»Ich mache diesen Job noch richtig gerne«

Porträt

»Ich mache diesen Job noch richtig gerne«

Markus Fritsche

Porträt

November 2019

Leistungssportler hätte er werden können oder Reiseleiter auf Sardinien. Er hat acht Bücher veröffentlicht und hält Vorträge über Che Guevara. Markus Fritsche, 56, ist ein vielschichtiger Typ. Der Jugendhilfeeinrichtung Martinhaus Kleintobel ist er aber schon seit 37 Jahren treu – von einem sardischen Seitensprung mal abgesehen. Begegnung mit einem »Urgestein«.

Text: Sarah Benkißer

In Mar­kus Frit­sches Büro brennt eine Kerze. Sie klebt auf etwas, das wohl ein Ker­zenständer sein muss. An den Wänden Che Gue­vara. In der Ecke ein blaues Sofa. Mar­kus Frit­sche hat dem klei­nen Raum in der Ravens­bur­ger Eisen­bahn­straße sei­nen Stem­pel auf­gedrückt. Seit rund 15 Jah­ren arbei­tet er hier im Büro der Fle­xiblen Hil­fen des Mar­tins­hau­ses Klein­to­bel, das zur Jugend­hilfe der Zieg­ler­schen gehört. Er beglei­tet Jugend­li­che auf dem Weg ins Erwach­se­nen­le­ben, hilft bei der Woh­nungs­su­che oder beim Gang auf Ämter. Ange­fan­gen hat er aber schon 1982 im Mar­tins­haus Klein­to­bel. Mit Vor­prak­ti­kum und Zivil­dienst, als 19-Jähri­ger. »Eine wilde Zeit«, erin­nert er sich. Rund 100 Jungs und junge Männer wohn­ten damals im Inter­nat und es gab nur einen Aus­gangs­tag pro Woche: »Da ging es schon ab.«

Ansch­ließend stu­diert Mar­kus Frit­sche Sozi­alpädago­gik. Als er 1988 fer­tig ist, überträgt man ihm die Lei­tung der Außenwohn­gruppe 4. »Das war eine beson­dere Wohn­gruppe«, sagt er, »wir hat­ten einen hohen Ausländeran­teil. Und wir hat­ten viel mit Punks und Gruf­tis zu tun.«

Nach elf Jah­ren kündigt er. Denn er hat »Mal di Sar­de­gna«, Heim­weh nach Sar­di­nien. Die ita­lie­ni­sche Insel ist sein Sehn­suchts­ort. 1980 war er als Schüler zum ers­ten Mal dort: »Da war irgend­was, das mich total umge­he­belt hat.« Nach den Som­mer­fe­rien, als er das letzte Schul­jahr begin­nen soll, kommt er nicht zurück, arbei­tet auf der Insel bei einem Bau­ern. Weil er ein guter Schüler ist und beim Rek­tor »einen Stein im Brett« hat, darf er trotz­dem Abi­tur machen. Dass sich der Göppin­ger nach der Schule in Ravens­burg bewirbt, hat vor allem einen Grund: »näher nach Süden«.

Irgend­wann reicht ihm das Rei­sen nicht mehr. 1999 will er mit sei­ner Frau ganz nach Sar­di­nien aus­wan­dern, als Rei­se­lei­ter arbei­ten – acht Monate später keh­ren sie zurück. Rei­se­lei­tung ist auf Sar­di­nien ein Sai­son­geschäft, das Geld hätte für die junge Fami­lie nicht gereicht. In die­ser Zeit kommt das erste Kind zur Welt. Also bewirbt er sich wie­der im Mar­tins­haus und kommt 2001 zum Betreu­ten Jugend­woh­nen. Dort ist er bis heute. Sei­nen Job macht er »noch immer rich­tig gerne«, die Jugend­li­chen lie­gen ihm am Her­zen. »Aber sie haben sich schon wahn­sin­nig verändert«, stellt er fest. Heute gebe es mehr psy­chi­sche Pro­bleme und die Medien hätten viel mit den Jugend­li­chen gemacht »im posi­ti­ven wie im nega­ti­ven Sinn«.

Mar­kus Frit­sche war und ist ein poli­ti­scher Mensch. Als 17-, 18-Jähri­ger ist er in der Haus­be­set­zer­szene Ber­lins unter­wegs. Da tra­gen viele T-Shirts mit dem Kon­ter­fei eines Man­nes, den er damals nicht kennt: Che Gue­vara. Er recher­chiert über die Sym­bol­fi­gur der kuba­ni­schen Revo­lu­tion, reist selbst nach Kuba. Bis heute hält er Vorträge über das »Leben, Ster­ben und Nach­le­ben des Che Gue­vara«.

Und dann ist da noch das Schrei­ben. Acht Bücher hat Mar­kus Frit­sche bis­lang veröffent­licht, drei wur­den ins Ita­lie­ni­sche über­setzt. Sie han­deln – natürlich – von Sar­di­nien. Das Schrei­ben sei einer sei­ner »Aus­gleichs­me­cha­nis­men« vom All­tag, sagt er. Ein wei­te­rer ist der Sport: »5.000 Kilo­me­ter Mini­mum« legt der große, drah­tige Mann pro Jahr mit dem Fahr­rad zurück. In sei­ner Jugend hätte ihm sogar eine Pro­fi­kar­riere im Hand­ball offen­ge­stan­den. Er ent­schei­det sich für die Jugend­hilfe.

Wenn man Mar­kus Frit­sche fragt, wie man in der Jugend­hilfe zum »Urge­stein« wer­den kann, fal­len ihm vor allem »gute Aus­gleichs­me­cha­nis­men und Selbs­t­re­fle­xion« ein. »Über­wie­gend arbei­ten wir erfolg­reich«, sagt er. Das merke er zum Bei­spiel daran, dass Ehe­ma­lige sich immer wie­der mel­den. Aber es gibt auch Rückschläge: »Ich habe mal einen Jugend­li­chen im Gefängnis beglei­tet. Danach ist er in sein Milieu zurück, da hatte er ver­lo­ren.« Der nächste Satz geht ihm nahe: »Ich kann auch zwei auf dem Fried­hof besu­chen. Das war in den Neun­zi­gern. Dro­gen.«

Für die Zukunft wünscht sich Mar­kus Frit­sche vor allem eins: »gesund blei­ben. Alles andere ergibt sich.« Doch dann hält er inne: »Ich kann mir aber auch vor­stel­len, noch­mal was ganz ande­res zu machen.« Der Funke glüht noch ...