»Ich hab mich selbst
nicht mehr leiden können«

Porträt

»Ich hab mich selbst nicht mehr leiden können«

Peter Knauer*

Porträt

September 2017

Alkohol gab’s in seiner Familie eigentlich immer. Sein Vater war alkoholkrank, nahm sich das Leben, als Peter Knauer* 18 war. »Bei Festen, Besuchen oder beim Sport – alle haben immer gesoffen. Ich dachte, das wäre normal«, erinnert er sich. Und hat irgendwann einfach mitgesoffen. Da war er 15 oder 16. In Spitzenzeiten leerte er 20 Flaschen Bier und einige Schnäpse pro Tag. Dazu einen Beutel Tabak. Später kamen noch Hasch, Marihuana, Kokain, Speed und Schmerzmittel dazu. Bis es irgendwann nicht mehr ging ... das Porträt.

Text: Annette Scherer

Zum Aus­tausch über seine Geschichte lädt Peter Knau­er* in sein hei­mi­sches Wohn­zim­mer in einem reno­vier­ten Bau­ern­haus in einer ober­schwäbischen Gemeinde ein. Ein sport­li­cher, auf­ge­schlos­se­ner Mann steht gleich nach dem ers­ten Klin­geln an der Türe und bie­tet an einem glänzen­den, dun­kel­brau­nen Tisch Platz an. Direkt beim Ess­tisch eine Pinn­wand mit Fotos von jun­gen, hübschen Mädchen. »Meine drei Töchter!« sagt er stolz. Der gute Kon­takt zu ihnen ist ihm sehr wich­tig. Mit ihnen will er in die­sem Jahr sei­nen run­den Geburts­tag fei­ern. Er wird im Okto­ber 50.

Als jun­ger Mann machte Knauer eine Aus­bil­dung zum Mau­rer und danach eine Wei­ter­bil­dung zum Bau­tech­ni­ker, lernte eine Frau ken­nen, hei­ra­tete, bekam die ers­ten bei­den Töchter. Irgend­wann schei­tert seine Ehe. »Mir war damals alles egal, außer, dass ich mein Sauf­le­ben wei­ter durch­zie­hen konnte«, bekennt er. Und auch, dass er damals noch kein Bewusst­sein für sein Pro­blem gehabt habe. Noch heute kann er sich genau an den Zeit­punkt erin­nern, als ihm bewusst wurde, dass er sein eige­nes Leben nicht mehr im Griff hat: »Das war auf dem Rückweg von München. Da habe ich plötzlich fest­ge­stellt, dass ich ohne Alko­hol Ent­zugs­er­schei­nun­gen habe. Ich bin ohne Alko­hol regel­recht in ein Loch gefal­len, war aggres­siv gegen andere und später dann depres­siv. Je mehr Alko­hol ich trank, desto größer wur­den meine Wahn­vor­stel­lun­gen und auch die Eifer­sucht. Das war wie ein Teu­fels­kreis. Mir wurde an dem Tag plötzlich klar: Jetzt ist Ende.«

So wollte der damals 45-Jährige nicht mehr leben. »Darauf hatte ich kei­nen Bock mehr. Ich habe mich sel­ber nicht mehr lei­den können«, sagt er. Auch seine dama­lige Lebens­gefährtin, mit der er gemein­sam seine dritte Toch­ter hat, ermu­tigt ihn, seine Sucht zu bekämpfen. Peter Knauer beschließt, einen Weg aus der Sucht zu suchen. Sein eige­ner Lei­dens­druck war im Nach­hin­ein sein größter Moti­va­tor.

Dann geht alles sehr schnell. Erst zehn Tage Ent­zug, dann sechs Wochen Tage­s­kli­nik und im Anschluss 16 Wochen in der ganztägig ambu­lan­ten Tages­reha Boden­see-Ober­schwa­ben der Zieg­ler­schen in Ravens­burg. »Der Ent­zug war nicht höllenmäßig. Ich war nur unru­hig und fühlte mich leicht unwohl. Es war nicht das körper­li­che – der psy­chi­sche Ent­zug war viel schlim­mer.«

Peter Knauer ist sehr dank­bar für seine Zeit in der The­ra­pie: »Alle, die mir in mei­ner Reha­zeit in den Ein­rich­tun­gen begeg­net sind, haben rie­si­ges Enga­ge­ment auf­ge­bracht und woll­ten mir hel­fen. Die hat­ten dort alle einen Plan, und ich konnte in die­ser Zeit so viel über mich erfah­ren, wie sonst in kei­ner ande­ren Zeit mei­nes Lebens. Das war wirk­lich der Ham­mer! Hart, aber top.«

Heute, fünf Jahre nach sei­nem Ent­zug, ist Peter Knauer immer noch clean. Und seit eben­falls fünf Jah­ren fei­ert er jedes Jahr zwei­mal Geburts­tag – ein­mal im Herbst den Tag sei­ner Geburt und im Frühling den Jah­res­tag sei­nes Reha-Antritts.

Noch heute steht er im Kon­takt zu Mar­tin Kunze, dem The­ra­peu­ti­schen Lei­ter der Tages­reha Boden­see-Ober­schwa­ben, der ihn damals auf sei­nem Weg aus der Sucht beglei­tet hat. Am Jah­res­tag sei­ner Sucht-Reha schickt Peter Knauer ihm immer eine Mail. Und ein­mal pro Jahr kommt er auch zu Besuch. Er nimmt sich Zeit für die Men­schen, die dort gerade eine The­ra­pie machen und einen Weg aus der Sucht suchen. »Die Pati­en­ten hier sind regelmäßig begeis­tert, wenn er zu uns kommt und über sein Leben erzählt«, berich­tet Kunze. »Herr Knauer war für mich ein beson­de­rer Pati­ent. Er stellte sich von Anfang an der scho­nungs­lo­sen Aus­ein­an­der­set­zung mit sich und sei­ner Such­ter­kran­kung. Vom ers­ten Tag an wollte er seine persönli­che Ent­wick­lung und die Funk­tion der Sucht bes­ser ver­ste­hen und ein­ord­nen. Ins­ge­samt ein authen­ti­scher Mensch, der sich und ande­ren nichts vor­macht und bei dem man wusste, woran man ist.«

Heute emp­fiehlt Peter Knauer: »Man muss sich sel­ber anneh­men und mit sich zufrie­den sein. Das macht viel gelas­se­ner. Ich kann heute vie­les bes­ser erken­nen und dann rea­gie­ren. Wenn mich etwas ärgert, kann ich jog­gen oder offen­siv das Gespräch suchen. Ich kann heute auch mal ganz offen sagen: Ich bin scheiße drauf und habe Leute, die mir zuhö- ren. Und ich kann nach wie vor aus­flip­pen – nur jetzt halt ohne Alko­hol. Manch­mal muss ich zur Ent­span­nung auch ein­fach nur mit mei­nem Motor­rad durch das Allgäu düsen.«

Wie und wo Peter Knauer die­ses Jahr sei­nen Geburts­tag fei­ern will, steht noch nicht fest. Viel­leicht eine Spritz­tour nach Ams­ter­dam. Oder ein Grill­fest im hei­mi­schen Gar­ten. Doch der Ort ist ihm eher zweit­ran­gig: Wich­tig ist nur, dass mit­ein­an­der gefei­ert wird und seine Töchter bei ihm sind.

*Name zum Schutz des Betrof­fe­nen geändert