Von der Liebe zum Tier und einem »nicht-essbaren« Schaf
Von der Liebe zum Tier und einem »nicht-essbaren« Schaf
Porträt
Dezember 2014
Nicolas Munz betreibt mit seiner Frau Beatrix einen Hof in der Nähe von Aulendorf. Dort tummeln sich die zweitgrößten Hühner der Welt, ein »nicht-essbares« Schaf, sieben Kühe, zwei Pferde, sieben Ziegen, Hip und Hop sowie 20 Alpakas. Und einmal die Woche auch Schüler aus dem Martinshaus Kleintobel der Zieglerschen. Ein Porträt.
Text: Sarah Benkißer
»Hallo, ich bin Nici Munz« – der sympathische Mittvierziger kommt mit ausgestreckter Hand auf mich zu. Den kleinen Hof ohne Navi zu finden, war nicht einfach. Doch irgendwann bin ich da, in »Latschisland«. Latschis, das sind zwei Höfe in der Nähe von Aulendorf im Landkreis Ravensburg. Einer davon gehört Nicolas Munz und seiner Frau Beatrix.
Mit Alpakas hat für Nicolas Munz (46) alles begonnen: 2004 sah er in einem Bericht, wie Kinder mit ADHS auf Alpakas als Therapietiere ansprechen. Da schaffte sich der gelernte Schreinermeister, der damals – wie seine Frau – in der Jugendberufshilfe arbeitete, selbst welche an. Zunächst standen die Tiere auf dem Hof der Schwiegermutter bei Ulm, ehe das Paar 2009 den Hof in Latschis übernahm. Seitdem züchtet Nicolas Munz Alpakas und verkauft sie unter anderem als Therapietiere. Doch das ist nicht alles, denn soziales Engagement und ein Herz für Tiere sind seine eigentlichen Triebfedern.
Nicolas Munz ist im Hauptberuf Lehrer in der Jugendhilfe der Zieglerschen. In Weingarten hat er nach der Schreinerlehre und einigen Jahren Berufserfahrung Lehramt studiert. Nun unterrichtet er Real- und Gymnasialschüler an der Schule für Erziehungshilfe im Martinshaus Kleintobel. Den zehn Hektar großen Hof »Latschisland« betreiben er und seine Frau privat. Doch Arbeit und Privates lassen sich hier nicht ganz trennen: Einmal pro Woche arbeiten nämlich drei Martinshaus-Schüler der Klassen 5 bis 8 mit den Tieren und lernen handwerkliche Berufe kennen. Basis-Kompetenz-Training ist dann für sie angesagt. Es sind Jugendliche, die selbst in den strapazierfähigen Schulalltag einer Jugendhilfe-Einrichtung zeitweise nicht integrierbar sind, weil ihre inneren Nöte überhand nehmen und sich in ihrem Verhalten entsprechend niederschlagen. »Diese Jugendlichen müssen erstmal wieder runterkommen«, sagt Nicolas Munz. Erlebnispädagogik und soziales Lernen haben dann eine Zeit lang Vorrang vor Englisch und Bio – bis die Krise überwunden ist. Der Einsatz auf Latschisland ist ein Baustein im Basis-Kompetenz-Training. »Es ist erstaunlich, was man durch die Arbeit mit den Tieren aus den Jugendlichen herauskitzeln kann«, erklärt Nicolas Munz. »Selbst Asperger-Autisten, die es ja nicht so mit der Gefühlsebene haben, werden bei uns oft emotional.« Jedem Wort hört man an, dass er voller Überzeugung hinter dem Konzept steht. »Eigentlich sollten noch viel mehr Jugendliche davon profitieren können«, sagt er bedauernd.
Dass Berufs- und Privatleben sich auf dem Hof überschneiden, stört Nicolas Munz nicht. Vielmehr wird deutlich, dass das Engagement für die Jugendlichen ebenso wie die Arbeit mit den Tieren zu einem ganzheitlichen Lebensentwurf gehören, der sich nicht einfach in Kategorien wie »Arbeit« und »Freizeit« aufteilen lässt. Das zeigt auch diese Geschichte: Gemeinsam mit zwei Kollegen hat Nicolas Munz das Projekt »Hühner, Kunst und Co.« konzipiert und sich dazu extra sogenannte »Cochins« angeschafft. Diese sogar an den Beinen gefiederten Hühner gehören zur zweitgrößten Hühnerrasse der Welt. Warum ausgerechnet »Cochins«? »Ich fand die so hübsch mit ihren ›Stampferle‹«, sagt er lachend. »Aber auch, weil sie so zutraulich sind.« Das ist für die Arbeit mit den Jugendlichen wichtig.
Neben Alpakas und Hühnern gibt es noch viele andere Tiere auf »Latschisland«: Da sind zum Beispiel Hip und Hop. Die beiden Kamerun-Schafe haben Nicolas Munz ihr Leben zu verdanken. Gemeinsam mit drei Ziegen warteten sie bei einem Metzger auf die Schlachtung. Das konnte Nicolas Munz nicht zulassen – vor allem nicht, als er erfuhr, dass die Ziegen hochtragend waren. Die Ziegen sind nun zu siebt und erfreuen sich bester Gesundheit. Auch für ein schwarzes Schaf hat das Ehepaar sich eingesetzt: »Meine Frau hat es mit der Flasche aufgezogen«, erzählt er. »Aber sie hat gesagt, dass sie sich die Mühe nur macht, wenn es dann auch nicht geschlachtet wird. Deshalb haben wir es ›Non-Food‹ genannt.«
Solche Geschichten erzählen Nicolas Munz und seine Frau, als seien sie das Selbstverständlichste auf der Welt. Bescheiden und bodenständig berichten sie von großen und kleinen Erfolgen im Umgang mit den Tieren und den Jugendlichen, aber auch von Arbeit und Mühe. »Der Hof sollte langsam etwas abwerfen«, sagt Beatrix Munz. Ideen, wie der Hof wirtschaftlicher werden könnte, haben sie viele, »aber das kostet immer erstmal alles, bevor es Gewinn bringt«, seufzt ihr Mann. Und wenn ein Herbststurm mal eben mehrere Meter Zaun einreißt wie Ende September, dann müssen andere Pläne halt warten.
Die Begeisterung für ihren Hof lassen sich die beiden davon aber nicht nehmen, denn die sitzt tief. Auf die Frage, ob sie für die Arbeit mit den Tieren und den Jugendlichen eine besondere Ausbildung gemacht hätten, lacht Beatrix Munz: »Nein. Das ist einfach Liebe. Liebe zum Tier und Liebe zum Menschen.«
Oktober 2014
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