»Uns gibt’s sozusagen nur im Doppelpack«
»Uns gibt’s sozusagen nur im Doppelpack«
Ina und Walter Ströbele
Porträt
Juni 2013
Sie organisieren Erholungswochenenden für Mütter behinderter Kinder. Sie klappern Firmen ab, um Gelder für eine Kunstreise behinderter Künstler lockerzumachen. Sie diskutierten in Gremien und Verbänden, um das Leben behinderter Menschen in den Zieglerschen und anderswo schöner zu machen … Seit mehr als 30 Jahren engagiert sich Ina Ströbele und seit 13 Jahren ihr Mann Walter ehrenamtlich für Menschen mit Behinderungen. Das Porträt.
Text: Brigitte Geiselhart
Aus Holzplatten Figuren sägen, sie farbig gestalten und mit unterschiedlichen Techniken behandeln, so dass sie verschiedene Plätze für lange Zeit verschönern können. In Südfrankreich eine erlebnisreiche Kunstwoche verbringen, mit Malsachen im Gepäck Museen, Kirchen, Märkte und Landschaften mit ganz anderen Augen sehen. Kraxeln was das Zeug hält und im Kanadier beweisen, dass durch gute Teamarbeit auch große Klippen umschifft werden können. Schöne Aktivitäten, die auch Menschen mit Behinderung Spaß machen, die sie in ihrem Menschsein weiterbringen, die Körper und Geist erfrischen, die den Zusammenhalt stärken. Aber auch Aktivitäten, die Geld kosten, die organisiert werden müssen. In jedem Fall wäre dies alles nicht möglich – ohne den »Förderkreis Behindertenhilfe der Zieglerschen e.V.«, die finanzielle Unterstützung seiner Mitglieder und den selbstlosen Einsatz vieler Ehrenamtlicher. Walter Ströbele gehört maßgeblich dazu.
Ein sorgenfreies Mütter-Verwöhn-Wochenende, auf dem man die Seele mal so richtig baumeln lassen kann und gleichzeitig sein Kind in behüteter Umgebung weiß? Wie gut könnte das tun. Eine »Multiplikatorenschulung «, um Gleichgesinnten das Rüstzeug mitzugeben, zu neuen ehrenamtlichen Teams zu reifen? Eine prima Idee. Die Begleitung der Behindertenhilfe durch Angehörige und Betreuer als hilfreiche Ergänzung zur Arbeit von Heimbeirat oder Werkstattrat ist für die Zieglerschen längst unverzichtbar geworden – und das seit mittlerweile 30 Jahren. Im »Beirat der Angehörigen und Betreuer« (BAB) gilt es, Sorgen und Anregungen von Angehörigen und Betreuern aufzunehmen, grundlegende, übergeordnete oder strukturelle Fragen zu besprechen, und sie etwa gemeinsam mit Wohnbereichs- oder Geschäftsleitung zu diskutieren. Zu den Menschen, die sich für ihre behinderten Angehörigen stark machen, zählen nicht nur Eltern, sondern auch Geschwister. Ina Ströbele ist hierfür das beste Beispiel.
Richtig gelesen. Der Familienname Ströbele ist bereits zweimal gefallen. Das Ehepaar aus Friedrichshafen harmoniert eben seit mehr als 40 Jahren nicht nur in privater Hinsicht, sondern ergänzt, motiviert und stärkt sich auch seit vielen Jahrzehnten im gemeinsamen ehrenamtlichen Engagement für Menschen mit Behinderung. Vor 30 Jahren hat Ina Ströbele mit der Eltern- und Angehörigenarbeit im BAB in Wilhelmsdorf begonnen – und ist ihr bis heute treu geblieben. Von 2009 an war sie darüber hinaus vier Jahre lang Sprecherin des ersten Beirats der Angehörigen und gesetzlichen Betreuer (BAB) im Bundesverband evangelische Behindertenhilfe e.V. (BeB) – eines Fachverbands im Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung. Im Juli zieht sie sich wegen gesundheitlicher Probleme aus dem Amt zurück. Mit nicht weniger Herzblut setzt sich ihr Mann Walter dafür ein, die Lebensqualität von Menschen mit Behinderung nachhaltig zu verbessern. 2006 hat er den Vorsitz des Förderkreises Behindertenhilfe der Zieglerschen – der in diesem Jahr sein 15-jähriges Bestehen feiern darf – übernommen, viele Projekte auf den Weg gebracht und wird nicht müde, in seinem jährlichen »Spendenmarathon« bei Privatpersonen zu werben, Firmen und Betriebe »abzuklappern «, um Gelder locker zu machen.
Ob es einen gemeinsamen Motivationsschub gab? Mit Sicherheit. Dass Ina Ströbeles behinderter Bruder Karl-Friedrich, der bis zum Alter von 23 Jahren in der elterlichen Umgebung wohnte, 1966 in der Haslachmühle und seit 1980 in Wilhelmsdorf ein neues Zuhause fand, war sicher auch für Ina und Walter Ströbele ein Signal, das die Verbindung mit der Behindertenhilfe immer stärker werden ließ. »Was heute in der Behindertenarbeit als selbstverständlich angesehen wird, musste in mühsamer Kleinarbeit aufgebaut werden«, erinnern die Ströbeles an – zum Glück längst vergangene – Zeiten, in denen in Behinderteneinrichtungen das Prinzip des »Aufbewahrens« im Mittelpunkt stand. »Beschäftigungstherapien, Bildungsangebote, der Aufbau einer tragfähigen Tagesstruktur – vieles musste manchmal auch gegen Widerstände vorangetrieben werden. Gut, dass ich damals jung war und kämpfen konnte«, sagt Ina Ströbele. »Wenn’s darauf ankommt, dann hast du immer noch Biss«, entgegnet ihr Mann, wohl wissend, dass das Gleiche auch für ihn selbst gilt.
»Unser Leben ist erfüllt – auch im fortgeschrittenen Alter«, sagen die beiden 66-Jährigen. »Auf der Suche nach Aufgaben waren wir allerdings nie. Die Aufgaben haben immer uns gefunden.« Noch ein Punkt, über den man sich im Hause Ströbele absolut einig ist: »Gott hat uns immer Menschen geschickt, die es gut mit uns meinten, die wir aber auch brauchten, um die Dinge in Fluss zu bringen und zu halten. Wir waren nie allein.« Der Blick geht aber nicht nur zurück, er geht auch nach vorn. »Das Schöne ist, dass wir vieles gemeinsam machen können«, sind Ina und Walter Ströbele dankbar. »Uns gibt’s sozusagen nur im Doppelpack«. Und daran soll sich so schnell nichts ändern.
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Ein weiteres Mitglied der engagierten Familie: Auch Enkelin Lenja setzt sich für die Behindertenhilfe ein.
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