Angedachtes_von

Heidrun Hallanzy

»I’ve seen enough, that’s why I know, God left his place long, long ago.« In diesem Song von Milow finde ich mich auch manchmal wieder … Gedanken von Heidrun Hallanzy, Internatsleiterin im Hör-Sprachzentrum Altshausen.

Angedachtes

Angedachtes_von

Heidrun Hallanzy

»I’ve seen enough, that’s why I know, God left his place long, long ago.« In diesem Song von Milow finde ich mich auch manchmal wieder … Gedanken von Heidrun Hallanzy, Internatsleiterin im Hör-Sprachzentrum Altshausen.

Angedachtes

Juli 2012

Ich hab genug gesehen

Text: Heidrun Hallanzy

Der bel­gi­sche Lie­der­ma­cher und Sänger Milow beschreibt in sei­ner Bal­lade »The Priest« den inne­ren Kampf eines Pries­ters, der nach 42 Dienst­jah­ren glau­bens- und lebensmüde ist, enttäuscht von Gott und sei­ner Kir­che. Sein Erle­ben gip­felt in dem Satz: »I’ve seen enough, that’s why I know, God left his place long, long ago.« In den Wor­ten die­ses Pries­ters finde ich mich manch­mal wie­der, sowohl im beruf­li­chen als auch im pri­va­ten Leben. Immer dann, wenn ich trotz größter Mühe auf unerträgli­che – eigene oder fremde – Gren­zen stoße und erlebe, dass Gott nicht ein­greift und Dinge zum Bes­se­ren wen­det. Das enttäuscht und ernüchtert mich.

In mei­nem Beruf gilt es aus­zu­hal­ten, dass man­che Kin­der Belas­tun­gen und Han­di­caps mit sich her­um­tra­gen, die mich in mei­ner Hel­fer­rolle sprach- und hilf­los machen.

Man­che Psy­cho­the­ra­pie­for­men spre­chen in die­sem Zusam­men­hang von einem »Zeu­gen«, den es braucht, um Schwe­res ertra­gen zu können, um wei­ter­le­ben zu können, um Lebens­mut, viel­leicht sogar Lebens­lust wie­der­zu­fin­den. Ein Zeuge hat das Gesche­hene ent­we­der selbst mit ange­se­hen oder er teilt es ansch­ließend, indem er es noch ein­mal behut­sam mit mir anschaut, mit mir meine bedroh­li­chen Gefühle aushält, mir hilft, das Gesche­hene in mein Leben zu inte­grie­ren.

Nicht alleine unter­wegs zu sein, wenn es durch Tie­fen geht, halte ich für die bis­her wich­tigste Lek­tion in mei­nem Leben. Da auch ich – noch!!! – keine befrie­di­gende Ant­wort von Gott – oder sonst­wem – auf die Frage nach dem »Warum« des Lei­dens bekom­men habe, lebe ich einst­wei­len damit: Zwar hat Gott wirk­lich den Him­mel ver­las­sen wie Milow singt – aber er ist nicht gegan­gen, um uns im Stich zu las­sen. Er ist gegan­gen, um in der Per­son Jesu mit­ten in unser Leben ein­zut­au­chen, mit allen Kon­se­quen­zen: Erle­ben von Erfolg und Freund­schaft, aber auch von völli­ger Ver­las­sen­heit, Ohn­macht und Schmer­zen, letzt­lich von Ster­ben. In allem hat er an Gott fest­ge­hal­ten und damit den Tod und mit ihm alle lebens­zerstören­den Mächte besiegt – was übri­gens auch uns ver­heißen ist!

Ich tue mich sehr schwer mit einer Vor­stel­lung von Gott als demje­ni­gen, der allmächtig im blauen Him­mel thront und uns beim Lei­den zuschaut. Ich glaube, Gott kann uns man­ches Lei­den nicht erspa­ren, warum auch immer. Aber, und nun komme ich zurück auf die Sachen mit dem »Zeu­gen« in der Psy­cho­the­ra­pie: Gott sieht und bezeugt unser Lei­den. In Jesus teilt er es und ist mit­ten­drin. Ich bin über­zeugt, dass Gott unse­ren Schmerz fühlt, viel­leicht sogar mehr als wir selbst.

Wie heil­sam und ent­las­tend ist es, wenn jemand an mei­ner Seite ist und vor allem auch bleibt, selbst wenn sich der Schmerz als chro­nisch her­aus­stel­len sollte! Das ermu­tigt mich für die Arbeit auch mit sol­chen Kin­dernöten, die nicht so schnell – oder gar nicht – zu lösen sind. So kann ich es an ihrer Seite aus­hal­ten und ihr – manch­mal schwe­res – Leben tei­len.

Gleich­zei­tig erlebe ich mich in mei­nem Lei­den und mei­ner Hilf­lo­sig­keit mit­ge­tra­gen von mei­ner Fami­lie, von Freun­den, Kol­le­gen und auch von Gott. Ich kann weder bei ande­ren, noch bei mir selbst Lei­den vollständig ver­hin­dern. Aber ich kann eini­ges dafür tun, dass meine Mit­menschen und ich im Lei­den nicht alleine gelas­sen wer­den.