»Hier kann ich endlich ich selbst sein.«

Porträt

»Hier kann ich endlich ich selbst sein.«

Tobias Brüssel

Porträt

April 2018

Er ist eines der »Models«, die ihr Gesicht für die neue Kampagne der Zieglerschen »Was ich tue, erfüllt mit  Leben« gegeben haben. Er ist ein ganz besonderer Typ mit Ecken, Kanten und einem ungewöhnlichen Lebenslauf. Und er ist jemand, der nach langer Suche sein  Zuhause – vorerst – in der Altenhilfe der Zieglerschen gefunden hat: Tobias Brüssel, 28, ADHSler, Schul­ab­brecher, Heimkind, Bau­arbeiter und – heute Alten­pfleger in den Zieglerschen. Das Porträt.

Text: Harald Dubyk

Es ist kurz vor 9 Uhr im Gemein­de­pfle­ge­haus Härten in Kus­ter­din­gen. In der Cafe­te­ria sit­zen die Senio­ren gemütlich beim Frühstück. Ehren­amt­li­che und Pfle­gekräfte kümmern sich um Kaf­fee, hel­fen Brote schmie­ren, rücken Rollstühle zurecht. Eine Bewoh­ne­rin will ihre Tablet­ten nicht neh­men. Sie sitzt im Roll­stuhl am Tisch und wischt sich mit dem Plas­tik der Taschentücher­ver­pa­ckung die Augen. Tobias Brüssel, Pfle­ge­fach­kraft, holt sich einen Kaf­fee und setzt sich zu ihr. Ganz behut­sam spricht er mit ihr. Sorgt zunächst dafür, dass sie die Ver­pa­ckung gegen ein Taschen­tuch tauscht. Sie unter­hal­ten sich, doch er kann sie nicht über­zeu­gen, die Tablet­ten zu neh­men. Er wird sich später noch­mals darum kümmern.

Die Arbeit mit den Senio­ren fällt ihm leicht. Er liebt die Atmo­sphäre im Haus, es ist schön, wenn es »gleich mor­gens nach Kaf­fee« riecht. Früher musste er sich von sei­nem cho­le­ri­schen Chef anschreien las­sen. Er arbei­tete auf dem Bau, machte eine Aus­bil­dung zum  Stuck­a­teur.

»Seit ich in der Alten­pflege arbeite, erfahre ich, wie es sich anfühlt, wenn andere Men­schen einem ihr Ver­trauen schen­ken«, erzählt er. Und seit er in der Pflege arbei­tet, wüsste er viele Dinge viel mehr zu schätzen: »Far­ben­spiele der Natur, das Lachen mit Freun­den, das Sam­meln von Erin­ne­run­gen, ob gute oder schlechte.«

Schlechte Erin­ne­run­gen hat er eine Menge. Als ADHS-Kind eckte Tobias Brüssel über­all an, flog von ver­schie­de­nen Schu­len. Er war im Heim. Aber er machte dort den bes­ten Haupt­schul­ab­schluss sei­ner Klasse. Er bezeich­net sich selbst als »Pha­sen­mensch«. Wenn er etwas gut fin­det, kann er seine ganze Krea­ti­vität und Lei­den­schaft dar­auf pro­ji­zie­ren und erzielt sehr schnell große Erfolge. »Ich finde es prima, dass ich in mei­nem Job als Alten­pfle­ger ›Ich‹ sein darf. ›Ich sein‹ heißt, auch unkon­ven­tio­nell sein zu dürfen. Das erfrischt unsere Bewoh­ner und auch Angehörige schätzen meine Art.« Auch seine Che­fin Gabriele Hen­ger schätzt ihn. Als er seine Alten­pfle­ger-Aus­bil­dung machte, legte ihm ein Leh­rer die Zieg­ler­schen ans Herz. »Es gibt da eine Haus­lei­tung, ich glaube mit der würden Sie sich gut ver­ste­hen, Herr Brüssel. Sie sucht ›Anwälte‹ für ihre Bewoh­ner.« Gemeint war Gabriele Hen­ger. Das Bewer­bungs­ge­spräch hat ihn sofort über­zeugt.

Nun hat ihm Gabriele Hen­ger ange­bo­ten, ihn bei einer Wei­ter­bil­dung zur Pfle­ge­dienst­lei­tung zu unterstützen. Tobias hat abge­lehnt, »nach lan­gem Rin­gen mit mir selbst«. Denn dann müsste er Gesetze und Bestim­mun­gen gegenüber den Mit­ar­bei­tern durch­set­zen, die er selbst hin­der­lich fin­det.

Als Bei­spiel nennt er das Essen. Wenn eine Bewoh­ne­rin nicht oder schlecht isst, muss er das doku­men­tie­ren. »Viele Pfle­ge­hel­fer nei­gen dazu, den Leu­ten das Essen mit einem Großauf­ge­bot an Mühe und Schmei­che­lei ein­zu­ge­ben, denn sie fühlen sich als Ver­sa­ger, wenn sie mir über­ge­ben, dass Herr XY nur drei Bis­sen geges­sen hat.« Dabei wäre das doch gar nicht nötig. Es gibt fünf Mahl­zei­ten am Tag, viele Bewoh­ner bewe­gen sich tagsüber kaum, kein Wun­der, wenn sie mal kei­nen Hun­ger haben. »Im Pfle­ge­heim wird oft der Bezug ver­lo­ren zum natürli­chen Pro­zess des Alterns.«

Tobias erzählt dies, während er quer auf dem Stuhl sitzt, das eine Bein hat er über die Lehne gelegt und lässt es bau­meln. Er reibt sich sei­nen Bart, streckt den Arm nach oben, fährt sich durch die Haare. Zudem würde er als Wohn­be­reichs- oder Pfle­ge­dienst­lei­tung viel zu viel Zeit im Büro ver­brin­gen. Das ist ein­fach nichts für ihn. Er liebt die Arbeit mit Men­schen, nah am Men­schen. Seine neueste Lei­den­schaft ist das Mas­sie­ren. »Seit circa einem Jahr habe ich großes Inter­esse an der Körper­ar­beit, also Mas­sie­ren und die Ver­bes­se­rung der Körper­hal­tung durch spe­zi­el­les Trai­ning.« Er würde das auch gerne in sei­nen Beruf ein­brin­gen. Darüber ist er nun mit Gabriele Hen­ger im Gespräch, die fin­det, dass diese Zukunfts­vi­sion tatsächlich viel pas­sen­der für ihn ist. Damit könnte er seine persönli­chen Fähig­kei­ten ein­brin­gen und einen Weg beschrei­ten, der auf Wohlfühlen und Natürlich­keit setzt: eine Kom­bi­na­tion aus Pfle­ge­fach­kraft und Mas­seur. »Ob das funk­tio­niert, weiß ich nicht, aber ich hoffe es.«

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Tobias Brüssel ist einer der 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die für die neue Personal­marketing­kampagne der Zieglerschen Modell gestanden haben.
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