Und am Ende reitet er auf einem Pferd davon ...

Porträt

Und am Ende reitet er auf einem Pferd davon ...

Porträt

Dezember 2020

Bauer, Schäfer, Taxifahrer, Zimmermann, Lehrer, Schul­direktor ... Bernd Eisenhardt war und ist vieles in seinem Leben. Der 63-Jährige, der vierzehn Jahre die Haslachmühle als Direktor leitete, erlebte kurz vor den Ferien seinen letzten Tag in den Zieglerschen. Nun genießt er seinen Ruhestand. Das Porträt.
 

Text: Petra Hennicke


»Ich kam an und dachte, ich bin im falschen Film. Ein Junge hatte einen Gul­li­de­ckel aus der Umran­dung geris­sen und wollte ihn jeman­den über den Kopf hauen. Ein ande­rer war ban­da­giert von Kopf bis Fuß. Und gespro­chen hat kei­ner ein Wort.« An den 1. März 1989 erin­nert sich Bernd Eisen­hardt noch genau. Es war sein ers­ter Tag in der Has­lachmühle, wo Men­schen mit geis­ti­ger Behin­de­rung leben, die auch beim Hören und Spre­chen ein­ge­schränkt sind. 31 Jahre ist das her. Und noch immer fühlt man es, wenn Bernd Eisen­hardt sagt: »Ich war wirk­lich geschockt.«

Dabei war die Arbeit mit geis­tig behin­der­ten Men­schen nichts Neues für den damals 31-Jähri­gen. Sei­nen Zivil­dienst hatte er in einer Behin­der­ten­werk­statt in Sin­del­fin­gen absol­viert, war als Betreuer auf Feri­en­frei­zei­ten, hatte dabei seine »soziale Ader« ent­deckt: »Ohne den Zivil­dienst wäre ich ver­mut­lich Bauer gewor­den.« Statt­des­sen stu­diert er Son­derpädago­gik in Reut­lin­gen, ver­dient sei­nen Lebens­un­ter­halt mit Taxi­fah­ren, lernt seine Frau Rosy ken­nen – und kauft zusam­men mit Freun­den spon­tan einen alten Hof in Ill­men­see. Das ver­fal­lene Gehöft, im Hin­ter­land vom Boden­see, wird zur großen Wohn­ge­mein­schaft. Und zu einem Feri­en­hof für Men­schen mit geis­ti­ger Behin­de­rung. Dane­ben wird stu­diert und immerzu saniert. Sie­ben Jahre dau­ert das Aben­teuer »Saat­korn­hof«. In der Zeit sind Bernd Eisen­hardt und Frau Rosy nur ein­zi­ges Mal im Urlaub: »Zehn Tage Kor­sika, das war’s«. Auch die Hei­rat passt ins Bild: »Die war im umge­bau­ten Stall und am nächs­ten Mor­gen um 7 Uhr haben wir schon wie­der am Dach gebaut.«

Als das »Kom­mu­ne­le­ben« aus­ein­an­der­bricht, bleibt nicht nur eine mensch­li­che Enttäuschung. Auch beruf­lich steht Bernd Eisen­hardt vor dem Nichts. Die Has­lachmühle ist sein »Ret­tungs­an­ker«. Der »wilde Typ« ist mit dem fes­ten Vor­satz gekom­men, »Klas­sen­leh­rer zu wer­den und nie wie­der Chef«. Ein hal­bes Jahr später ist er Stu­fen­lei­ter. Dann kom­missa­ri­scher Schul­lei­ter, 2004 stell­ver­tre­ten­der Fach­schul­di­rek­tor und 2014 wird er Direk­tor der Has­lachmühle. Es ist eine Kar­riere wider Wil­len und man nimmt es Bernd Eisen­hardt ab, wenn er sagt: »Da gab’s nie jeman­den, der das machen wollte, und ich hab mich breit­schla­gen las­sen.«

Warum? Ver­mut­lich, weil er in den Gul­li­de­ckel wer­fen­den Kin­dern schnell »ganz arg lie­bens­werte Men­schen« ent­deckt. Und weil es ihm wie vie­len Kol­le­gen hier geht: »Wenn man sich ein­mal ein­ge­las­sen hat, dann bleibt man. Ich hab in mei­nem Berufs­le­ben viele Jubiläums­kar­ten über­reicht«. In 31 Jah­ren Has­lachmühle erlebt er große Momente. Vor allem die posi­tive Ent­wick­lung von Kin­dern, die er über Jahre beglei­tet hat. »Eine größere Erfüllung im Berufs­le­ben kann ich mir kaum vor­stel­len.« Er erlebt aber auch Enttäuschun­gen, etwa als das Schwimm­bad der Has­lachmühle geschlos­sen wer­den muss. Und trau­rige Momente, wenn Kin­der ster­ben und er bei der Aus­seg­nung vorne ste­hen muss. Mit der »Außenklasse« in Ilmen­see setzt er Inklu­sion um, als noch kaum jemand davon spricht. Und den Bau der Heidi-Zieg­ler-Schule, treibt er jah­re­lang voran: »eine mei­ner bes­ten Ent­schei­dun­gen«.

Dane­ben bleibt er hob­bymäßig der Bauer, der er fast gewor­den wäre. Fami­lie Eisen­hardt hat einen neuen Hof gekauft, lebt dort mit Scha­fen, Hun­den, drei Pfer­den &hel­lip; für alle drei Töchter eins. Mor­gens um 5.30 Uhr ver­sorgt der Direk­tor die Tiere, danach gehts in Büro, seine Tür ist immer offen. Und doch hat es ihn zwi­schen­zeit­lich aus der Kurve gewor­fen. Der ewige Kon­flikt zwi­schen Wirt­schaft­lich­keit und Verant­wor­tung für seine Mit­ar­bei­ter, Kin­der, die Eltern &hel­lip; Er grübelt, schläft schlecht &hel­lip; Burn-Out! Nach Kli­nik und Reha kann er bes­ser mit dem Druck umge­hen. Doch ganz weg ist er nie.

Nicht zuletzt des­halb hatte Bernd Eisen­hardt im Juni sei­nen letz­ten Tag, jetzt ist er im Ruhe­stand. Seit­her erlebt man ihn gelöst wie nie. Er ist froh, »sich nicht mehr nachts den Kopf zer­bre­chen zu müssen« und weiß »die Mühle« bei Sonja Fahr­bach in den aller­bes­ten Händen. Am Ende berei­ten die Kol­le­gen ihrem Chef einen emo­tio­na­len Abschied. Und ganz zum Schluss rei­tet er auf einem Pferd davon. Nun wid­met er sich ganz und gar sei­nem eige­nen Hof: 16 Schafe, 5 Hühner, 6 Enten, 8 Zwerg­wach­teln, 3 Pferde, 50 Obstbäume – da ist viel Nach­hol­be­darf.