»Die gefährliche Illusion, dass ein Gläschen geht«
Dr. Ursula Fennen
»Die gefährliche Illusion, dass ein Gläschen geht«
Dr. Ursula Fennen
Interview
Dezember 2014
Interview mit Dr. Ursula Fennen, MBA, Geschäftsführerin der Zieglerschen Suchthilfe, zur Frage, ob »kontrolliertes Trinken« für suchtkranke Menschen möglich. Die Antwort der Expertin lässt keine Zweifel: Wer alkoholkrank ist, für den bleibt nur die Abstinenz. »Alles andere ist eine gefährliche Illusion«.
Text: Petra Hennicke
Frau Dr. Fennen, der Ravensburger Bundestagsabgeordnete Dr. Andreas Schockenhoff wurde Anfang Oktober mit einem Glas Sekt in der Hand abgelichtet. Vor drei Jahren hatte er öffentlich gemacht, dass er »alkoholkrank« sei. Jetzt erklärte er, er trinke »minimale Mengen, die ich verantworten kann«. Seither gibt es eine heftige Debatte. Was sagen Sie dazu?
Meine Haltung ist sehr eindeutig: Wenn Herr Schockenhoff abhängigkeitskrank ist, wenn das also Kollegen klar diagnostiziert haben, dann ist für ihn kein kontrolliertes Trinken möglich. Dann hilft nur Abstinenz.
Einige Kollegen von Ihnen sehen das anders. Prof. Dr. Körkel von der Evangelischen Hochschule Nürnberg hält zum Beispiel »kontrolliertes Trinken« für möglich.
Ich kenne Herrn Körkel schon lange. Seit 20 Jahren wirbt er für das kontrollierte Trinken und verdient viel Geld damit. Seit 20 Jahren sind wir in der professionellen Szene in fachlicher Auseinandersetzung darüber. Aus ärztlicher Position heraus sage ich: Wer alkoholkrank ist, für den geht es nur mit Abstinenz. Die Idee des kontrollierten Trinkens bedient lediglich die Sehnsucht eines Alkoholkranken, dass er weiter trinken könne und nicht krank sein möge.
Worauf stützt sich diese Haltung?
Alkoholabhängigkeit lässt sich an psychischen und an körperlichen Symptomen diagnostizieren. Körperliche Symptome sind zum Beispiel Zittern, Schwitzen, Erbrechen, Schlafstörungen, Krämpfe bei Verzicht auf Alkohol, Hautveränderungen etc. Psychische Symptome sind ein unabweisbares Verlangen nach Alkohol, heimliches Trinken, Verstecke anlegen, wenn andere Interessen dem Alkohol untergeordnet werden oder das Verlassen normaler Trinkkonventionen, zum Beispiel morgens trinken oder in falscher Gesellschaft. Vor allem wenn die körperlichen Symptome auftreten, dann ist kein Zurück zum Trinken möglich. Der Körper hat ein Suchtgedächtnis, das heißt: Wenn eine Zelle wieder neuen Alkohol bekommt, auch nach langer Zeit, dann fängt der Stoffwechsel sofort wieder an zu arbeiten, wie er es gewohnt war. Dann geht es wieder los. Ich vergleiche das immer mit Hefeteig. Wenn Sie dem das entsprechende Substrat zuführen, dann fängt er an zu gehen und zu gehen – bis unendlich.
Aber sind solche einleuchtenden Erkenntnisse den Befürwortern des kontrollierten Trinkens nicht auch bekannt?
Doch, natürlich. Und genau das ist das Beunruhigende an dieser Diskussion, die wir übrigens immer wieder in Neuauflagen führen. Prof. Körkel & Co. beziehen kontrolliertes Trinken gar nicht auf Abhängigkeitskranke, sondern auf Menschen mit »riskantem Konsum«, die zu viel trinken, aber eben noch nicht körperlich abhängig sind. Für mich ist das aber eine hochgefährliche theoretische Unterscheidung, die bei wirklich Alkoholabhängigen, die Abstinenz anstreben, die Illusion erzeugt, dass ein Gläschen geht. Es geht eben nicht!
Frau Dr. Fennen, was glauben Sie, wie es mit Herrn Dr. Schockenhoff in Zukunft weitergeht?
Wenn die Kollegen wirklich eine Abhängigkeitserkrankung diagnostiziert haben, dann wird das auf Dauer nicht gutgehen. Wenn er möchte, biete ich Herrn Schockenhoff gerne zeitnah einen Therapieplatz bei mir an.
Vielen Dank für das interessante Gespräch!