Angedachtes_von

Katharina Stohr

Eine kleine Wanderung vor etwa zehn Jahren. Plötzlich stellt sich mir ein Kreuz in den Weg. »Vater unser« – was für ein Zeugnis … Gedanken von Katharina Stohr, Autorin und freie Mitarbeiterin der Zieglerschen.

Angedachtes

Angedachtes_von

Katharina Stohr

Eine kleine Wanderung vor etwa zehn Jahren. Plötzlich stellt sich mir ein Kreuz in den Weg. »Vater unser« – was für ein Zeugnis … Gedanken von Katharina Stohr, Autorin und freie Mitarbeiterin der Zieglerschen.

Angedachtes

April 2014

Ein Kreuz am Wegesrand

Text: Katharina Stohr

»Vater unser«. Peng! Plötzlich blick­ten mir diese bei­den Worte auf einem fünf Meter hohen Eichen-Kreuz ent­ge­gen. Regel­recht in den Weg gestellt hat es sich, und den­noch unauf­dring­lich mit sei­nem ein­zig­ar­ti­gen Schrift­zug. Auf einer klei­nen Wan­de­rung war das, damals, vor etwa zehn Jah­ren. Hin­ein­ge­schnitzt, diese bei­den Worte, ins Holz, das schon jahr­zehn­te­lang der Wit­te­rung aus­ge­setzt und ent­spre­chend ver­bli­chen und aus­ge­wa­schen war.

Gott sei Dank stand eine Bank unter dem Kreuz, denn ich musste mich ange­sichts die­ses Gesamt­werks erst mal set­zen.

Und dann konnte ich mich nicht mehr satt sehen, an die­sen Wor­ten. Fast trot­zig stan­den sie da auf Augenhöhe – genauso trot­zig und eigen­sin­nig wie das Kreuz selbst am idyl­li­schen Wald- und Weges­rand, ein­sam in der Pampa – über Wie­sen, einem Fluss­ver­lauf und einem altem Gehöft thro­nend.

»Was für ein Zeug­nis«, dachte ich damals, »uralt – stellt sich ein­fach in den Weg und fes­selt den, der sich fes­seln las­sen will.« Doch waren es für mich keine Fes­seln, die ins Fleisch schnit­ten oder mir Frei­heit raub­ten. Im Gegen­teil: Das Kreuz zog mich an und je mehr ich mich daran klam­merte, umso größer wurde das, was sich Leben nennt. Und je mehr Bal­last ich am Kreuz ablud und zurückließ, umso leich­ter fiel der ansch­ließende Gang den Berg hoch. Ein­fa­cher wurde mein Leben durch diese »Fes­sel« nicht – aber erfüllter, vor allem mit Kraft und Freude, die nicht aus mir sel­ber kam. Und stim­mi­ger. Wie eine Ver­wand­lung. Wie der Oster­mor­gen.

Mitt­ler­weile wurde das Kreuz restau­riert. Über ein Jahr lang klaffte des­we­gen Leere, wo vor­her Fülle war. Nun blitzt es mit fri­schem Anstrich in die ober­schwäbische Land­schaft hin­ein. Der Schrift­zug ist geblie­ben. »Vater unser«. Hin­ein­ge­schnitzt in alle Ewig­keit.