»Wer dem Glück hinterher­rennt, läuft daran vorbei«

Porträt

»Wer dem Glück hinterher­rennt, läuft daran vorbei«

Dr. med. Alexander Gauder

Porträt

September 2019

Mit 12 will er eigentlich Rockstar werden. Doch beim Zivildienst entdeckt er eine zweite Liebe – die zur Medizin. Heute, 40 Jahre später, ist Dr. med. Alexander Gauder in den Zieglerschen neuer Chefarzt der Fachklinik Ringgenhof und kommissarisch auf dem Höchsten. Zu den Leidenschaften seines Lebens ist eine dritte gekommen: die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT). Das Porträt.

Text: Annette Scherer

Nein, ein Mus­terschüler war Alex­an­der Gau­der nie. So lag es auf der Hand, dass er mit zwölf am liebs­ten Rock­gi­tar­rist gewor­den wäre. Aber wie das Leben manch­mal so spielt: Vor der ver­meint­li­chen Bühnen­kar­riere zieht der sym­pa­thi­sche Ravens­bur­ger dann doch erst das Abi durch. Und ansch­ließend den Zivil­dienst im Pfle­ge­be­reich eines Kran­ken­hau­ses. Diese Zeit, an die er auch heute noch gerne denkt, läutet eine erste Wende in sei­nem Leben ein. »Da ging’s los mit mei­ner Liebe zur Medi­zin«, erin­nert sich der heute 52-Jährige. »Ich habe ent­deckt, dass es mir Freude macht, ande­ren zu hel­fen.« Er beschließt, eine Aus­bil­dung als Kran­ken­pfle­ger zu machen und sich um einen Stu­di­en­platz für Medi­zin zu bewer­ben. Er hat Glück und kann noch im glei­chen Jahr sein Medi­zin­stu­dium begin­nen. 1995 schließt er es erfolg­reich ab.

In den fol­gen­den Jah­ren arbei­tet Gau­der als Assis­tenz­arzt in der Lun­gen­heil­kunde, Kar­dio­lo­gie, Psych­ia­trie und Neu­ro­lo­gie und erhält 2004 seine Aner­ken­nung als Fach­arzt für Psych­ia­trie und Psy­cho­the­ra­pie – der Fach­be­reich, in dem er auch schon seine Dis­ser­ta­tion geschrie­ben hatte. Später fol­gen Zusatz­aus­bil­dun­gen in Sucht- und Sozial­me­di­zin. Danach ist er in ver­schie­de­nen Kli­ni­ken in Lei­tungs­funk­tio­nen tätig – zuletzt als Ober­arzt im Maßregel­voll­zug im ZfP Südwürttem­berg Bad Schus­sen­ried.

Eine zweite Wende nimmt sein Leben 2012. Viel­leicht die größte – zumin­dest im beruf­li­chen Bereich. Er ent­deckt die Akzep­tanz- und Com­mit­ment-The­ra­pie, kurz: ACT. Dank eines im Inter­net ange­bo­te­nen und auf 99 Cent redu­zier­ten Selbst­hil­fe­bu­ches mit dem Titel: »Wer dem Glück hin­ter­her­rennt, läuft daran vor­bei«. »Die­ses Buch hat mich so fas­zi­niert, dass ich es gleich mehr­fach gele­sen und mich mit dem Thema wei­ter beschäftigt habe«, sagt er. Heute kennt er den Autor des Buches, Russ Har­ris, persönlich.

Hin­ter ACT ver­birgt sich eine streng wis­sen­schaft­lich basierte, moderne kogni­tive Ver­hal­tens­the­ra­pie, die auf Acht­sam­keit, Wer­te­ori­en­tie­rung und Enga­ge­ment auf­baut. Ihr Ziel ist nicht Sym­ptom­kon­trolle, son­dern psy­chi­sche Fle­xi­bi­lität. Im Kern geht es darum, unan­ge­nehme Gefühle und Gedan­ken nicht als schädlich anzu­se­hen und nicht davor weg­zu­lau­fen. »Ich ver­mit­tele durch vielfältige psy­cho­the­ra­peu­ti­sche Tech­ni­ken, Gefühle bereit­wil­lig anzu­neh­men. Denn auch wenn sie unan­ge­nehm sind, sind sie nicht schädlich, obgleich unser Ver­stand dies behaup­tet«, so Dr. Gau­der. Wer die­sen Kampf auf­gebe, habe Res­sour­cen frei, um sich dem zuzu­wen­den, was ihm von Her­zen wich­tig sei. Auch Dr. Gau­der prak­ti­ziert den Ansatz von ACT sowohl beruf­lich als auch pri­vat. »Ich könnte das nicht als The­ra­peut ver­mit­teln, wenn ich es nicht sel­ber leben würde.«

Seit 1. Februar 2019 ist Alex­an­der Gau­der neuer Che­f­arzt der Sucht­fach­kli­nik Ring­gen­hof und momen­tan auch kom­missa­risch auf dem Höchs­ten. In den Zieg­ler­schen ist die Freude über den Neu­zu­gang ist groß. Für Eber­hard Gröh, Geschäftsführer der Sucht­hilfe, ist Gau­ders Ver­pflich­tung sein »beruf­li­ches High­light in 2018«. Und Tho­mas Greitzke, The­ra­peu­ti­scher Lei­ter in der Fach­kli­nik Ring­gen­hof, nennt ihn einen »rich­tig net­ten Kol­le­gen, mit dem es Spaß macht, zusam­men­zu­ar­bei­ten«.

Gau­der selbst beein­druckt durch seine ruhige, freund­li­che und beson­nene Art. Ant­wor­ten for­mu­liert er sorgfältig. »Ich lasse mich viel von mei­nen Wer­ten lei­ten, möchte sanft, gedul­dig, hilf­reich und respekt­voll sein und nicht nur mir, son­dern allen ande­ren Gele­gen­heit geben, sich wei­ter­zu­ent­wi­ckeln«, sagt er.

In sei­ner Frei­zeit liest er ACT-Bücher, fährt Skate­board oder geht mit Hündin Emma jog­gen. Er liebt Kässpätzle, Dampf­nu­deln, ita­lie­ni­sches Eis, einen respekt­vol­len Umgang mit­ein­an­der und Zeit mit sei­ner Fami­lie. Auch seine alte Liebe, die E-Gitarre, ist ihm geblie­ben. Wenn er Zeit hat, spielt der Bei­nahe-Rock­star auch heute noch gerne auf die­sem Instru­ment. Nicht auf großer Bühne und vor einer toben­den Menge, son­dern einen Blues nur für sich. Weil’s ein­fach Spaß macht – immer noch.