»Hier ist der Platz, den ich immer gesucht habe.«

Porträt

»Hier ist der Platz, den ich immer gesucht habe.«

Helmut Rotter

Porträt

März 2020

Eigentlich könnte Helmut Rotter, 58, derzeit mit einem »Ich hab‘s immer schon gewusst«-Blick durch die Welt gehen. Schließlich ist das, was der Chef der Bioland Rotach-Gärtnerei seit Jahrzehnten lebt, voll im Trend: bio, öko, nachhaltig. Aber Helmut Rotter ist kein Rechthaber. Getreu seinem Glaubensweg zu leben und im Stillen, als Vorbild, etwas zu bewegen – das ist ihm wichtiger als »zu viel Diskussion«. Das Porträt.

Text: Vanessa Lang

Ver­mut­lich hat alles damit zu tun, dass er »fast auf dem Acker« gebo­ren ist, wie Hel­mut Rot­ter lachend erzählt. Die Mut­ter war auf dem Feld, als Hel­mut, fünftes von ins­ge­samt sechs Kin­dern, drin­gend auf die Welt wollte. Gerade so schaffte sie es noch ins Kran­ken­haus. Hel­mut  Rot­ters Kind­heits­er­in­ne­run­gen klin­gen wie aus der »Bul­lerbü«- Idylle von Astrid Lind­gren: Ein klei­nes Dorf in Fran­ken, viele Kin­der, eine schöne Dorf­ge­mein­schaft, ein tol­ler Pfar­rer, Bibe­l­ar­beit und Lager­feuer. Tag für Tag ging’s mit der Mut­ter aufs Feld, die Kin­der im Schub­kar­ren, gespielt wurde auf der Wiese. Und weil das Geld in der Großfami­lie knapp war, ver­sorgte man sich selbst: Gemüse, Kar­tof­feln und Rüben, dazu Milch­zie­gen, ein Schwein, Hasen, Hühner, Enten und Gänse. Für Hel­mut, der früh auf dem Feld und im Stall mit­half, »eine schöne, erfüllte Kind­heit«.

Man muss so ein Leben nicht zwangsläufig als glücklich emp­fin­den – Hel­mut Rot­ter tut es. Also beginnt er eine Aus­bil­dung zum Gärtner. Dort kommt er mit dem Thema Öko-Anbau in Kon­takt und ist völlig fas­zi­niert. Er lernt alles über das ver­steckte Leben im Boden, über Pflan­zen, Nützlinge, auch darüber, wie Gen­verände­run­gen oder Che­mie die Natur belas­ten und zerstören. Und er will noch mehr wis­sen und stu­diert ökolo­gi­sche Land­wirt­schaft an der ehe­ma­li­gen »Deut­schen Kolo­ni­al­schule für Land­wirt­schaft, Han­del und Gewerbe« in Wit­zen­hau­sen bei Kas­sel. Hier trifft er Men­schen aus aller Welt, die sei­nen Hori­zont erwei­tern. Eines der schönsten Erleb­nisse ist ein Prak­ti­kum in den USA. Noch heute, 30 Jahre später, gerät Hel­mut Rot­ter ins Schwärmen, wenn er erzählt, wie er mit­ten in den Straßenschluch­ten von Man­hat­tan Bio-Gemüse auf dem Markt ver­kauft hat. Und wie er durch Nord­ame­rika gereist ist, von Bio­hof zu Bio­hof, Getrei­de­fel­der bis zum Hori­zont.

Nach dem Ende des Stu­di­ums geht er auf Suche. Er pro­biert sich aus – etwa als Kon­trol­leur für den BIOLAND-Ver­band, als Älpler in Graubünden oder in einer sozi­al­the­ra­peu­ti­schen Dorf­ge­mein­schaft mit behin­der­ten Men­schen. Und er bemerkt, dass ihm neben Land­wirt­schaft und Gar­ten­bau auch die Arbeit mit behin­der­ten Men­schen am Her­zen liegt. 1998, als er in Wil­helms­dorf die BIOLAND Rotach-Gärtne­rei der Zieg­ler­schen über­nimmt, in der Men­schen mit und ohne Behin­de­rung arbei­ten, ist er ange­kom­men.

20 Jahre später ist Wil­helms­dorf seine Hei­mat gewor­den. Hier lebt Hel­mut Rot­ter mit Frau und Sohn David (21). Die Rotach-Gärtne­rei hat er zu einem flo­rie­ren­den Betrieb mit Gemüsever­ar­bei­tung und gut besuch­tem Laden gemacht. Er ist der all­seits beliebte Chef eines 35-köpfi­gen Teams und hat sich die Freude an der tägli­chen Arbeit mit den Men­schen mit Behin­de­rung bewahrt. Natürlich packt er bis heute auf dem Feld oder beim Karot­tenschälen selbst mit an. Arbei­ten in der Natur, in »Respekt und Demut vor der göttli­chen Schöpfung« und ein Leben »im ganz­heit­li­chen Ein­klang von Men­schen, Tie­ren und Pflan­zen« – das ist der Platz, den er immer gesucht hat.

Und doch: Wil­helms­dorf ist nicht Bul­lerbü und Hel­mut Rot­ters Leben als Chef bringt auch Belas­tun­gen mit sich. Er erlebt Fremd­be­stim­mung von außen, Bürokra­ti­sie­rung, Ver­ord­nun­gen, die das Arbei­ten schwe­rer machen. Am schwie­rigs­ten emp­fin­det er den Spa­gat zwi­schen dem Anspruch, die Men­schen mit Behin­de­rung gut anzu­lei­ten und da abzu­ho­len, wo sie sind, und dem Thema Wirt­schaft­lich­keit. Vor zwei Jah­ren hatte er einen Schlag­an­fall.

Mitt­ler­weile hat er sich davon erholt und sagt: »Man muss sich einen Schutz­man­tel auf­bauen gegen die Wid­rig­kei­ten im All­tag.« Die zuneh­mende Ver­schmut­zung der Erde, des Was­sers und der Luft, Arten­schwund und Insek­tenster­ben – all das beschäftigt ihn. Und doch sieht er sich nicht als Rich­ter in Sachen Nach­hal­tig­keit: »Jeder muss für sich persönlich Ant­wor­ten fin­den«. Getreu sei­nem Glau­bens­weg zu leben und im Stil­len, als Vor­bild, etwas zu bewe­gen – das ist ihm wich­ti­ger als »zu viel Dis­kus­sion«. Am Ende gefragt, wel­ches Tier er gerne wäre, über­legt er kurz. »Ein Vogel«, ant­wor­tet er dann. »Die Dinge aus einem ande­rem Blick­win­kel sehen, ganz nah am Him­mel sein – und frei.«