Titelthema

April 2018

Fachkräftemangel

Wie die Zieglerschen den Personalmangel als Chance zur Weiterentwicklung und Erneuerung nutzen

Text: Harald Dubyk

Die Sozi­al­bran­che steht unter Druck. Der Arbeits­markt wird immer schwie­ri­ger, die Suche nach und das Hal­ten von Per­so­nal zum erfolgs­kri­ti­schen Fak­tor für Unter­neh­men der Sozi­al­wirt­schaft. Auch die Zieg­ler­schen ste­cken mit­ten­drin, Fachkräfteman­gel ist ein all­ge­genwärti­ges Thema. Doch wie immer: Der Druck fördert auch die Krea­ti­vität und die Bereit­schaft, sich der Her­aus­for­de­rung zu stel­len und neue Wege zu gehen. Die Zieg­ler­schen nut­zen den Per­so­nal­man­gel als Chance zur Wei­ter­ent­wick­lung und Erneue­rung. Die ers­ten, wich­ti­gen Schritte dabei sind bereits gegan­gen. Und viele wei­tere fol­gen &hel­lip;

Deutsch­land erlebt der­zeit ein Job­wun­der, die Arbeits­lo­sig­keit ist auf einem Tief­stand. Gut für Men­schen, die der­zeit eine Aus­bil­dung oder eine Anstel­lung suchen. Weni­ger gut für Arbeit­ge­ber, die sich zuneh­mend anstren­gen müssen, Mit­ar­bei­ter zu gewin­nen und zu bin­den. Der Arbeits­markt in Deutsch­land im Jahr 2018 ist ein Arbeit­neh­mer­markt. Die Arbeits­lo­sen­quote lag deutsch­land­weit im Februar bei 5,7 Pro­zent, in Baden-Württem­berg bei 3,4 Pro­zent, in Ober­schwa­ben bei rund drei Pro­zent und in der Region Stutt­gart bei 3,8 Pro­zent. Job­su­chende und Wech­sel­wil­lige können zuneh­mend ent­schei­den, wo und wie sie arbei­ten möchten und wie lange sie ihrem Arbeit­ge­ber die Treue hal­ten. Das setzt die Unter­neh­men nahezu aller Bran­chen unter Druck. Arbeits­su­chende wer­den immer mehr zum for­dern­den Akteur in einem Bewer­bungs­ver­fah­ren.

Das spüren vor allem die Unter­neh­men der Sozial- und Gesund­heits­wirt­schaft, allen voran Pfle­ge­ein­rich­tun­gen und Kran­kenhäuser. Das Image der hel­fen­den Berufe ist sel­ten gut. Ungünstige Arbeits­zei­ten, schlechte Bezah­lung und geringe gesell­schaft­li­che Aner­ken­nung prägen das Bild vom Pfle­gen­den in der Öffent­lich­keit. Wer will sich da für eine Tätig­keit in einer sozia­len Ein­rich­tung ent­schei­den?

Auch die Zieg­ler­schen als soge­nann­ter Kom­plexträger haben zu kämpfen. Mit sei­nen fünf Hil­fe­fel­dern Alten­hilfe, Behin­der­ten­hilfe, Sucht­hilfe, Jugend­hilfe und Hil­fen für Kin­der und Jugend­li­che mit einer Hör- und/oder Sprach­be­hin­de­rung hat das Sozial­un­ter­neh­men der Dia­ko­nie nahezu die gesamte Band­breite hel­fen­der Berufe im Ange­bot. Und damit große Her­aus­for­de­run­gen zu bewälti­gen. Ende 2017 waren 3.177 Men­schen bei den Zieg­ler­schen beschäftigt. Die Zahl der offe­nen Stel­len lag Anfang März bei über 200. Vom Azubi in der Behin­der­ten­hilfe über den Leh­rer im Hör-Sprach­zen­trum bis zum Che­f­arzt in der Sucht­hilfe wur­den Mit­ar­bei­ter gesucht. Ähnlich ergeht es zum Bei­spiel der Stif­tung Lie­benau, einem großen Mit­be­wer­ber in der Region mit über 6.000 Mit­ar­bei­tern. Zum sel­ben Zeit­punkt stan­den 191 offene Stel­len unter­schied­li­cher Fach­rich­tun­gen auf der Home­page. Über­all kann ähnli­ches fest­ge­stellt wer­den. Vor allem Stel­len in der Alten­pflege und in der Behin­der­ten­hilfe sind im Ange­bot. Warum?

»Grundsätzlich gibt es zwei Trends, die sich gegen­sei­tig verschärfen. Da ist auf der einen Seite der stei­gende Pfle­ge­be­darf, auf der ande­ren Seite der dar­aus ent­ste­hende Mehr­be­darf an Pfle­ge­per­so­nal«, erklärt Doro­thee Schad, Geschäfts­be­reichs­lei­te­rin Per­so­nal bei den Zieg­ler­schen. Für die Ein­rich­tun­gen der Alten­hilfe sei es regio­nal unter­schied­lich schwer, Per­so­nal zu fin­den. Aber auch: Per­so­nal zu hal­ten. Schad weiß um die belas­ten­den Rah­men­be­din­gun­gen in der Pflege. »Es ist bekannt, dass die ständige Verfügbar­keit, also dass Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter kurz­fris­tig am Arbeits­platz ein­sprin­gen müssen, ein star­ker poten­zi­el­ler Stres­sor in Alten­pfle­ge­hei­men ist«, sagt Schad. Das führe nicht sel­ten zu Kon­flik­ten zwi­schen Arbeit und Fami­lie. In der Folge seien der Wunsch, die Ein­rich­tung oder den Pfle­ge­be­ruf zu ver­las­sen oder gar Bur­nout-Erschei­nun­gen immer wie­der zu beob­ach­ten.

Und dann sind da noch die stei­gende Bürokra­ti­sie­rung und der Kos­ten­druck. Fach­leute kri­ti­sie­ren die Durchökono­mi­sie­rung in der Gesund­heits- und Pfle­ge­bran­che. Sie gehöre, sagt Gio­vanni Maio, Pro­fes­sor für Bio- und Medi­zi­net­hik an der Albert-Lud­wigs-Uni­ver­sität Frei­burg, in einem Inter­view der Wochen­zei­tung »Die Zeit«, »zu den schwer­wie­gen­den poli­ti­schen und den­ke­ri­schen Feh­lern unse­rer Zeit«. Für Maio ist die Pflege der »Urbe­ruf der Zwi­schen­mensch­lich­keit«. Für den Medi­zi­net­hi­ker sei es fas­zi­nie­rend, ande­ren Men­schen etwas Gutes zu tun, wie es die Pfle­gen­den täglich in ihrem Beruf mach­ten. Maio sieht hier klar die Arbeit­ge­ber in der Pflicht, die Mit­ar­bei­ter zu unterstützen. Gelingt das einem Arbeit­ge­ber, kann er die soge­nannte Hal­te­quote von Mit­ar­bei­tern durch­aus erhöhen. Neben der Per­so­nal­ge­win­nung sei das der bedeu­tendste Schritt hin zu einer erfolg­rei­chen Per­so­nal­ar­beit.

Diese Bot­schaft ist bei Sven Lange, Geschäftsführer der Alten­hilfe der Zieg­ler­schen, längst ange­kom­men. Lange weiß: »Als Arbeit­ge­ber sind wir gefor­dert, den Pfle­ge­be­ruf attrak­ti­ver zu gestal­ten«. Und ergänzt: »Wir haben diese Her­aus­for­de­rung aktiv ange­nom­men.« So hat man sich in der Alten­hilfe in den letz­ten Jah­ren inten­siv dem Thema Ver­ein­bar­keit von Fami­lie und Beruf gewid­met. Immer mehr Senio­ren­zen­tren oder Dia­ko­nie-Sozi­al­sta­tio­nen haben fami­li­en­freund­li­che Rah­men­be­din­gun­gen geschaf­fen und wur­den dafür als »Fami­li­en­be­wusste Unter­neh­men« aus­ge­zeich­net. Seit Novem­ber 2017 haben es alle 25 Ein­rich­tun­gen der Alten­hilfe in den Zieg­ler­schen geschafft: Sie tra­gen das Prädikat »Fami­li­en­be­wusst«. Sven Lange: »Darauf sind wir sehr stolz.«

Die Zieg­ler­schen sind aber noch viele wei­tere Schritte gegan­gen, um Mit­ar­bei­ter zu bin­den und zu hal­ten. Dazu gehören eine sys­te­ma­ti­sche Mit­ar­bei­ter­qua­li­fi­zie­rung, die Unterstützung in der persönli­chen Berufs­ent­wick­lung und eine kluge wie verlässli­che Dienst­pla­nung. So sol­len Moti­va­tion und somit die Hal­te­quote erhöht wer­den, denn jeder Mit­ar­bei­ter, der geht, reißt damit ein Loch ins Team und treibt die Kos­ten für die Suche nach einer Nach­folge in die Höhe. Die Zieg­ler­schen haben vor allem die Gesund­heitsförde­rung ihrer Mit­ar­bei­ter im Blick, aber auch das Thema Führung. Gute Führung ist ein ele­men­tar wich­ti­ger Bau­stein, Mit­ar­bei­ter ans Unter­neh­men zu bin­den. »Wo Eigen­ver­ant­wor­tung und Betei­li­gung ermöglicht wer­den, aber auch das Team kol­le­gial mit­ein­an­der umgeht, erhält man eine wich­tige Res­source, mit Bean­spru­chung und Belas­tung bei der Arbeit umge­hen zu können und so arbeitsfähig zu blei­ben und seine Arbeit gern und enga­giert zu tun«, sagt Per­so­nal­che­fin Schad.

Es sind aber nicht nur die Berei­che der Zieg­ler­schen, in denen über­wie­gend Pfle­ge­leis­tun­gen erbracht wer­den, die von der sich verschärfen­den Lage auf dem Arbeits­markt betrof­fen sind. Gut aus­ge­bil­dete Son­derpädago­gen oder Erzie­her in der Kin­der­be­treu­ung des Hör-Sprach­zen­trums sind ebenso rar wie mehrjährig qua­li­fi­zierte The­ra­peu­ten und Ärzte in der Sucht­re­ha­bi­li­ta­tion. Vor allem die Suche nach Fachärzten für die Kli­ni­ken und Tages­re­ha­bi­li­ta­tio­nen der Sucht­hilfe bringt die Verant­wort­li­chen immer wie­der in Nöte. »Eigent­lich ist eine Tätig­keit bei uns in der Sucht­reha für Ärzte eine attrak­tive Sache«, sagt Geschäfts­be­reichs­lei­ter Eber­hard Gröh. Die Hier­ar­chien seien flach, die Bezah­lung sehr gut, es gebe keine Woche­n­end­dienste und damit fami­li­en­freund­li­che, fle­xi­ble Arbeits­zei­ten. Und doch würden die meis­ten Fachärzte einen großen Bogen um die Sucht­hilfe machen. Ein Schick­sal, das die Zieg­ler­schen mit vie­len ande­ren Anbie­tern von Sucht­re­ha­bi­li­ta­tion tei­len. Die Lage fördert aber auch die Krea­ti­vität, um an Per­so­nal zu gelan­gen, bis dahin, Ärzte aus dem Aus­land zu rekru­tie­ren.

Selbst in den Beru­fen, die nicht direkt am und mit den Men­schen arbei­ten, herrscht Anspan­nung. So zum Bei­spiel in der Haus­wirt­schaft. Zuneh­mend wird es schwie­ri­ger, geeig­nete Fachkräfte wie Haus­wirt­schafts­lei­te­rin­nen oder Meis­te­rin­nen zu fin­den. »Über die Stel­len­aus­schrei­bun­gen fin­den wir zum Glück immer noch Per­so­nal, aber nicht mehr so schnell«, sagt Chris­tine Lang, Abtei­lungs­lei­te­rin Haus­wirt­schaft in den Zieg­ler­schen. Gene­rell gehe die Zahl der Aus­zu­bil­den­den in der Bran­che zurück. Gute Kon­takte zu Fach­schu­len seien ein Mit­tel, hier gegen­zu­steu­ern, sagt Lang und erklärt: »Wir über­le­gen, ob wir nicht selbst in die Aus­bil­dung ein­stei­gen.«

Ein wei­te­res Mit­tel, um gegen­zu­steu­ern ist aber auch: sich und seine Stärken in der Öffent­lich­keit bes­ser zu präsen­tie­ren. Denn vor allem unter jun­gen Men­schen fehlt es oft an einer rea­lis­ti­schen Vor­stel­lung zum Bei­spiel von Pfle­ge­be­ru­fen. »Wenn sie nicht zufällig ein Großeltern­teil in einem Pfle­ge­heim haben, kom­men sie gar nicht auf die Idee, dass Pflege ein sin­nerfüllter Beruf ist«, weiß Doro­thee Schad.

Daher sind die Zieg­ler­schen nun auch nach außen in die Offen­sive gegan­gen und haben eine soge­nannte Per­so­nal­mar­ke­ting­kam­pa­gne gest­ar­tet. Ins­ge­samt 15 Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter wur­den dafür im letz­ten Jahr porträtiert. Sie erklären, warum sie bei den Zieg­ler­schen arbei­ten. »Was ich tue, erfüllt mit Leben« sind die Porträts über­schrie­ben, deren Bil­der auch die­ses Titel­thema illus­trie­ren. Eines der »Models« stel­len wir im Porträt vor. Par­al­lel dazu wurde das Stel­len­por­tal der Zieg­ler­schen im Inter­net aktua­li­siert, ein neuer Mes­se­auf­tritt gestal­tet und vie­les mehr. Doch was außen zu sehen ist, ist nur ein Teil der Medaille. Gen­auso wich­tig beim Per­so­nal­mar­ke­ting sind die lang­fris­tig ange­leg­ten Pro­zesse wie Nach­wuchsförde­rung und Aus­bil­dung, Zusam­men­ar­beit mit Per­so­nal­ver­mitt­lungs­agen­tu­ren oder das Anwer­ben von künfti­gen Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern aus dem Aus­land (siehe Inter­view).

Es ist also viel in Bewe­gung in den Zieg­ler­schen. Und wie so oft wird eine Krise zur Chance. Der Druck hat Krea­ti­vität gefördert und die Zieg­ler­schen sind wich­tige Schritte bereits gegan­gen. Wohin die Reise geht...? Sven Lange, Geschäftsführer der Alten­hilfe, hat dazu eine mutige Vision: »Unser Ziel ist es, in den kom­men­den fünf Jah­ren der Top 1-Arbeit­ge­ber in Baden-Württem­berg zu wer­den.« Wir sind gespannt!

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Als Arbeit­ge­ber sind wir gefor­dert, den Pfle­ge­be­ruf attrak­ti­ver zu gestal­ten. Wir haben diese Her­aus­for­de­rung aktiv ange­nom­men.

Wo Eigen­ver­ant­wor­tung und Betei­li­gung ermöglicht wer­den, kann man besser arbeitsfähig zu blei­ben und seine Arbeit gern und enga­giert tun.