Porträt
März 2017
Zu erzählen ist die Geschichte einer erfolgreichen deutsch-türkischen Integration. Hüseyin heißt der junge, jetzt 22-jährige Mann, Sohn türkischer Eltern und mit deutschem Pass. Es ist die Geschichte geglückter menschlicher Begegnungen von Menschen aus verschiedenen Religionen und Kulturen. Das Porträt.
Text: Rainer Kössl
Um ganz von vorne anzufangen: die Eltern Hüseyins wurden alles andere als zwangsverheiratet. Im Gegenteil. Die beiden jungen Leute, besser gesagt: die Kinder wohnten im gleichen kleinen Dorf im Süden der Türkei. Sie waren sich schon im Kindergarten, später auch in der Grundschule herzlich zugetan. In der Zeit der Gastarbeiter zogen beide Großväter – mütterlicherseits und väterlicherseits – gen Wirtschaftswunderland Deutschland. Der Großvater mütterlicherseits schlug Wurzeln, den väterlichen Familienteil zog es zurück in die alte Heimat. Hüseyins Vater blieb trotzdem in der Fremde – wegen seiner künftigen Frau: aus Liebe.
Im Oktober 1994 kam Hüseyin als zweites Kind der Familie in Sigmarigen zur Welt. Viele Menschen, deutsche und türkische, muslimische und christliche, haben seitdem seinen Lebensweg gesäumt. Es war ein Weg stetiger Integration. Genannt seien drei davon: sein Großvater, also der Vater seiner Mutter, dann Lukas, sein bester Freund und zuletzt Manuela, die ihm nicht nur in schulischen Fragen zur Seite stand.
Der Neugeborene bekam den Namen seines Großvaters: Hüseyin, der kleine Liebling des Propheten. Die Verbindung der beiden sollte ein Leben lang tragend sein. Hüseyin senior: »Du heißt so wie ich.« Hüseyin junior: »Er hat mich gemocht, mich sogar bevorzugt.« Die beiden sind in derselben Großfamilie aufgewachsen. Im Sommer letzten Jahres musste der Junge den Alten zu Grabe tragen. In seinem Heimatdorf in der Türkei. Hüseyin hat anstandslos von seiner Firma Alu-Line in Bad Saulgau Urlaub bekommen. Er weiß das zu schätzen.
Und da ist Lukas, ein Kumpel aus Grundschulzeiten. Auch dann, als Hüseyin nach Altshausen in das Hör-Sprachzentrum kam, die heutige Leopoldschule, blieb die Verbindung. Gemeinsam waren sie Übungsleiter im Kampfsport. Lukas und seine Eltern hatten das volle Vertrauen der Familie Hüseyins, sodass er oft bei seinem Freund übernachten durfte. Eine Tatsache, die bei türkischen Familien nicht ganz so selbstverständlich ist. Lukas studiert heute Germanistik und Theologie in Tübingen. Die Beziehung beider ist ungebrochen. Hüseyin: »Er ist mein bester Freund. Ein Glücksfall für mich. Mein Bruder von einer anderen Mutter.«
So ähnlich muss es auch mit Manuela sein, der deutschen Freundin seiner Mutter. Sie ist ihm, als er in den beiden Berufskollegs die Fachhochschulreife ansteuerte, eine große Stütze gewesen. Auch sie nimmt Hüseyin in seine große Familie auf: »Meine große Schwester«.
Hüseyin ist Muslim. Ohne jeden Zweifel. Der regelmäßige Besuch in der Moschee war und ist ihm heilig. Auf die Frage, ob Imam zu werden für ihn keine Option sei, zögert er sehr lange. Bevor er dann, fast ein wenig enttäuscht, antwortet, dazu sei er schon zu alt. Der Islam, den Hüseyin und seine Familie leben und sehr diskret verkünden, hat ein menschenfreundliches Gesicht. Heißt für ihn: Respekt vor dem Alter, Respekt vor den Frauen, Respekt vor den Lehrenden. »Erhebe nie die Hand gegen eine Frau«, heiße es im Koran. Und an gleicher Stelle: »Jedem, der mir auch nur einen Buchstaben beibringt, würde ich 40 Jahre lang dienen.« Die Frau, die Hüseyin am meisten verehrt, ist seine Mutter. Aus dem Munde des Propheten Mohamed: »Das Paradies liegt unter den Füßen der Mütter.«
In einer Veranstaltung der Leopoldschule für Vertreter aus Verwaltung und Wirtschaft stellten sich drei ehemalige Schüler der Schule vor, die trotz ihrer Handicaps ihren beruflichen Weg mit Bravour gegangen waren. Darunter Hüseyin. Mit zwei Visitenkarten, die ihm Tore öffnen können, verließ er, durchaus stolz, die Veranstaltung.
Die eine wurde ihm von Prof. Dr. Axel O. Kern von der Hochschule Ravensburg-Weingarten überreicht. Mit der Einladung, sich ein Projekt der Hochschule »Bau eines Formel1-Autos« anzuschauen. Im übrigen, so der Professor zu Hüseyin, wenn er mal studieren wolle, er dürfe sich vertrauensvoll an ihn wenden. Genau dasselbe bot ihm auch ein anderer an. Jürgen Joos, Personalleiter bei Liebherr in Ehingen und als solcher zuständig für 4.000 Mitarbeiter rund um die Welt. Er überreichte ihm ebenfalls seine Visitenkarte. Hüseyin solle seine derzeitige Ausbildung fertig machen und sich dann an ihn wenden. Konstruktionsmechaniker brauche seine Firma dringend. Er als junger Muslim mit einer qualifizierten beruflichen Ausbildung sei für Liebherr Gold wert. Für ein Megaprojekt der Firma zum Beispiel auf der Halbinsel Sinai zum Bau von Riesenschirmen.
Dennoch, trotz dieser guten Nachrichten, Hüseyin ist in Sorge. Das Lebensgefühl in Deutschland sei für seinesgleichen anders geworden, schwieriger, unfreundlicher. Er fühle sich weniger zu Hause. Ja, er könne sich sogar vorstellen, wieder ganz in die Türkei zurückzukehren.
Dezember 2016
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