Angedachtes_von

Stefan Geiger

Tod und Sterben – bei diesem Thema sind wir oft hilflos, sprachlos. Warum eigentlich? Gedanken von Stefan Geiger, Therapeut und Seelsorger in unserer Jugendhilfe.

Angedachtes

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Stefan Geiger

Tod und Sterben – bei diesem Thema sind wir oft hilflos, sprachlos. Warum eigentlich? Gedanken von Stefan Geiger, Therapeut und Seelsorger in unserer Jugendhilfe.

Angedachtes

März 2017

Tod, wo ist Dein Stachel?

Text: Stefan Geiger

Am Anfang: Fra­gen
Obwohl jedem klar ist, dass er oder sie ein­mal ster­ben muss, erlebe ich bei sehr vie­len Men­schen ein sehr großes Befrem­den, wenn es um das Ster­ben und den Tod geht. Warum? Todes­an­zei­gen in der Zei­tung: Sie berühren nicht, wenn von Men­schen »Abschied genom­men« wird, die sehr alt wur­den. »Sie hat­ten ein erfülltes Leben.« Anders wird es, wenn in Anzei­gen plötzlich der eigene Jahr­gang steht. Noch eine Stei­ge­rung sind Todes­an­zei­gen von Kin­dern oder Jugend­li­chen. Warum? Bei vie­len (deut­schen!) Todes­an­zei­gen steht am Schluss: »Von Bei­leids­be­kun­dun­gen am Grab bit­ten wir Abstand zu neh­men!« Warum? Wie gehe ich mit dem »Thema« Tod und Ster­ben persönlich um? Der Tod – das Ende, vor dem man sich fürch­ten muss?

Ich habe mit vie­len Men­schen »über« das Thema Tod und Ster­ben gespro­chen, ob Kon­fir­man­den oder Jugend­grup­pen, Mit­ar­bei­ter der Behin­der­ten- oder Jugend­hilfe, mit Eltern oder auf Semi­na­ren. Dabei konnte ich immer wie­der erle­ben: Wenn man vor­beu­gend, also mehr »theo­re­tisch« über das Thema spricht, dann bleibt eine große Distanz, ein großer Abstand. Der eigene Tod wird aus­ge­klam­mert. Wenn ich aber mit Men­schen spre­che, die einen Angehörigen oder zu Betreu­en­den »ver­lo­ren« haben, dann ist das Mitein­an­der völlig anders: Da ste­hen plötzlich Gefühle ganz stark im Vor­der­grund. Und damit ein ande­res Thema: Leid und Trauer. Nein, so stelle ich oft fest, irgend­wie habe ich den Ein­druck, wir haben in unse­rer Gesell­schaft keine rich­tige, auf­rich­tige Lei­dens- und Trau­er­kul­tur. Wie oft fal­len Sätze wie: »Es ist doch für den Betrof­fe­nen bes­ser so, er ist erlöst!«, »Jetzt habt Ihr wie­der mehr Zeit für Euch!« oder schlicht nur der hilflose Satz: »Herz­li­ches Bei­leid!«, weil einem nichts Bes­se­res einfällt. Mir sagte ein­mal ein Nie­derländer: »Bei uns zu Hause auf dem Land wird bei einer Beer­di­gung über­haupt nicht gespro­chen, ent­we­der nickt man sich zu oder man umarmt sich wort­los. Warum müsst Ihr Deut­schen immer alles kom­men­tie­ren?«

Letzt­lich sind wir bei dem Thema Tod und Ster­ben meist schlicht und ein­fach hilf­los, ohnmächtig, ja »sprach­los«. Wäre es nicht eine Form, mit dem Tod und Ster­ben genau so umzu­ge­hen: ein­fach ehr­lich sprach­los sein? Aber die­ses »ehr­lich sein« setzt vor­aus, dass man zum Bei­spiel die Situa­tion mit dem Ster­ben­den oder den Angehörigen ein­fach aus­hal­ten muss – und das fällt uns sehr, sehr schwer. Wie schnell geht man nach einer Beer­di­gung zum All­tag über, weil man – so ver­mute ich – es anders nicht aushält? Am Rande bemerkt: Haben Sie sich schon ein­mal gefragt, warum wir selt­same Begriffe wie Lei­chen­halle, Lei­chen­schmaus oder Lei­chen­wa­gen ver­wen­den? Ist das nicht geschmack­los? Der Mensch, den wir lie­ben, um den wir trau­ern, wei­nen, an sei­nem Tod viel­leicht auch ver­zwei­feln, es nicht fas­sen können, die­ser Mensch ist dann plötzlich nur noch eine »Lei­che«?

Das sind spon­tane, split­ter­hafte Gedan­ken, kein theo­lo­gi­scher Auf­satz oder der­glei­chen. Aber immer lande ich an dem Punkt: Wir sind dem Ster­ben und Tod in unse­rer Gesell­schaft meist hilf­los, unsi­cher, gehemmt gegenüber. Muss es dabei blei­ben?

Der Tod – eine Berei­che­rung für das Leben
Diese Über­schrift wer­den viele viel­leicht komisch fin­den oder nicht ver­ste­hen. Ich bin dem Tod in mei­nem Leben viel­fach begeg­net, schon als Kind (Pfar­rers­sohn). Als Jugend­li­cher erlebte ich, wie junge Men­schen star­ben. In mei­nem Freun­des- und Bekann­ten­kreis und in mei­nem Arbeits­feld begeg­nete mir der Tod lieb­ge­wor­de­ner Men­schen, nicht zuletzt aber auch bei einem eige­nen Herz­still­stand mit Nahto­der­leb­nis.

Für mich haben diese vie­len Begeg­nun­gen mit dem Tod mein Leben verändert. Vor allem habe ich dadurch gelernt, mein Leben dank­bar zu sehen und zu neh­men. Dank­bar für den Augen­blick zu sein und die­sen genießen zu dürfen – wenn dies den All­tag prägt, dann ist dies ein Reich­tum, den einem nie­mand neh­men kann (auch nicht der Tod!). Und das andere: Der Tod hat für mich den Sta­chel ver­lo­ren, nicht zuletzt in dem Gedan­ken, in Got­tes Armen gebor­gen zu sein – im Leben, Ster­ben und im Tod.

Zum Schluss
Ein 11-jähri­ger Junge, der an einem schwe­ren Hirn­tu­mor gelit­ten hat, sagte im Augen­blick sei­nes Ster­bens mit einem unver­ge­ss­li­chen, ent­spann­ten Lächeln im Gesicht: »Ich bin froh, jetzt habe ich’s geschafft. Danke für alles, mein Leben war schön!« Dann schloss er die Augen und starb.