein großer Kreisverkehr, der Saalplatz. Dort finden sich auch heute noch einige Gebäude von damals, etwa Pfarramt oder Apotheke. Auch das »Haus Salem«, lange Jahre Sitz des Vorstandes der Zieglerschen, liegt direkt am Saalplatz Nr. 4. Der ursprüngliche Stadtplan ist bis heute erhalten und macht Wilhelmsdorf so einmalig.

  • Die historische »Rettungsanstalt für arme und verwahrloste Kinder« in Wilhelmsdorf (rechts)


    1830

    Die diakonische Arbeit beginnt: Gründung der »Rettungsanstalt«

    Am 27. September 1830, dem Geburtstag von König Wilhelm I., wird die »Rettungsanstalt armer und verwahrloster Kinder« eröffnet. Dies ist die erste diakonische Einrichtung in Wilhelmsdorf (spätere Namensänderungen: Kinderrettungsanstalt, Kindererziehungsheim, heute: Hoffmannhaus Wilhelmsdorf). Wie schon die Besiedelung Wilhelmsdorfs im Jahr 1824 geht auch die Gründung dieser »Rettungsanstalt« von Korntal aus. Hier, in der Nähe von Stuttgart, hat Anstaltsgründer Gottlieb Wilhelm Hoffmann zuvor bereits in der Brüdergemeinde Korntal und auf der Schlotwiese zwei Rettungsanstalten gleichen Namens ins Leben gerufen.

    In Wilhelmsdorf werden zunächst nur elternlose Knaben aufgenommen mit dem Ziel, ihnen eine Heimat zu geben sowie Erziehung und Ausbildung zu ermöglichen. 1835 folgt der Kauf eines benachbarten Hauses in Wilhelmsdorf und der Beginn der Aufnahme von Mädchen.

    Gottlieb Wilhelm Hoffmann: Pietist und diakonischer Visionär

    Gottlieb Wilhelm Hoffmann (1777–1846) wird in Ostelsheim bei Calw geboren. Als führende Persönlichkeit des württembergischen Pietismus setzt er sich bei König Wilhelm I. für die Gründung von Brüdergemeinden ein, um die stetige Auswanderung von Glaubensgenossen nach Russland zu stoppen. 1818 kauft der Notar auf eigene Rechnung das ehemalige Rittergut Korntal und wird dort Gemeindevorsteher. Der Schutz und die Bildung von Kindern und Jugendlichen liegt ihm am Herzen, daher gründet er schon 1823 die Rettungsanstalt Korntal. Auf sein Betreiben hin wird 1824 Wilhelmsdorf als Kolonie und Tochtergemeinde von Korntal gegründet. Er prägt in beiden Gemeinden die diakonische Arbeit.

  • Blick auf die Taubstummenanstalt


    1837

    Gründung der Taubstummenanstalt

    Auf Bitte von Gottlieb Wilhelm Hoffmann, dem Gründer Wilhelmsdorfs, kommt der Taubstummenlehrer August Friedrich Oßwald 1837 nach Wilhelmsdorf. Er will eine Schule für Menschen mit Hörbehinderung gründen – die »Taubstummenanstalt«. Oßwald muss nach seiner Ankunft feststellen, dass Wilhelmsdorf mittellos ist. Dennoch baut er mit eigenen Mitteln ein Haus für 20 Taubstumme. Sein eigenes Geld ist also das Startkapital, in der Hoffnung, dass diese Anstalt bald durch Spenden und milde Gaben finanziert würde.

    Am 7. Januar 1838 nimmt der engagierte Pädagoge den ersten taubstummen Schüler auf. 19 weitere »Zöglinge« beiderlei Geschlechts folgen. Wichtig ist Oßwald, dass die Einrichtung nicht allein der »Bewahrung« der Schüler dient, sondern der umfassenden Ausbildung entsprechend ihren Möglichkeiten. Sein Ziel: »...die Zöglinge innerhalb der Zeit von 6 Jahren so weit zu bringen, dass sie sich in ihrer Muttersprache deutlich und verständlich, sowohl mündlich, als schriftlich ausdrücken können...«

    Die Gründung der »Taubstummenanstalt« ist für die damalige Zeit revolutionär. Sie markiert den Beginn der bis heute so wichtigen diakonischen Arbeit für Menschen mit Hör- und Sprachbeeinträchtigungen in Wilhelmsdorf, die Oßwald rund 35 Jahre lang prägt und entwickelt.

    August Friedrich Oßwald: Fachkenntnis und Gottvertrauen

    August Friedrich Oßwald ist 28 Jahre alt, als er nach Wilhelmsdorf kommt. Er ist examinierter Schullehrer und hat einschlägige Berufserfahrung in der Taubstummenarbeit: In den bereits bestehenden Anstalten für Taubstumme in Winnenden und Schwäbisch Gmünd hat er die damals noch ganz neue Ausbildung zum Taubstummenlehrer durchlaufen. Zeitzeugen bescheinigen dem jungen Mann große Fachkenntnis, Erfahrung, Geduld und großes Gottvertrauen. Oßwald bleibt Wilhelmsdorf sein Leben lang treu und leitet die Taubstummenanstalt und das Knabeninstitut (KI) bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1873. Mehrere Gebäude, unter anderem der Sitz des Vorstandsbüros der Zieglerschen, sowie seit kurzem eine Sprachheilschule sind nach ihm benannt.

  • Vorderansicht des Knabeninstituts


    1857

    Ausweitung der Bildungsarbeit: Das »Knabeninstitut (KI)« entsteht

    Trotz widrigster Umstände, Rückschläge und einer Finanzlage, die immer wieder »Mut zur Armut« fordert, entwickelt sich Wilhelmsdorf weiter. Am 11. April 1857 gründet August Friedrich Oßwald eine weitere Bildungsanstalt: das »Knabeninstitut«, ein Jungeninternat für nicht behinderte Kinder. Damit wird Wilhelmsdorf vollends zum »Schul- und Anstaltsdorf«, das es fast ein Jahrhundert lang ist.

    Das »KI«, wie das Knabeninstitut fortan genannt wird, muss zunächst innerhalb der Taubstummenanstalt gemeinsame Räumlichkeiten nutzen. Die Folge ist eine drangvolle Enge. Die ersten Schüler des »Knabeninstituts« kommen aus der französischen Schweiz. Sie werden nach Wilhelmsdorf geschickt, um Deutsch zu lernen. Mit der Zeit spricht sich die neue Internatsschule herum, nun verlagert sich das Einzugsgebiet auf das Rheinland, Westfalen und natürlich Württemberg. Rasch wird das »KI« zu einem bekannten evangelischen Internat. Generationen von Schülern tragen den Ruf und den Namen Wilhelmsdorfs in alle Welt.

    Im Jahr 2000 werden die Wilhelmsdorfer Internate geschlossen. Zuvor war bereits die private Oberstufe des »Knabeninstituts (KI)« an die öffentliche Hand übergangen. Damit endet die 1857 begonnene Geschichte des Wilhelmsdorfer »Knabeninstituts (KI)«. Das Gymnasium Wilhelmsdorf wächst in den Folgejahren jedoch stetig weiter.

  • Johannes Ziegler kommt als 22-Jähriger nach Wilhelmsdorf – und bleibt sein Leben lang


    1864

    Johannes Ziegler kommt nach Wilhelmsdorf

    Johannes Ziegler (1842–1907), ein junger Mann aus Heubach unter dem Rosenstein (bei Schwäbisch Gmünd), kommt als Lehrer nach Wilhelmsdorf. Der 22-Jährige hat vom Tod eines jungen Mädchens aus Wilhelmsdorf erfahren, das mit den Worten gestorben sei: »Heim, heim, heim.« So will er auch sterben können, nimmt sich Ziegler vor, und bewirbt sich um eine Stelle in Wilhelmsdorf. Hier will er für einige Zeit an der Taubstummenanstalt als Lehrer tätig werden.

    Doch das »merkwürdige Dörflein« wird ihm zur Heimat – und zur Bestimmung. Ziegler bleibt sein Leben lang. Er ist tief beeindruckt von Schulleiter August Friedrich Oßwald - von dessen Kompetenz und seinem Gottvertrauen. Johannes Ziegler wird Oßwalds Gehilfe in der Taubstummenanstalt. Später heiratet er Oßwalds Tochter Mathilde und führt dessen Arbeit in Wilhelmsdorf fort. Ziegler, der selbst kinderlos bleibt, schart bald viele »Söhne« um sich, wie er seine Schüler nennt. Er galt als reformfreudiger, innovativer Pädagoge, als begnadete Führungsfigur und als einflussreicher Prediger und Schriftsteller.

    Johannes Zieglers Leitmotiv

    Und ist auch alles wider mich, seh’ nirgends einen Ausweg ich,
    scheint in dem Werk, das mir vertraut, der Weg, das Ziel versperrt, verbaut –
    so halt ich dennoch daran fest, daß Gott sein Wort nicht fallen läßt.
    So will ich dennoch, ohne sehn, jetzt siegesfreudig vorwärtsgehn.

    Aus: Wilhelmsdorf. Ein Königskind

  • Blick ins Zimmer des Direktors der Doppelanstalt


    1873

    Generationswechsel und Investitionen

    Nach mehr als 35 Jahren an der Spitze der Doppelanstalt – »Taubstummenanstalt« und »Knabeninstitut« (KI) – tritt August Friedrich Oßwald 1873 in den Ruhestand. Er übergibt die Arbeit seinem Schwiegersohn Johannes Ziegler, dem späteren Namensgeber der Zieglerschen Anstalten. Zu diesem Zeitpunkt werden beide Schulen von insgesamt 56 Schülern besucht.

    Gleich bei Zieglers Amtsantritt sind Investitionen und Neubauten notwendig, denn der alte Oßwaldbau ist zu klein. Der neue Anstaltsleiter ist unschlüssig, ob diese aus der notorisch knappen Kasse zu finanzieren sind. Er erwägt sogar, die defizitäre Arbeit der Taubstummenanstalt aufzugeben. Doch das Neujahrslos 1873, das Ziegler gleich doppelt zieht, ermutigt ihn, weiterzumachen und zu investieren: »Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, der spricht zu dem Herrn: meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe.« So heißt es in Psalm 91, der Zieglers Gottvertrauen bekräftigt und ihn zu den kommenden Umwälzungen ermutigt.

    Die Bauarbeiten beginnen. 1879 erhält die »Taubstummenanstalt« – nach Jahren der räumlichen Koexistenz mit dem »Knabeninstitut KI« – endlich ein Haus für sich alleine. 1888 folgt mit »Haus Burg« ein zusätzlicher Erweiterungsbau für das »KI«. Er wird heute als Verwaltungsgebäude genutzt.

    Häuser und Psalmnamen

    In den folgenden Jahren werden zahlreiche Bauten errichtet und mit Worten aus den Psalmversen benannt. Auf diesem Bild sind »Haus Höchsten«, »Haus Schirm« und »Haus Schatten« zu sehen. Bis heute sind die meisten dieser Gebäude in Wilhelmsdorf zu besichtigen – auf eigene Faust oder im Rahmen eines »Wilhelmsdorfer Psalmspaziergangs«.

  • Unterricht in der Taubstummenanstalt


    1880

    Erweiterung der Taubstummenarbeit

    Mit dem Neubau der »Taubstummenanstalt« im Jahr 1879 ergeben sich neue Möglichkeiten. Die Arbeit mit geistig behinderten Taubstummen wird intensiviert, es entsteht – als erste Einrichtung dieser Art in Deutschland – eine Schule für geistig behinderte Taubstumme. Diese, für die damalige Zeit völlig neue Idee, hatte Direktor Johannes Ziegler von einer Tagung mitgebracht. Der Gedanke, dass man »normalbegabte« und »schwachsinnige« Taubstumme trennen solle, leuchtet ihm sofort ein – und er setzt ihn in Wilhelmsdorf umgehend in die Tat um. 1881 entsteht »Haus Höchsten«, ein Haus für 50 bis 60 »behinderte Taubstumme«.

    Zugleich wird die Arbeit am »Knabeninstitut« (KI) intensiviert. Hier entsteht im Jahr 1888 »Haus Burg«, ein zusätzlicher Erweiterungsbau, der heute als Verwaltungsgebäude genutzt wird.

  • Historisches Dokument: die Empfehlungskarte der Heilstätte Zieglerstift


    1905

    Beginn der Arbeit für Suchtkranke

    1905, nur eineinhalb Jahre vor seinem Tod, erweist sich Johannes Ziegler erneut als Visionär. Er gründet mit der »Heilstätte Zieglerstift Haslachmühle« einen bis dato völlig neuen Zweig der diakonischen Arbeit: Therapie alkoholkranker Männer. Dazu kauft er im September 1905 die Haslachmühle, eine Mahl- und Sägemühle in der Nähe von Wilhelmsdorf. Das »Zieglerstift Haslachmühle« wird am 1. Juli 1906 eingeweiht. Organisation, Betrieb und Personal dieses neuen Arbeitszweigs bescheren Ziegler viele Sorgen und schlaflose Stunden, die wohl auch mit zu seinem frühen Tod beigetragen haben. Die Erfolgsgeschichte des Hauses erlebt Johannes Ziegler nicht mehr, er stirbt am 4. September 1907.

    Aus der Zeit des Ersten Weltkriegs (1914–1918) liegen nur wenige Informationen vor. Bekannt ist, dass ein Patientenmangel einsetzt, der auch die Bewirtschaft der Landwirtschaft schwierig macht. In die leerstehenden Gebäude ziehen derweil andere Bewohner: Sommergäste und Flüchtlinge aus Russland. Auch im zweiten Weltkrieg (1939-1945) muss die Arbeit mit Suchtkranken nie ganz aufgegeben werden – trotz massiver Bedrohung vor allem durch das Nazi-Regime.

    Nach dem 2. Weltkrieg, 1946, wird in der Haslachmühle ein Ausbildungsgebäude für Helfer in Pflegeberufen bereitgestellt. So nimmt die Gotthilf-Vöhringer-Schule ihren Anfang. 1966 wird die Haslachmühle dann einer anderen Nutzung übergeben. Die suchtkranken Männer ziehen in die Fachklinik Ringgenhof nach Wilhelmsdorf und die Haslachühle wird zur »Schule für Kinder mit Hör-Sprach- und zusätzlicher geistiger Behinderung«. Bis heute ist die Haslachmühle in Besitz und Nutzung der Zieglerschen.

    Ein Kauf mit Hindernissen

    Ziegler hatte schon länger geplant, die Haslachmühle bei einer Versteigerung zu kaufen. Mit seinem »Herrgott« macht er eine Obergrenze aus: Bis 150.000 Mark würde er mitbieten. Voller Hoffnung nimmt er an der Auktion teil – und wird überboten. Für ihn ein klares Zeichen des Herrn, den Kauf nicht zu tätigen. Doch nur kurze Zeit später kommen die neuen Eigentümer der Haslachmühle auf Ziegler zu. Obwohl sie ihn überboten hatten, bieten sie ihm nun das Haus zum Kauf an. Für exakt 150.000 Mark. Da weiß Ziegler, dass er mit Zustimmung seines Gottes »zuschlagen« kann.

  • Zieglers Vermächtnis: Neun Jahre nach seinem Tod wird der Verein »Zieglersche Anstalten« gegründet. Die Collage enthält die Originalsatzung von 1916.


    1916

    Offizielle Gründung des Vereins »Zieglersche Anstalten« e.V.

    Am 4. September 1907 stirbt Johannes Ziegler – im Alter von nur 65 Jahren. Mit ihm geht eine der großen diakonischen Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts dahin, ein Mann, der seine bedeutenden pädagogischen und organisatorischen Fähigkeiten, die in seinem Glauben wurzelten, in das Werk eingebracht hatte, das später seinen Namen tragen sollte. Mit dem Tod Zieglers stellt sich die Frage, wie es weitergehen soll. Jakob Ziegler, ein Verwandter, übernimmt die Leitung des »Knabeninstituts«, die diakonische Arbeit kann durch die Errichtung neuer Bauten sogar ausgeweitet werden.

    Johannes Zieglers Testament sieht jedoch die Überführung der bislang als Privatunternehmen fungierenden Häuser in eine gemeinsame Stiftung oder in einen Verein vor. Neun Jahre später, am 20. November 1916 ist es dann soweit: der »Zieglersche Anstalten e.V.« wird ins Ravensburger Vereinsregister eingetragen. Der Verein verwaltet das Vermögen der Taubstummenanstalt und des Knabeninstituts (KI). Damit entsteht ein neue Struktur und es schlägt die Geburtsstunde der heutigen Zieglerschen, in denen der Name von Johannes Ziegler weiterlebt.

    Alles für die Bedürftigen

    Johannes Ziegler hatte sein Leben voll und ganz in den Dienst der diakonischen Arbeit gestellt. Auch alles erarbeite und durch Spenden erworbene Geld kam fast ausnahmslos der Anstalt und ihren Bedürftigen zugute. Und –  der ständigen Ausweitung der Arbeit. Von Mathilde Ziegler, Ehefrau von Johannes Ziegler, ist der Satz überliefert: »Du bist nun 63 Jahre alt und wir haben unter unseren 12 Häusern kein einziges, in das wir uns zurückziehen können.«


  • 1939

    Nazizeit und Kriegsjahre: Schulschließung und drangvolle Enge

    Der nationalsozialistische Staat greift massiv in die Arbeit ein. Ende März 1939 muss das »Knabeninstitut KI« auf Anweisung des NS-Kultusminsteriums geschlossen werden. Es sei »mit dem Grundgedanken der Erziehung des nationalsozialistischen Staates nicht in Einklang zu bringen«. Die »Taubstummenanstalt« bleibt jedoch geöffnet und wird von Hausvater Heinrich Hermann geleitet. Im Laufe des Krieges werden zunehmend hörende Kinder aufgenommen. 1939 ist das Haus mit 158 Pfleglingen belegt - das Haus kommt am Rande seiner Aufnahmekapazität an.
    Auch die Arbeit mit alkoholkranken Menschen im Zieglerstift Haslachmühle ist nicht im ideologischen Interesse des Staates, kommt jedoch nie ganz zum Erliegen. Eine Zweckentfremdung wird vermieden, indem neue Personengruppen aufgenommen werden: Erholungsbedürftige (vor allem Mütter), Evakuierte und Flüchtlinge sowie die Bewohner des ev. Altersheims Pirmasens. Auch in der Haslachmühle herrscht drangvolle Enge. Wie schon im Ersten Weltkrieg werden viele Arbeitskräfte eingezogen. Bemerkbar machte sich dies vor allem in der umfangreichen Landwirtschaft. Das Zieglerstift beschäftigt sechs Zwangsarbeiter, davon vier russische Kriegsgefangene.

    Heinrich Hermann: Ein aufrichtiger Christ in Wort und Tat

    Heinrich Hermann (1878–1961) wird am 2. August 1878 in der Schweiz geboren. Er geht während seiner Jugend im Knabeninstitut (KI) in Wilhelmsdorf zur Schule und absolviert später seine Diakonen-Ausbildung an der streng-pietistischen Pilgermission St. Chrischona bei Basel. Getreuliche Pflichterfüllung als christlicher Lebensauftrag und komplette Verinnerlichung von Bibel und göttlichen Geboten waren wichtige Bestandteile der Lehrzeit in St. Chrischona. Dies gibt ihm für sein späteres Leben und Handeln Halt und Orientierung. Erfahrung auf dem Gebiet der Arbeit in einer großen Heil- und Pflegeanstalt sammelt er in Stetten im Remstal, wo er fast zehn Jahre lang Hausvater ist. Nach dem Tod seiner geliebten Frau verlässt er Stetten und geht nach Wilhelmsdorf. Hier – wo er selbst zur Schule ging – übernimmt er 1936 die Hausvaterposition an Taubstummenanstalt und Knabeninstitut (KI). Er bleibt dieser Aufgabe bis zu seinem Ruhestand im Jahr 1947 treu und ist mit seiner besonnenen, freundlichen Art tatsächlich wie ein Vater für die vielen Kinder und Pfleglinge. Treu bleibt er bis zu seinem Lebensende auch Wilhelmsdorf, wo im Jahr 1961 verstirbt.

  • Die berüchtigten »grauen Busse« fahren am 24. März 1941 auch in Wilhelmsdorf vor. Das Bild stammt aus der hessischen Landesheilanstalt Eichberg, aus Wilhelmsdorf gibt es keine Fotos der Ereignisse.


    1941

    »Die Verantwortung ist schwer … « – Euthanasiemorde an Pfleglingen

    1941 geschieht Furchtbares in den Zieglerschen Anstalten: Am 24. März halten die berüchtigten »grauen Busse« vor den Toren der Taubstummenanstalt. 19 Pfleglinge nehmen sie mit – nur einer von ihnen kehrt zurück. Die übrigen werden nur wenige Wochen später in der Tötungsanstalt Hadamar vergast. Damit gehören auch die Zieglerschen zu jenen Einrichtungen, deren Pfleglinge Opfer des nationalsozialistischen »Euthanasie«-Programms wurden. Zwischen Januar 1940 und August 1941 fanden mindestens 70.000 geistig behinderte und psychisch kranke Menschen einen gewaltsamen Tod.

    Dem mutigen Handeln des damaligen Hausvaters Heinrich Hermann ist zu verdanken, dass viele weitere »Pfleglinge« von diesem Schicksal verschont bleiben. Er weigert sich, für das Reichsinnenministerium in Berlin die sogenannten Meldebogen zur Erfassung der »Kranken« auszufüllen: »Ich kenne den Zweck dieser planwirtschaftlichen Erfassung. Ich weiss von den vielen Todesnachrichten, welche die Angehörigen verschiedener württembergischer und badischer Heil- und Pflegeanstalten in den letzten Monaten erhalten haben. Ich kann da gewissenshalber nicht schweigen und nicht mitmachen… Ich habe einfach die Ueberzeugung, daß die Obrigkeit mit der Tötung gewisser Kranker ein Unrecht begeht. (...) Das ist es, warum ich in dieser Sache nicht mitmachen kann. Es tut mir leid, aber man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.«

    Nach Hermanns Weigerung wird im Oktober 1940 eine Gutachterkommission des württembergischen Innenministeriums nach Wilhelmsdorf geschickt. Sie füllen vor Ort selbst 45 Meldebogen aus. Hermann quält das zu erwartende Schicksal seiner Patienten. Er schreibt Eingaben ans württembergische Innenministerium in Stuttgart und bittet immer wieder, Kranke zu verschonen: »Ist es nicht möglich, noch einige Bögen zu zerreissen?«

    Am 24. März 1941 werden schließlich 19 Pfleglinge abgeholt. Der einzig Überlebende dieses Abtransportes ist der »hörstumme« Ernst Weiss. Warum gerade er die Euthanasie überlebt hat, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit rekonstruieren. Sicher ist, dass Hausvater Hermann wiederholt darum bittet, ihn von der Verlegungsliste streichen zu lassen. Zugleich hält seine Mutter von Stuttgart aus regelmäßigen Kontakt, besucht ihn zum Teil in 14-tägigem Abstand. Im September 1941 kehrt Ernst Weiss nach Wilhelmsdorf zurück. Hier verbringt er in Frieden sein weiteres Leben, malt und zeichnet ungewöhnlich detailgetreue Motive. Am 20. September 2009 verstirbt Ernst Weiss in Wilhelms­dorf – hoch­betagt, im Alter von 89 Jahren.

    Eine ausführliche Darstellung der Ereignisse finden Sie  auf unserer Sonderseite

    »Vor Gott ist nicht einer vergessen«: Aufarbeitung der NS-Zeit in den Zieglerschen

    Die Auseinandersetzung mit der »Euthanasie« beginnt in Wilhelmsdorf 40 Jahre danach. Dietrich Berg, damals Leiter des Rotachheims, ist der Erste, der systematisch forscht. Er findet die Liste mit den Abtransportierten wieder, dokumentiert ihr Schicksal. Und er erinnert an einen fast Vergessenen in Wilhelmsdorf, Hausvater Heinrich Herrmann, der einzige Heimleiter in der deutschen Diakonie, der sich offen gegen die Euthanasie aussprach. Berg publiziert die Broschüre »Vor Gott ist nicht einer vergessen«.
    2010 widmen sich die Zieglerschen dann gründlich diesem Abschnitt. Zusammen mit anderen diakonischen Einrichtungen und dem Diakonischen Werk in Württemberg geben sie eine Broschüre zur »Euthanasie-Aktion« heraus. Gedenkorte werden darin publiziert. In Wilhelmsdorf sind dies ein Gedenkstein (siehe Foto) und ein großes Wandgemälde im Rotachheim. 2011, genau 70 Jahre, nachdem die »grauen Busse« in Wilhelmsdorf hielten, stellt die Historikerin Inga Bing-von Häfen eine umfassende Untersuchung der Ereignisse in einem Buch vor: »Die Verantwortung ist schwer… Euthanasiemorde an Pfleglingen der Zieglerschen Anstalten«. Die Untersuchung stößt auf großes Interesse innerhalb und außerhalb Wilhelmsdorfs und wird vom Thorbecke-Verlag in einer Nachauflage veröffentlicht.

  • »Hallo – komm mit!«: Werbebroschüre der Helferschule für Innere Mission


    1946

    Nach dem Krieg: Mit neuer Kraft und neuen Ideen

    Die Nachkriegszeit ist geprägt vom Wiedererstarken der diakonischen Arbeit in Wilhelmsdorf. Das auf Anweisung des NS-Kultusminsteriums geschlossene »Knabeninstitut KI« wird 1946 wieder eröffnet. Zugleich ist die Nachkriegszeit von umfangreichen Neugründungen und der Ausweitung der Arbeitsfelder geprägt.

    Auf dem Gelände des Zieglerstifts Haslachmühle nimmt 1946 die »Helferschule für Innere Mission« ihre Arbeit auf. Aufgenommen werden junge Menschen im Alter von 14–19 Jahren, die für die Verwendung im Anstaltsdienst ausgebildet werden, z.B. als Landwirte, Pfleger, im kaufmännischen Bereich oder im Erziehungsdienst. Damit entsteht ein völlig neuer Arbeitsbereich der Zieglerschen, der die Arbeit lange prägt. 1957 wird die Schule in »Gotthilf-Vöhringer-Schule« umbenannt.

    In den 1960er Jahren platzt die Schule aus allen Nähten. Zugleich wird die abgeschiedene Lage in der Haslachmühle zum Problem. Daher wird 1972 ein neues, hochmodernes Schulgebäude in Wilhelmsdorf errichtet, in das die Schule zieht. Nach weiteren Jahren des Wachstums – im Jahr 2005 hat die Gotthilf-Vöhringer-Schule zum Beispiel 800 Studierende in sechs Ausbildungsgängen mit staatlich anerkannten Abschlüssen – wird die Schule 2011 in die Trägerschaft des Diakonischen Instituts (DI) übergeben, an dem die Zieglerschen beteiligt sind. Bis heute werden in Wilhelmsdorf junge Menschen für soziale Berufe ausgebildet.

    Dr. Gotthilf Vöhringer: Ein Leben für die Wohlfahrtspflege

    Gotthilf Vöhringer, 1881-1955, wird früh vom »Anstaltsleben« geprägt, da sein Vater Leiter des Evangelischen Erziehungsheims Augustenhilfe ist. Vöhringer studiert Theologie und promoviert in Tübingen. 1925 wird er zum Generalsekretär der neuen »Deutschen Liga der Wohlfahrtspflege« nach Berlin berufen. Knapp zehn Jahre lang prägt er das Gremium, ruft landesweite Spendenaktionen wie die »Winterhilfe« ins Leben und macht die Liga zum Sprachrohr gegenüber Regierung und Öffentlichkeit. Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten beendet seine Karriere in Berlin. Vöhringer zieht sich nach Württemberg zurück und übernimmt 1944 die Geschäftsführung des Landesverbandes der Inneren Mission. Dank Vöhringers Initiative - er ist Mitglied im Stiftungsrat Zieglerstift - wird die Gründung der »Helferschule für Innere Mission« vorangetrieben. Am 21. Oktober 1957 erhält sie den Namen »Gotthilf-Vöhringer-Schule«. Vöhringer, »eine ausgesprochene Persönlichkeit«, wird 1951 das Bundesverdienstkreuz verliehen. Neben der Vöhringer-Schule tragen noch ein Alten- und Pflegeheim in Nürtingen (in Trägerschaft der Samariterstiftung) sowie eine Jugendhilfe-Einrichtung in Heidenheim seinen Namen.

  • Das »Kurheim Höchsten« für suchtkranke Frauen – Blick von der Eingangsseite


    1955

    Auf dem Höchsten: die erste Fachklinik für suchtkranke Frauen

    Bereits seit langem besteht im Zieglerstift Haslachmühle der Wunsch, eine eigene Heilstätte für suchtkranke Frauen aufzubauen. Zwar wurden in der Vergangenheit bereits einige wenige Frauen aufgenommen, das Miteinander von männlichen und weiblichen Patienten wird jedoch nicht als ideal angesehen. 1955 werden die Pläne in die Tat umgesetzt: Auf dem Höchsten, dem mit 833 Meter ü.M. höchsten Berg am Nordufer des Bodensees, wird ein Gebäude erworben. Hier entsteht das »Kurheim Höchsten« für alkoholkranke Frauen. Es ist zur damaligen Zeit die einzige Heilstätte für suchtkranke Frauen in der gesamten Bundesrepublik.

    Die Heilstätte nimmt am 22. Mai 1955 ihren Betrieb auf. Alle 25 Betten sind sofort belegt. Damit beginnen mehr als sechs Jahrzehnte erfolgreicher Arbeit für suchtkranke Frauen, die bis heute von den Zieglerschen betrieben wird. Nach einem ersten Klinikneubau in den 70er Jahren muss die »Fachklinik Höchsten« 2010 ihren Platz auf dem Höchsten verlassen und zieht in einen hochmodernen Klinikneubau im Kurgelände von Bad Saulgau. Die 1955 begonnene Arbeit mit dem frauenspezifischen Therapieansatz wird dort bis heute erfolgreich fortgeführt.

    Aller Anfang ist schwer - Erinnerungen der Hausmutter Schwester Charlotte Hosch

    Als ich im Sommer 1960 zum Höchsten kam, steckte er noch in einem recht dürftigen Gewand. Wir wohnten damals mit drei, zeitweise vier Mitarbeiterinnen und fast 30 Patientinnen in diesem Haus, das zu jener Zeit noch keine »Heilstätte«, geschweige denn eine »Fachklinik« war, sondern schlicht »Kurheim Höchsten«. Und doch begann hier für viele unserer Patientinnen während ihrer – damals noch sechs bis neun Monate dauernden – »Kur« ein neues Leben. Mitte der sechziger Jahre kam unser Höchsten in die »Pubertät« und hatte einen enormen Wachstumsschub. Auch bei uns sollte neu gebaut werden. Als kurz erwogen wurde, den Höchsten ebenfalls nach Wilhelmsdorf zu verpflanzen, wehrten wir uns vehement dagegen. So wunderschöne Umgebung und einmalige Aussicht lassen sich nicht umsiedeln. So durfte der Höchsten auf dem Höchsten bleiben. Während der Bauarbeiten befremdete uns der Baulärm damals weniger, als Bemerkungen vorübergehender Leute. Zu jener Zeit war Alkoholismus noch nicht als Krankheit anerkannt. Als die neue Fachklinik fertig war, gab es nochmals Umstellungen, aber sie waren positiv, und wir haben uns schnell an das Neue und Schöne gewöhnt.

  • Die neue Gehörlosenschule in Wilhelmsdorf auf einer Postkarte


    1957

    Aus »taubstumm« wird »gehörlos« – Beginn der modernen Gehörlosenarbeit

    1957 wird in Wilhelmsdorf ein helles, lichtdurchflutetes Gebäude eingeweiht: die neue Gehörlosenschule mit Internat. Der Neubau markiert den Beginn der modernen Gehörlosenarbeit in den Zieglerschen. Die Schüler werden nicht mehr als »taubstumm«, sondern als »gehörlos« bezeichnet – aus der »Taubstummenanstalt« wird daher die »Gehörlosenschule«. Unter der Adresse Wolfsbühl 6 ist die Schule – die später »Hör-Sprachzentrum Wilhelmsdorf« heißt und seit 2016 den Namen »Schule am Wolfsbühl« trägt – noch heute in Wilhelmsdorf zu finden.

  • Eine offene Heilstätte für Suchtkranke: die neue Ringgenhof-Klinik gilt als vorbildlich


    1962

    Eine neue Ära in der Suchthilfearbeit: Neubau der Ringgenhof-Klinik

    Die Suchthilfearbeit in der Haslachmühle steht Anfang der 1960er an einem Wendepunkt. Der Zustand der Gebäude ist schlecht, für eine Grundsanierung fehlt das Geld. 1962 wird Dr. Eberhard Rieth zum neuen Direktor der Heilstätten ernannt. Für ihn ist klar: »Wir bauen neu«. Mit dem Land Baden-Württemberg und dem Gesundheitsministerium in Bonn gewinnt Rieth zwei entscheidende Unterstützer, die die Finanzierung des Baus sicherstellen. Voraussetzung dafür ist, dass die neue Einrichtung eine bundesweite Modelleinrichtung für die stationäre Suchtkrankenhilfe wird.

    So beginnt eine neue Ära in der Suchthilfearbeit. Am 15. Juli 1964 beginnen in Wilhelmsdorf die Bauarbeiten, parallel arbeitet Rieth an einer fachlichen Modernisierung. Ein neuer Geist soll im neuen Haus einziehen – mit neuen Therapie-Konzepten und mit einem neuen Team. Der Psychologe setzt auf eine »Persönlichkeitstherapie«. Er ist überzeugt, dass nur »eine stabilisierte, gereifte Persönlichkeit die Schwierigkeiten des Lebens zu meistern vermag.« Arbeitstherapie und Sport sowie die tägliche Andacht und das Angebot seelsorgerlicher Gespräche gehören ebenfalls zum neuen Konzept. In unzähligen Gesprächen, Schulungen und Weiterbildungen nimmt Rieth seine Mitarbeiter mit in die neue Zeit. Alkoholabstinenz auch für die Mitarbeiter ist in der Klinik selbstverständlich.

    Am 5./6. Mai 1966 soweit: Patienten und Team ziehen nach Wilhelmsdorf um. Einen Monat später wird das »Kurhaus Ringgenhof« offiziell eingeweiht – ein klares, offenes und architektonisch bemerkenswertes Gebäude. Eine Mustereinrichtung für Suchtkranke, die damals als vorbildlich gilt – in der noch heute suchtkranke Männer auf dem Weg in ein neues Leben begleitet werden.

    Dr. Eberhard Rieth: Zahnarzt, Psychologe und Pionier der modernen Suchtkrankenhilfe

    Als Dr. Eberhard Rieth am 1. Januar 1960 seinen Dienst in der »Trinkerheilanstalt Haslachmühle« antritt, kann er nicht ahnen, dass er in die Geschichte der Suchtkrankenarbeit eingehen wird. Rieth, 1925 in Blaubeuren geboren, wächst in Stuttgart auf. Nach Kriegsdienst und Gefangenschaft studiert er Zahnmedizin und Psychologie. 1953 erhält er die Approbation als Zahnarzt, 1959 legt er die Diplomprüfung als Psychologe ab. Ebenfalls 1959 promoviert er mit einer Arbeit über die Angst von Kindern und Jugendlichen in der zahnärztlichen Praxis. Schon während des Studiums hat er sich mit Alkoholismus befasst. Als der 34-Jährige, ein überzeugter Christ, seine Tätigkeit in der Haslachmühle antritt, sieht er darin einen Auftrag, bei dem er auf Führung und Unterstützung durch Gott rechnet. Nur gut zwei Jahre später wird er zum Direktor der Trinker-Heilstätten ernannt. Rieth führt die Suchthilfe fachlich wie organisatorisch in eine neue Ära – und er führt sie fast 30 Jahre lang, von 1962–1988, mit großem Erfolg. Heute gilt Eberhard Rieth als einer der Pioniere der modernen deutschen Suchtkrankenhilfe.

  • Unterstützte Kommunikation ist bis heute Schwerpunkt der Arbeit in der Haslachmühle


    1966

    Neuanfang in der Haslachmühle

    1966 überschlagen sich in der Haslachmühle die Ereignisse: Die »Heilstätte für suchtkranke Männer« zieht in einen hochmodernen Klinik-Neubau in Wilhelmsdorf um: das Fachkrankenhaus Ringgenhof.

    Für die freigewordenen Gebäude in der Haslachmühle wird eine neue Bestimmung gesucht. Sie findet sich schnell. Die Haslachmühle wird nun zum Heim für mehrfachbehinderte Kinder und Jugendliche. Unter Leitung von Ernst Blickle und Heidi Ziegler beginnt die schulische Betreuung von 27 Kindern, die neben ihrer geistigen Behinderung auch eine Hör- und Sprachschädigung haben. Damit wird in der Haslachmühle eine neue Ära eingeläutet. Ernst Blickle und Heidi Ziegler entwickeln eine ganz neue Form der Kommunikation »mit Händen und Füßen« und gelten heute als Pioniere dieser speziellen Gebärden-Kommunikation.

    Die durch Gebärden unterstützte Kommunikation mit Menschen mit Behinderung ist Schwerpunkt der Arbeit in der Haslachmühle und in den Zieglerschen geblieben. Von Vaterunser bis Fußball: In den folgenden Jahrzehnten werden zahlreiche Plakate und Handbücher mit speziellen Gebärden veröffentlicht, die den Austausch mit nicht sprechenden Menschen erleichtern. Bis heute finden in der Haslachmühle regelmäßig gut besuchte Fachtage zum Thema »Unterstützte Kommunikation« statt, bei denen die Experten ihr Wissen zum Thema weitergeben. 2016 feiert die Haslachmühle 50-jähriges Jubiläum der Arbeit für Menschen mit Behinderung unter dem Motto »... und kein bisschen leise«.

    Heidi Ziegler und Ernst Blickle – Pioniere der Gebärdensprache

    Als Heidi Ziegler und Ernst Blickle 1966 beginnen »mit Händen und Füßen zu reden«, ist ihnen nicht bewusst, dass sie Pionierarbeit leisten. Sie wollen nur ihren Schülern, gehörlose Kinder mit geistiger Behinderung, etwas beibringen und merken schnell, dass das damals übliche Lippenlesen für sie kaum möglich ist. Also nutzen »Tante Heidi« und Ernst Blickle Hände und Füße – mit Erfolg! 1971 stellen sie eine erste Sammlung der häufigsten Gebärden in einem dünnen Heft zusammen: »Wenn man mit Händen und Füßen reden muß!« Die Kollegen anderer Einrichtungen reißen es ihnen aus der Hand. Überall wird nun mit Gebärden gearbeitet. Zwanzig Jahre später, 1991 werden die zahlreichen, vielerorts selbst entwickelten Gebärden erstmals vereinheitlicht. Es erscheint das Standardwerk für Gebärden zur Unterstützten Kommunikation: »Schau doch meine Hände an«. 2007 wird es ganz neu aufgelegt. Ernst Blickle, der seinen (Un)Ruhestand in Wilhelmsdorf verbringt, ist noch immer als Ratgeber dabei.

  • Ein Neubau, der es sogar auf Wilhelmsdorfer Postkarten schafft: die neue Gotthilf-Vöhringer-Schule (r.)


    1972

    Rasantes Wachstum – auch über Wilhelmsdorf hinaus

    In den 1970er Jahren sind die Zieglerschen Anstalten kaum wiederzuerkennen. Sie betreiben inzwischen Einrichtungen für »Hör-Sprachbehinderte, Lernbehinderte und Bildungsschwache, Suchtkranke und Oberschüler« sowie eine Fachschule für Hauswirtschaft und Sozialpädagogik (Gotthilf-Vöhringer-Schule). 980 Schulplätze, 810 Heim- und Internatsplätze, 120 Heilstättenplätze und 430 Mitarbeiter weist die Statistik aus. Und das Wachstum geht weiter. »775 weitere Schulplätze, 90 zusätzliche Berufsbildungs- und Förderungsplätze, 440 weitere Heimplätze und 20 neue Heilstättenplätze« sind in Planung, Unterkünfte für »ca. 350 zusätzliche Mitarbeiter« sollen geschaffen werden. 100 Millionen DM beträgt der Investitionsbedarf. Und in der Tat: Es wird investiert. 1972 erhält Wilhelmsdorf mit der Gotthilf-Vöhringer-Schule einen auffälligen Neubau, der es sogar auf Postkarten schafft (siehe Foto). Hier zieht die ehemalige »Helferschule« aus der Haslachmühle ein.

    Auch die Arbeit für Hör-Sprachbehinderte weitet sich aus. 1972 öffnet das »Sprachheilzentrum Ravensburg«, ein moderner Schulneubau mit Internat. Damit entsteht erstmals eine wichtige Einrichtung der Zieglerschen weit außerhalb der Wilhelmsdorfer Ortsgrenzen. Das Sprachheilzentrum entwickelt sich schnell zu einer Institution in Ravensburg und setzt vor allem fachlich Maßstäbe in der Arbeit mit hör-sprachbehinderten Kindern und Jugendlichen.

    Verlag am Sprachheilzentrum

    In der Arbeit mit hör-sprachbehinderten Kindern und Jugendlichen, die 1837 mit August Friedrich Oßwalds "Taubstummenanstalt" begann, haben die Zieglerschen auch weiterhin eine Vorreiterposition inne: 1974 gründet sich am neuen Sprachheilzentrum in Ravensburg ein Verlag, der das Lehr- und Diagnostikmaterial der Schule für Lehrende an anderen Sprachheilschulen verfügbar macht. Gründer und treibende Kräfte hinter dem Verlag sind die beiden Sprachheillehrer German Frank und Peter Grziwotz-Buck. Was in den 70er Jahren mit einfachen Kopiervorlagen beginnt, entwickelt sich zu einem farbenfroh gestalteten und liebevoll durchdachten Verlagsprogramm auf dem neuesten Stand der Wissenschaft. Lehrkräfte des Sprachheilzentrums konzipieren die Materialien, Verlags-Mitbegründer Frank zeichnet auch im Ruhestand nach wie vor die Illustrationen. Der Grundgedanke des Verlags - damals wie heute - lautet: "Sprachtherapie soll Freude machen".

  • Die alte Schule in Altshausen (u.) wird 2012 durch einen wegweisenden Neubau erweitert (o.)


    1975

    Neuer Standort: »Schwerhörigenschule« Altshausen

    1975 kommt mit der »Schwerhörigenschule Altshausen« (heute Leopoldschule Altshausen) ein weiterer Standort weit außerhalb Wilhelmsdorfs hinzu. Die Schule wird im ehemaligen Martinshaus Altshausen eingerichtet, viele Jahre ein evangelisches Internatsheim (»Konfirmandenanstalt«). Die Zieglerschen kommen damit einer Bitte von Landeskirche und Diakonischem Werk nach, die Arbeit in Altshausen fortzuführen. 2012 erhält die Leopoldschule ein spektakuläres neues Schulgebäude.

    »Heimkinder-Vergangenheit« in Altshausen

    Mit der Übernahme des Martinshauses Altshausen »erben« die Zieglerschen auch die Vergangenheit dieses evangelischen Internatsheimes. Als 2008 bundesweit die Aufarbeitung der »Heimkinder-Vergangenheit« nach dem 2. Weltkrieg beginnt, werden daher auch die Geschehnisse in Altshausen in den 50er bis 70er Jahren beleuchtet. Sie werden 2014 im sogenannten »Heimkinder-Buch« der Zieglerschen veröffentlicht: »Du bist und bleibst im Regen – Heimerziehung in der Diakonie in den 50er bis 70er Jahren in Oberschwaben«. Autorinnen sind die Historikerin Inga Bing-von Häfen und die Journalistin Nadja Klinger

  • Frauen unter sich in der neuen Klinik: Bis heute wird in den Zieglerschen geschlechtsspezifisch therapiert


    1976

    Klinikneubau auf dem Höchsten

    1976 wird der moderne Neubau des »Fachkrankenhauses Höchsten für suchtkranke Frauen« eingeweiht – direkt neben der alten »Heilstätte für suchtkranke Frauen« auf dem 833 Meter ü.M. hohen Höchsten. Das moderne, großzügige Gebäude erregt Aufsehen bei den Passanten: »Wieviel muss man denn getrunken haben, um da aufgenommen zu werden?« Auch im neuen Gebäude wird der sogenannte geschlechtsspezifische Therapieansatz fortgeführt.

  • Das markante Gebäude der Taubstummenanstalt verschwindet 1977 aus dem Ortsbild Wilhelmsdorfs


    1977

    Die historische »Taubstummenanstalt« brennt nieder

    1977 rückt ein Großaufgebot an Feuerwehrwagen in Wilhelmsdorf an: das historische »Haus Höchsten«, fast 100 Jahre Heimat der historischen Taubstummenanstalt, steht in Flammen. Das markante Gebäude mit seinem Türmchen besteht zu großen Teilen aus Holz und kann nicht gerettet werden. Mit dem Brand gehen auch viele historische Dokumente, Fotos und Akten verloren, die bis heute schmerzlich vermisst werden. Menschen kommen glücklichweise nicht zu Schaden. In den 1980er Jahren wird neu gebaut. 1985 – fast genau 100 Jahre nach der Einweihung des ersten Haus Höchsten im Jahr 1881 – wird das neue »Haus Höchsten« eröffnet. Es gehört heute zur Behindertenhilfe der Zieglerschen und beherbergt Erwachsene mit geistiger Behinderung und zusätzlicher Hör-Sprachbehinderung.

  • Heimstatt für erwachsene Menschen mit geistiger Behinderung: das Rotachheim (hier »Haus Zuflucht«)


    1982

    Einweihung des Rotachheims für Menschen mit geistiger Behinderung

    1982 wird in Wilhelmsdorf das Rotachheim für erwachsene Menschen mit geistiger Behinderung und zusätzlicher Hör-Sprachbehinderung eingeweiht. Zuvor war an gleicher Stelle das »Heilerziehungsheim« geschlossen worden, lange Jahre eine der großen diakonischen Jugendhilfeeinrichtungen in Oberschwaben. In den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts gab es zu viele Heimplätze in Jugendhilfeeinrichtungen der Diakonie in Oberschwaben. Der Kostenträger verlangte, die Plätze deutlich zu reduzieren. 1985 folgt dann – ebenfalls als Heimstatt für Erwachsene mit geistiger und zusätzlicher Hör-Sprachbehinderung – das neue »Haus Höchsten« in Wilhelmsdorf. Es musste neu gebaut werden, weil 1977 das alte »Haus Höchsten« niedergebrannt war. Vor dem Brand war es fast 100 Jahre lang markantes Aushängeschild der Taubstummenanstalt.

  • Die Schule in Friedrichshafen (im Hintergrund) heißt jetzt »Osswald-Schule«


    1988

    Beginn der »Sprachbehindertenarbeit« in Friedrichshafen

    1988 wird in Friedrichshafen eine erste Kindergartengruppe für Kinder mit einer Sprachbehinderung eingerichtet. Damit wird die vor über 150 Jahren in Wilhelmsdorf begonnene »Taubstummenarbeit« noch weiter in die Fläche getragen. Im Hör-Sprachzentrum, wie dieser Arbeitszweig mittlerweile heißt, beginnt ein gezielter Prozess der Dezentralisierung (»Wir gehen da hin, wo die Menschen sind«). 1996 werden die ersten Schulklassen für Kinder mit einer Sprachbehinderung in Friedrichshafen installiert, seit 2004 werden sie als Sprachheilschule geführt. 2016 gibt sich die Sprachheilschule Friedrichshafen – mittlerweile »Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum mit Förderschwerpunkt Sprache« – feierlich den Namen des Begründers der »Taubstummenarbeit« in Wilhelmsdorf, August Friedrich Osswald.

  • Das erste Seniorenzentrum der Zieglerschen am Korntaler Weg in Wilhelmsdorf


    1999

    Einstieg in die Altenhilfe-Arbeit – das erste Seniorenzentrum

    1999 erweitern die Zieglerschen ihr Arbeitsfeld um einen wichtigen Bereich: Altenhilfe. Hier wird angesichts der demografischen Entwicklungen großer Bedarf gesehen. Der erste Schritt in das für sie völlig neue Arbeitsgebiet wird am Stammsitz in Wilhelmsdorf gewagt. Am Korntaler Weg entstehen eine Seniorenwohnanlage und ein Pflegeheim. 1999 werden sie eingeweiht.

    Rund 20 Jahre später ist die Altenhilfe mit rund 2.750 betreuten Menschen, 24 Standorten und knapp 1.300 Beschäftigten der größte Arbeitsbereich in den Zieglerschen. Das Seniorenzentrum am Korntaler Weg wird 2014 – direkt gegenüber des ursprünglichen Gebäudes – völlig neu gebaut, um den Anforderungen der neuen Landesheimbauverordnung zu entsprechen. Das ursprüngliche Seniorenzentrum am Korntaler Weg wird nach einer kurzen Umbauphase von 18 Menschen aus der Behindertenhilfe bezogen.

  • Die neue Führungsriege der Zieglerschen Anstalten im Jahr 2000


    2000

    Von der Einrichtung zum diakonischen Unternehmen

    In den Jahrzehnten seit dem Ende des zweiten Weltkriegs hat sich die diakonische Arbeit in den Zieglerschen stark verändert. Neue Arbeitsfelder, neue Standorte, fast 1.000 Mitarbeiter – die Zieglerschen Anstalten sind zum Sozialunternehmen geworden. Nun müssen sich auch die Strukturen verändern. Ins eue Jahrtausend starten die Zieglerschen mit einer Unternehmensreform. Zum 01.01.2000 werden die Arbeitsbereiche – Altenhilfe, Behindertenhilfe, Hör-Sprachzentrum, Gotthilf-Vöhringer-Schule und Suchthilfe – zu gemeinnützigen GmbHs und agieren als rechtlich selbstständige Unternehmen. Der Zieglersche Anstalten e.V. bildet das Dach einer Holding.

    Zuvor wurden bereits die Aufsichts- und Leitungsgremien getrennt. Mit Hans-Peter Züfle als Vorstandsvorsitzendem und Johannes Rothermundt als kaufmännischem Vorstand wird erstmals ein hauptamtlicher Doppelvorstand berufen. Der bisherige Verwaltungsrat wird zu einem reinen Aufsichtsorgan. Erster Vorsitzender des Aufsichtsrates ist Walter Hofmann aus Friedrichshafen, der das Amt bis 2010 innehat. Seine Nachfolge tritt der bis heute amtierende Oberkirchenrat Werner Baur an.

    Die Veränderungen zur Jahrtausendwende stehen unter dem Motto »Nur wer sich ändert, bleibt sich treu«. Ein Leitspruch, der die Zieglerschen bis heute begleitet.

    Erfüllt mit Leben

    Die Veränderungen in den Zieglerschen sollen auch nach außen sichtbar werden. Ein neues Logo entsteht, erstmals wird eine Imagebroschüre über die gesamten Zieglerschen Anstalten veröffentlicht. Und auch das Motto der Zieglerschen, das bis heute Bestand und Gültigkeit, wird in dieser Zeit geboren: Erfüllt mit Leben.

  • Die neue Schule im Martinshaus Kleintobel


    2001

    Martinshaus Kleintobel – (Wieder)Einstieg in die Jugendhilfe-Arbeit

    2001 beschließen die Zieglerschen die Beteiligung am Martinshaus Kleintobel. Nach der Schließung des Heilerziehungsheims in Wilhelmsdorf – 20 Jahre zuvor – markiert diese Übernahme den Wiedereinstieg der Zieglerschen in die Jugendhilfe. Rund dreißig Jahre zuvor hatten die Zieglerschen bereits den Stammsitz des Martinshauses übernommen, die ehemalige »Konfirmandenanstalt« in Altshausen, und dort das heutige Hör-Sprachzentrum eingerichtet.

    Im Martinshaus Kleintobel wird bald enormer Investitionsbedarf sichtbar. Die alte Schule ist sanierungsbedürftig und muss dringend neu gebaut werden. 2008 ist es endlich soweit: das schöne moderne Schulgebäude in Kleintobel-Berg bei Ravensburg wird fertiggestellt. Heute ist das »Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentrum mit Internat« durch seinen Bildungsgang Realschule einzigartig in Württemberg. Darüber hinaus werden – bundesweit einmalig – Gymnasialklassen angeboten.

    Aufarbeitung der »Heimkinder-Vergangenheit«

    Als Träger einer Jugendhilfe-Einrichtung stehen auch die Zieglerschen in der Verantwortung, ihre »Heimkinder-Vergangenheit« in den Häusern aufzuarbeiten, für die sie die Rechtsnachfolge übernommen haben. Das 2014 erschienene Buch »Du bist und bleibst im Regen – Heimerziehung in der Diakonie in den 50er bis 70er Jahren in Oberschwaben« widmet sich faktisch wie auch menschlich diesem erschütternden Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte. Geschrieben wird das viel beachtete Buch von zwei renommierte Autorinnen: der Historikerin Inga Bing-von Häfen und der Journalistin Nadja Klinger.

  • Durch die Fusion gehören nun Traditionseinrichtungen wie das Karlsstift Schorndorf zu den Zieglerschen


    2004

    Fusion mit dem Verein für Evangelische Altenheime (VEA)

    2004 fusionieren die Zieglerschen Anstalten mit einem anderem württembergischen Traditionsunternehmen: dem Verein für Evangelische Altenheime (VEA) in Kirchheim/ Teck. So wird die Altenhilfe auf einen Schlag zum größten Arbeitsfeld der Zieglerschen. Gleichzeitig dehnen sie sich räumlich in ganz neue Regionen aus: die Pflegeheime des Fusionspartners sind vor allem im mittleren Neckarraum in den Landkreisen Esslingen, Tübingen und Rems-Murr angesiedelt. Durch die Fusion wachsen die Zieglerschen schnell. Allein im Jahr 2005 werden drei neue Altenhilfestandorte in Betrieb genommen, andere sind bereits in der Planung. Heute steht die Altenhilfe für rund 2.750 betreute Menschen, 24 Standorte und knapp 1.300 Beschäftigte. Innerhalb der Zieglerschen ist sie der der größte und am dynamischsten wachsende Arbeitsbereich.

    VEA: Christliche Tradition und ältester Altenhilfeträger im Land

    Der Verein für Evangelische Altenheime in Württemberg e. V. (VEA) wird 1846 gegründet. Er ist der älteste Träger von Altenhilfeeinrichtungen im Land. Persönlichkeiten wie der Dichter Gustav Schwab, der Diplomat Christoph von Kölle oder der evangelische Prälat Sixt Karl von Kapff sind Gründungsmitglieder. Schirmherrinnen und Protektoren der Frauenstifte sind bis 1918 die württembergischen Königinnen. Zum VEA gehören zahlreiche Traditionshäuser: das Henriettenstift in Kirchheim unter Teck (1852 von Herzogin Henriette gegründet, siehe Foto), das Karlsstift in Schorndorf (1876) oder das Karolinenstift in Tübingen (1885). Ab Mitte der 1990er-Jahre wächst der VEA unter Führung des damaligen Vorstandsvorsitzenden Walter Irion rasant. Zum Zeitpunkt der Fusion bringt das christliche Unternehmen zehn Einrichtungen mit in die Zieglerschen ein.

  • Hier macht Lernen Spaß: Schüler auf dem Weg in ihre neue Haslachmühle-Schule


    2006

    Bunt wie das Leben: Einweihung der neuen Haslachmühle-Schule

    Nach knapp zwei Jahren Bauzeit wird am 5. Oktober 2006 ein neues Schulgebäude der Heimsonderschule Haslachmühle eingeweiht. Der farbenfrohe Bau ist nach modernsten architektonischen Kriterien gestaltet und bietet Platz für 52 Schülerinnen und Schüler. Circa 4,5 Millionen Euro kostet der Bau, 4 Millionen davon kommen aus Bundesmitteln, weitere 223.000 Euro von »Aktion Mensch«. Zur Schuleinweihung reist Fernsehprominenz aus München an: Willi Weitzel, bekannt aus der ARD-Kindersendung »Willi wills wissen« hat die Schirmherrschaft für die neue Schule übernommen und weiht sie ein. Er war zuvor für Dreharbeiten zum Thema »Was heißt hier eigentlich behindert?« zu den Zieglerschen gekommen und hielt seither den Kontakt in die Haslachmühle.

    Die »Mühlezeitung« – eine ganz besondere Schülerzeitung

    Zu einer besonderen Schule gehört auch eine besondere Schülerzeitung: die »Mühlezeitung«. Sie wird von Schülerinnen und Schülern der Haslachmühle gestaltet, von denen viele nicht hören oder sprechen können. Unter Leitung von Lehrer und Chefredakteur Daniel Fabian entstehen – größtenteils mit Gebärdenbildern – so beeindruckende journalistische Ergebnisse, dass die »Mühlezeitung« einen Preis nach dem anderen gewinnt. »Beste Schülerzeitung Baden-Württembergs«, »beste Schüler-Zeitung im Wettbewerb des Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL« sind einige davon. Anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft 2010 gibt die »Mühlezeitung« eine eigens zusammengestellte Gebärdensammlung zum Thema Fußball heraus. Dafür folgt ein weiterer Preisregen unter anderem mit einer Einladung ins Bundeskanzleramt in Berlin!

  • Die Vesperkirche wird 2009 ins Leben gerufen – sie ist vom ersten Tag an gut besucht


    2009

    Zurück zu den Wurzeln: »Hilfe, wo Hilfe nötig ist«

    Nach Jahrzehnten der Entwicklung zum modernen Sozialunternehmen kehren die Zieglerschen 2009 zu ihren Wurzeln zurück – zur »Armutsdiakonie«. Es soll nicht nur dort geholfen werden, wo es eine Gegenfinanzierung gibt, sondern überall dort, wo Not sichtbar ist. Und die Not wird immer sichtbarer, auch in den Zieglerschen. In die Suchtkliniken kommen immer mehr mittellose Patienten, die Schulen und Kindergärten besuchen immer mehr Kinder, deren Familien sich nicht einmal den Schulausflug leisten können. In der Altenhilfe steigt die Zahl der armen, vereinsamten Menschen. »Wer, wenn nicht die Diakonie, wer, wenn nicht wir, wäre aufgerufen, da hinzuschauen und zu helfen?« – so der Anspruch der Zieglerschen.

    2009 wird dieser Anspruch in die Tat umgesetzt: Zum ersten Mal veranstalten die Zieglerschen gemeinsam mit dem Diakonischen Werk des Kirchenbezirks Ravensburg die Vesperkirche. Drei Wochen lang wird die Ev. Stadtkirche Ravensburg zum Raum der Begegnung. Es gibt warmes Essen, kostenlose Arztbesuche, Seelsorgergespräche, Musik und Kultur. Der Bedarf ist enorm, die Kirche vom ersten Tag an voller Gäste. Seither hat sich die Vesperkirche fest in Ravensburg oder Weingarten etabliert, pro Jahr werden bis zu 15.000 Essen ausgegeben. Finanziert wird die Vesperkirche fast ausschließlich über Spenden.

    Ein wichtiger Geldgeber ist die »Johannes-Ziegler-Stiftung«, die Stiftung der Zieglerschen. Auch sie wird 2009 gegründet – mit einem Startkapital von 750.000 Euro. Seither ist das Vermögen kräftig gewachsen. Die Stiftung unterstützt vor allem Projekte und Menschen in den Zieglerschen, für die es keine öffentlichen Mittel gibt. Beispiele sind die Vesperkirche, die »Kapelle am Siebenkreuzerweg« oder Hilfen für Einzelne, zum Beispiel Zuschüsse zum Zahnersatz für Menschen mit Behinderung.

    »Dank für Ihre Liebesgabe« – Spendensammeln mit Tradition

    Johannes Ziegler war ein begnadeter Spendensammler. Das musste er auch sein, denn die Anstalten waren chronisch unterfinanziert. Für die Erfüllung seines hohen menschlichen Anspruchs – »daß wir uns fest vorgenommen haben … jederzeit unsere Herzen und Anstalten für die Armen, Elenden und Hilfebedürftigen und besonders für diejenigen, die anderswo kein Unterkommen finden können, offen zu halten« – war Ziegler auf Hilfe und freiwillige Zuwendungen angewiesen. Zugleich warb er mit Geschick und System um diese »Liebesgaben« – historische Spendenaufrufe belegen das (Foto). Dabei garantierte er stets, dass gespendetes Geld der Anstalt und ihren Bedürftigen zugute kommt. Mit der Gründung der »Johannes-Ziegler-Stiftung« (2009) und dem Einstieg ins systematische Spendenmarketing (Fundraising) knüpfen die Zieglerschen bewusst an diese Tradition an.

  • Das architektonisch bemerkenswerte Gebäude der Fachklinik Höchsten


    2011

    Die Suchtklinik Höchsten zieht nach Bad Saulgau

    Nach zwei Jahren Bauzeit wird die hochmoderne Fachklinik Höchsten im Kurgebiet von Bad Saulgau fertiggestellt. Sie ist die älteste Einrichtung nur suchtkranke Frauen in Deutschland. Aufgrund der maroden Bausubstanz des alten, aus den 1970er Jahren stammenden Klinikgebäudes war ein Neubau nötig. Der alte Standort am Höchsten wurde aufgegeben. Heute gibt es in Bad Saulgau 79 Therapieplätze, die meisten davon für primär Alkoholabhängige, weitere für Frauen mit Drogenproblemen sowie für Patientinnen, bei denen auch eine Essstörung diagnostiziert wurde. Die Klinik verfolgt noch immer den sogenannten frauenspezifischen Ansatz. Bundesweit geschätzt wird die Tier-Therapie mit Pferden, Lamas und Ziegen. Mit einer Abstinenzquote von bis zu 88 Prozent ist die Fachklinik in der Spitzengruppe in Deutschland.

    Raum für Glauben und Besinnung – die »Kapelle am Siebenkreuzerweg«

    Gleich neben der neuen Klinik in Bad Saulgau wird der Grundstein für ein neues Gotteshaus gelegt: die »Kapelle am Siebenkreuzerweg«. Damit setzt die Suchthilfe eine Tradition fort, die in den 1980er Jahren begann. 1989 wird die »Höchsten-Kapelle« eingeweiht, die heute als Drehort des bekannten TV-Gottesdienstes »Stunde des Höchsten« dient. 2003 folgt eine weitere Kapelle auf dem Gelände des »Fachkrankenhauses Ringgenhof«: die »Kirche am Weg«. Allen drei Gotteshäusern ist eines gemein: sie werden überwiegend aus Spenden ehemaliger Patienten erbaut. Zur Finanzierung der Kapelle in Bad Saulgau tragen mehr als 1.600 Personen und Institutionen, darunter Unternehmen, der Förderkreis Suchthilfe der Zieglerschen e.V., Künstler, Sportler und die Johannes-Ziegler-Stiftung der Zieglerschen mit ihren Spenden bei. Im Juli 2012 wird die Kapelle durch Landesbischof Frank Otfried July feierlich seiner Bestimmung übergeben.

  • Hell und lichtdurchflutet: der neu erbaute Förder- und Betreuungsbereich (FuB) in Bad Saulgau


    2012

    Neuer Standort Bad Saulgau – Beginn der Dezentralisierung

    Im Juli 2012 eröffnen die Zieglerschen in Bad Saulgau ein neu gebautes Wohnhaus für Menschen mit Behinderung. In der Wallstraße, nahe dem Stadtzentrum, wohnen jetzt 18 Erwachsene in einer Wohngemeinschaft. Wenige Monate später wird ein zweites Gebäude in direkter Nachbarschaft fertiggestellt: der Förder- und Betreuungsbereich (FuB). Damit haben die Zieglerschen erstmals seit ihrem Bestehen einen Neubau für Menschen mit Behinderung außerhalb Wilhelmsdorfs und der Haslachmühe eingeweiht.

    Bad Saulgau markiert für die Zieglerschen den Beginn tiefgreifender Veränderungen in der Arbeit für Menschen mit Behinderung: die sogenannte Dezentralisierung. Rund 155 Plätze sollen bis 2026 an kleinere Standorte verlagert werden – weg von den bisherigen »Zentralstandorten« Wilhelmsdorf und Haslachmühle, hinein in die Städte und Gemeinden der Umgebung. Nach Bad Saulgau folgen als neue Standorte Aulendorf (Einweihung 2015), Engen im Kreis Konstanz (ab 2017), Friedrichshafen-Kluftern (ab 2017) sowie der Ausbau der bereits vorhandenen Häuser in Ravensburg und Obereschach. Parallel zu den Wohnhäusern werden auch immer mehr Büros für Ambulante Dienste eingerichtet.

    In Aulendorf wird 2015 außerdem die hochmoderne NEULAND-Werkstatt in Betrieb genommen. Hier arbeiten erstmals Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam unter dem Dach einer Industriehalle.

  • Die alte Taubstummenanstalt mit neuem Leben: Im Oßwaldbau sitzt heute der Vorstand der Zieglerschen


    2016

    100 Jahre später: 6.500 Kunden, 3.000 Beschäftigte, 55 Standorte

    Genau 100 Jahre nach Gründung des Vereins »Zieglersche Anstalten e.V.« sind die Zieglerschen heute ein modernes, diakonisches Sozialunternehmen. Vom Stammsitz in Wilhelmsdorf aus werden Kliniken, Seniorenzentren, Schulen, Behinderteneinrichtungen, Internate, Kindergärten, Therapiezentren, Beratungsstellen und viele ambulante Dienste betrieben. 3.050 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betreuen fast 6.500 Menschen an mehr als 50 Standorten zwischen Stuttgart und Bodensee. Der Umsatz des Gesamtunternehmens liegt bei über 150 Millionen Euro im Jahr. Aus den zehn Siedlern im Moor ist eine Erfolgsgeschichte geworden.

    Im Laufe der Jahrzehnte wurden die Angebote immer wieder überprüft, Altes aufgegeben, Neues gewagt und so das Spektrum den sich ändernden Bedürfnissen der Menschen angepasst (2010 trennen sich die Zieglerschen zum Beispiel vom überholten Begriff »Anstalten« im Vereinsnamen und werden »Die Zieglerschen«). Eines jedoch hat sich in allen Jahren nicht geändert: »Diakonie ist gelebte Nächstenliebe im Sinne Jesu. Wir vertrauen auf sein Wirken in unserem Handeln.« So heißt es im Leitbild der Zieglerschen – und so wird es in Wilhelmsdorf und darüber hinaus Tag für Tag gelebt.

    Werte, Ziele und Visionen – die Zieglerschen und ihr Leitbild

    2008 entwickeln die Zieglerschen erstmalig ein Leitbild. Mitarbeiterschaft, Vorstand und Geschäftsführungen erarbeiten gemeinsam 18 kurze prägnante Sätze, in denen sich die Werte, Ziele und Visionen der modernen Zieglerschen bündeln. Später wird über den Lieblingssatz abgestimmt. Es gewinnt mit großem Abstand der Leitsatz 18: »Wir stellen uns der Spannung zwischen Anspruch und Wirklichkeit«. Bis heute hat das Leitbild der Zieglerschen unverändert Bestand und Gültigkeit. Als Plakat (siehe Foto) ist es in vielen Häusern der Zieglerschen zu finden.

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