»Ich will ein
ganz normales Leben«

Porträt

»Ich will ein ganz normales Leben«

Antonio Nuzziello

Porträt

März 2012

Er macht selber Nudeln nach einem alten Familien­rezept, verdient sein Geld als Land­schafts­gärtner, spart, um eine Familie zu gründen, ist Mitglied einer Narren­zunft und wohnt in eigenen Wohnung. Antonio Nuzziello (24) lebt ein ganz normales Leben – das er sich Stück für Stück erarbeitet hat. Das Porträt.

Text: Maike Bierwirth

Anto­nio Nuz­zi­ello steht an einer großen Hecke. Er trägt einen Hörschutz, dicke Hand­schuhe und schwere Arbeits­schuhe. Auf Brusthöhe hält er eine Motor­he­cken­schere. Neben ihm steht Rolf Bau­mann, der kaufmänni­sche Vor­stand der Zieg­ler­schen, und hört inter­es­siert zu. Ernst und kon­zen­triert erklärt Anto­nio, wor­auf es beim Hecken­schnei­den ankommt. »Hecken­schnei­den ist meine Spe­zia­lität«, erklärt Anto­nio Nuz­zi­ello selbst­be­wusst.

Seit 2009 arbei­tet der 24-Jährige bei Neu­land, dem Inte­gra­ti­ons­be­trieb der Zieg­ler­schen in der Gar­ten- und Land­schafts­pflege. In die­sen drei Jah­ren wurde er kon­ti­nu­ier­lich von sei­nem Meis­ter Günther Jor­dan an ver­schie­de­nen Maschi­nen geschult. Stolz, aber auch selbst­kri­tisch blickt er zurück: »Am Anfang konnte ich noch nicht so gut mit der Hecken­schere umge­hen, aber jetzt kann ich selbstständig die meis­ten Hecken­ar­ten schnei­den. Bei spe­zi­el­len Fällen brau­che ich manch­mal die Hilfe von mei­nem Chef.« Was er nicht so gerne macht, ist Unkraut jäten: »Das kann der Lucas bes­ser.« Lucas Prei­ser ist sein Kol­lege.

Anto­nio Nuz­zi­ello besuchte zunächst drei Jahre die Grund­schule in Ita­lien, sei­nem Hei­mat­land. Danach ging er einige Jahre in Stutt­gart auf die Schule. 1999 hat er in Wil­helms­dorf eine neue Hei­mat gefun­den: zunächst im Hoff­mann­haus, später in der Behin­der­ten­hilfe der Zieg­ler­schen. Ab Okto­ber 2004 besuchte Anto­nio Nuz­zi­ello den Berufs­bil­dungs­be­reich der Werk­statt für behin­derte Men­schen (WfbM), seit 2006 war er Mit­ar­bei­ter im Metall­be­reich. Die Arbeit hat Anto­nio Spaß gemacht, er hat viel gelernt und gute Rückmel­dun­gen bekom­men. Des­halb hat man in der Behin­der­ten­hilfe seine Wünsche für die Zukunft unterstützt: eigenständig woh­nen und Geld ver­die­nen. »Ich möchte ein ganz nor­ma­les Leben.«

»Gar­ten- und Land­schafts­pflege gefällt mir bes­ser als der Metall­be­reich, weil ich den gan­zen Tag draußen sein kann und mehr Geld ver­diene.« Und die­ses Geld braucht Anto­nio Nuz­zi­ello, um seine wei­te­ren Zukunftspläne ver­wirk­li­chen zu können: »Ich spare für einen Führer­schein, für meine Hoch­zeit und um eine Fami­lie zu gründen. Die Fami­lie hat aber noch Zeit, vor­her muss ich noch mehr spa­ren.« Da passt es, dass Anto­nios beruf­li­che Kar­riere so gut läuft. 2011 hat er einen Lehr­gang »Ket­tensäge« gemacht. Jetzt kann er tatkräftig beim Bäumefällen mit anpa­cken. Er weiß, dass die Maschine gefährlich ist und ach­tet selbstständig auf alle Sicher­heitsmaßnah­men: »Man muss immer die Schnitt­schutz­hose und den Helm auf­ha­ben, wenn man mit der Ket­tensäge arbei­tet.« Außerdem möchte er gerne sei­nen Beschäfti­gungs­um­fang erhöhen. Bis jetzt arbei­tet er mit 80 Pro­zent. Sein Chef unterstützt die­sen Wunsch, da sich Nuz­zi­el­los Geduld, Aus­dauer und Moti­va­tion kon­ti­nu­ier­lich gestei­gert haben.

Auch pri­vat läuft es der­zeit bes­tens. Seit Ende 2010 wohnt er in einer Ein-Zim­mer-Woh­nung. Zwei­mal pro Woche kommt ein Wohnas­sis­tent der Ambu­lan­ten Dienste der Behin­der­ten­hilfe zu ihm nach Hause. Dann spre­chen sie über Geld­ver­wal­tung, Ver­si­che­run­gen oder den bevor­ste­hen­den Umzug in eine Zwei-Zim­mer-Woh­nung. »Ich kann Wäsche waschen, ein­kau­fen, kochen und backen. Nur der Umgang mit Geld ist noch schwie­rig«, berich­tet Anto­nio. Irgend­wann will er auch das können.

Schon jetzt kann Anto­nio auch noch andere span­nende Dinge, zum Bei­spiel Nudeln sel­ber machen. Das hat er sei­ner ita­lie­ni­schen Her­kunft zu ver­dan­ken: »Ich hab ein Rezept von mei­ner Großmut­ter, das ist ein Fami­li­en­ge­heim­nis, das gebe ich nicht wei­ter!« Von sei­nem Großvater hat er angeln und Fische aus­neh­men gelernt.

In sei­ner Frei­zeit ist Anto­nio Nuz­zi­ello in der Nar­ren­zunft Plätzler in Wein­gar­ten Mit­glied und spielt lei­den­schaft­lich Fußball. Mit leuch­ten­den Augen erzählt er von sei­nem Sport: »Als ich in Stutt­gart gewohnt habe, habe ich beim VfB in der Jugend­mann­schaft gespielt.« Seit kur­zem spielt er in der 3. Mann­schaft des WRZ FG 2010, der Fußball­ge­mein­schaft von Wil­helms­dorf, Ried­hau­sen und Zußdorf. In Wil­helms­dorf kennt ihn fast jeder. Wenn er durch das Dorf läuft, wird er von allen Sei­ten gegrüßt, beson­ders von der jun­gen Damen­welt. Mit sei­nem südländi­schen Charme kommt er bei vie­len Frauen gut an. Doch sein Herz gehört nur einer: seit vier Jah­ren ist Anto­nio Nuz­zi­ello in einer fes­ten Bezie­hung, seit kur­zem sogar ver­lobt. Wenn er von sei­ner Ver­lob­ten spricht, strah­len seine Augen, er lächelt und seine Stimme wird weich. Sei­nen »Schatz« lobt er in den höchs­ten Tönen: »Sie kann bes­ser mit Geld umge­hen und kennt sich gut aus mit Ver­si­che­run­gen und sol­chen Sachen.« Für die­ses Jahr pla­nen die bei­den das erste Mal eine gemein­same Urlaubs­reise, im Frühling soll es nach Rom gehen. Anto­nio möchte sei­ner Freun­din sein Hei­mat­land zei­gen.

Das Thema Inklu­sion, dass in den Medien so auf­ge­regt dis­ku­tiert wird, spielt für Anto­nio Nuz­zi­ello keine große Rolle. Auf die Frage, was er dar­un­ter ver­steht, sagt er: »Inklu­sion heißt, dass auch wenn die Men­schen unter­schied­lich sind, gehören sie irgend­wie zusam­men.« Und so ist es bei ihm im Berufs­le­ben und pri­vat.