»Es macht ja niemandem Spaß, daneben zu schießen«

Porträt

»Es macht ja niemandem Spaß, daneben zu schießen«

Uli Nollenberger

Porträt

September 2018

Wichtig war ihm der Sport schon immer. Klettern, Bergsteigen, Skifahren, Kajak, Bogenschießen – wenn Uli Nollenberger über sein Sportlerleben erzählt, kommt der Zuhörer ins Staunen. Eines dieser Hobbys verbindet der 58-jährige Suchttherapeut heute mit seinem Beruf: In der Fachklinik Ringgenhof in Wilhelmsdorf bietet Uli Nollenberger therapeutisches Bogenschießen an.

Text: Harald Dubyk

Der Mann hat Kon­di­tion. Und das mit 58! Die Rampe kurz vor Zogen­wei­ler, einem Dorf im west­li­chen Teil des Land­krei­ses Ravens­burg, hat es in sich. Mit dem Renn­rad über­win­det Uli Nol­len­ber­ger an die­sem Don­ners­tag­mor­gen die 21-Pro­zent-Stei­gung benei­dens­wert ein­fach. Erst im Sat­tel, dann im Wie­ge­tritt und schließlich wie­der im Sat­tel. Der Beglei­ter an die­sem Mor­gen ver­liert ihn rasch aus den Augen. Keine Chance! Oben ange­kom­men, war­tet Uli Nol­len­ber­ger und grinst. Der Punkt geht heute ein­deu­tig an ihn. Und das schon frühmor­gens auf dem Weg zur Arbeit.

Vor eini­gen Jah­ren hat Uli Nol­len­ber­ger das Renn­rad für sich ent­deckt. In guten Jah­ren schafft er bis zu 4.000 Kilo­me­ter – sei es auf Sizi­lien, bei einer Alpenüber­que­rung oder auf der Stre­cke von sei­nem Wohn­ort Vogt nach Wil­helms­dorf, wo er arbei­tet. Satte 30 Kilo­me­ter ein­fach sind das, 300 Höhen­me­ter – und die 21-Pro­zent-Rampe! Im Som­mer nimmt er die Stre­cke ein­mal pro Woche. »Das Rad ist körper­lich verträgli­cher«, erzählt er. Dabei kann er Aus­dauer und men­tale Stärke trai­nie­ren. Lange ist er gejoggt, aber Knie und Beine haben zuneh­mend geschmerzt.

Sein Bezug zum Sport begann früh. Als Jugend­li­cher hat Uli Nol­len­ber­ger in der Sek­tion Heil­bronn des Deut­schen Alpen­ver­eins ange­fan­gen: Klet­tern, Berg­stei­gen, Ski­fah­ren. Dazu sein Enga­ge­ment in der dor­ti­gen Jugend­ar­beit. Später kam das Kajak­fah­ren dazu. Auf einer Schwie­rig­keitss­kala von 1 bis 6 hat er sich bis zur Stufe 5 im Wild­was­ser her­an­ge­wagt. »Ich bin damals schon anspruchs­volle Sachen gefah­ren«, sagt er. Nach der Geburt sei­ner Kin­der wurde es etwas ruhi­ger. Aus einem, wie er sagt, typi­schen Vater-Kind-Pro­jekt fand er zum Bogen­schießen. Mit sei­nem damals sie­benjähri­gen Sohn hat er einen Bogen gebaut. Der Sohn ver­lor bald das Inter­esse, der Vater blieb dabei.

Uli Nol­len­ber­gers Wett­kampf-Ehr­geiz war schnell geweckt. Er schoss in Verei­nen, gewann Meis­ter­schaf­ten und Tur­niere. Heute benutzt er einen soge­nann­ten Jagdre­curve-Bogen. Ein schwe­rer, kur­zer Bogen ohne Visier und tech­ni­sche Hilfs­mit­tel. Mit der Zeit erkannte er, dass er die­ses Hobby ideal in seine the­ra­peu­ti­sche Arbeit mit sucht­kran­ken Männern inte­grie­ren könnte. Nol­len­ber­ger, inzwi­schen Lei­ter der Fach­ab­tei­lung Dro­gen, Sucht und Psy­chose in der Fach­kli­nik Ring­gen­hof, bie­tet es für bis zu zwölf Pati­en­ten in einer soge­nann­ten Indi­ka­ti­ons­gruppe in der Fach­kli­nik Ring­gen­hof an. Inzwi­schen hat er auch einen Kol­le­gen dafür begeis­tert, der ihn unterstützt und Grup­pen über­nimmt.

»Beim Bogen­schießen wer­den innere Zustände sicht­bar«, erklärt er. Bei Männern sei der Umgang mit Aggres­sio­nen häufig ein Thema. »Das Bogen­schießen zwingt zur Struk­tur und zur Form«, sagt Nol­len­ber­ger. Der Ablauf erfor­dere Ruhe und Kon­zen­tra­tion und immer wie­der­keh­rende Abläufe in ritua­li­sier­ter Form, Schritt für Schritt erlernt. »Idea­ler­weise steht dann ein schöner Pfeilflug und ein gutes Tref­fer­bild im Ergeb­nis«, erzählt er. Die soge­nannte Tar­get Panic, also die Angst vor der Ziel­scheibe, ist bei Bogenschützen durch­aus ein Thema. Ziel sei es, diese Angst, mal auf­ge­tre­ten, zu über­win­den: eine Rückkehr zur guten und schönen Form, zur inne­ren Zufrie­den­heit und das mit möglichst gleich­blei­ben­dem Erfolg. »Es macht ja nie­man­dem Spaß, dau­er­haft dane­ben zu schießen.«

Uli Nol­len­ber­ger hat auch schon bei Fir­men­work­shops und Kon­gres­sen das Bogen­schießen für den the­ra­peu­ti­schen und sehr persönli­chen Ein­satz vor­ge­stellt. Eine Aus­bil­dung hat er nie absol­viert. »Die gibt’s auch nicht. In letz­ter Zeit haben aber ver­ein­zelt Schu­len und Wei­ter­bil­dungs­in­sti­tute Bogen­schießen unter the­ra­peu­ti­schen Aspek­ten in ihr Pro­gramm auf­ge­nom­men«, sagt er.

An die­sem Don­ners­tag, später am Nach­mit­tag, sitzt er wie­der auf dem Sat­tel sei­nes Renn­rads. Der Heim­weg war­tet, die schweißtrei­bende 21-Pro­zent-Rampe vom Mor­gen ist die­ses Mal eine rasante Abfahrt. Der mor­gend­li­che Beglei­ter hängt ihm wie­der am Hin­ter­rad. Die Rampe auf dem Rückweg offen­bart sich bei der Rückfahrt kurz vor Uli Nol­len­ber­gers Hei­mat­ort. Er hat mit sei­nem Beglei­ter ein Ein­se­hen. Im gemütli­chen Plausch und gemächli­chen Tritt geht es lang­sam den Berg hoch. Die Aus­dauer ist immer noch da. Auch nach einem lan­gen Arbeits­tag.