»Die Größe aller bestand darin, mir zu vertrauen«

Nadja Klinger

Interview

»Die Größe aller bestand darin, mir zu vertrauen«

Nadja Klinger

Interview

April 2014

Die Publizistin Nadja Klinger ist gemeinsam mit der Historikerin Inga Bing-von Häfen Autorin des Heimkinderbuches der Zieglerschen, das nach mehr als zwei Jahren Arbeit in Kürze erscheint.

Text: Petra Hennicke

Frau Klin­ger, Sie sind Jour­na­lis­tin, Pub­li­zis­tin, preis­gekrönte Auto­rin aus Ber­lin. Wie kam es zu der Zusam­men­ar­beit mit den Zieg­ler­schen im fer­nen Ober­schwa­ben?
Die Zieg­ler­schen kamen auf mich zu, weil sie meine Arbeit kann­ten. Ich habe 2006 an einem Buch bei Rowohlt Ber­lin erschie­nen Buch über die neue Armut in Deutsch­land mit­ge­wirkt, in dem Betrof­fene porträtiert wur­den. Ähnlich sollte das Heim­kin­der­buch ange­legt wer­den: Fak­ten einer­seits und persönli­che Porträts und Geschich­ten auf der ande­ren Seite. Die­ses Kon­zept hat mich schließlich über­zeugt.

Wie sah die Arbeits­tei­lung mit Ihrer Co-Auto­rin Inga Bing-von Häfen aus?
Wir haben ja zwei par­al­lele Teile im Buch: den his­to­risch-fak­ti­schen Teil, der sich an das in Akten, Archi­ven und Hin­ter­las­sen­schaf­ten Vor­han­dene hält, und den Teil, der das Erlebte und Erlit­tene indi­vi­dua­li­siert und zeigt, dass Geschichte auf Men­schen gewirkt hat – und zwar auf jeden anders. Die Lebens­ge­schich­ten habe ich recher­chiert und auf­ge­schrie­ben.

Wo haben Sie Ihre Gesprächs­part­ner gefun­den?
Das war Team­ar­beit, ande­res wäre nicht möglich gewe­sen. Eine Spur in den Akten, Recher­chen zu Adres­sen, Tele­fon­num­mern. Viele Briefe, Tele­fonate ... Ich bzw. wir hat­ten dabei wirk­lich gute Hel­fer – ehe­ma­lige Heim­kin­der voran. Ich habe mit viel mehr Men­schen gespro­chen, bin viel mehr gereist, als nur zu den­je­ni­gen, deren Geschich­ten jetzt im Buch sind. Zum Bei­spiel nach Bam­berg, zum Ehe­paar Schulze, die uns Türen zu den Heim­kin­dern in Alts­hau­sen öffne­ten. Schwie­rig war unser eige­ner Anspruch an das Aus­wah­ler­fah­ren: Acht Texte aus vier Häusern soll­ten es wer­den, die zudem alle Situa­tio­nen erfas­sen soll­ten: männlich, weib­lich, Heim­kind, Leh­rer, Erzie­her, 50er, 60er, 70er Jahre ... Das hat viel Kraft und Ner­ven geraubt.

Und wie ver­lie­fen dann die Gespräche?
Für die meis­ten Gesprächs­part­ner war es eine Her­aus­for­de­rung, sich selbst, ihr eige­nes Leben in den Mit­tel­punkt zu rücken. Zugleich waren sie über­rascht, dass sich jemand über­haupt dafür inter­es­siert. Die Größe aller bestand darin, mir im Ver­laufe unse­rer Tref­fen zu ver­trauen und zu erzählen. Ich war oft meh­rere Tage mit mei­nen Gesprächspar­tern zusam­men.

Und die Reak­tio­nen auf die fer­ti­gen Texte?
Erstaun­lich. Es gab kleine Ände­run­gen im Text, aber alle haben meine Sicht auf ihr Leben, meine Inter­pre­ta­tion der Wahr­heit akzep­tiert. Und was mir am wich­tigs­ten ist: alle haben sich viel­fach bedankt, einige am Tele­fon geweint. Traute Peters sagte mir, am Ende des Lebens so eine Geschichte von mir zu bekom­men, da müsse Gott meine Hand geführt haben.

Wel­ches Schick­sal hat SIE am meis­ten bewegt?
Zum einen das Gespräch mit Traute Peters (siehe Lese­probe – d.R.). Wie sie sich erin­nerte, ihr Leben reflek­tierte, auch Dinge, die sie nicht wie­der gut­ma­chen kann. Bil­der kamen hoch, an den Krieg, den Ver­lust der Mut­ter, vie­les unter Tränen. Das hat mich beein­druckt. Und Inge Bühler. Sie ist eine lebens­lus­tige, fröhli­che Frau, die instink­tiv die Über­le­bens­stra­te­gie gewählt hatte, sich nur Gutes zu mer­ken. Aber sie hatte kein gutes Zuhause, war Heim­kind in Wil­helms­dorf – die Tra­gik die­ser Geschichte hat sich erst im Schrei­ben gezeigt.

Glau­ben Sie, dass ein Buch wie die­ses dazu bei­tra­gen kann, sol­che Gescheh­nisse in der Zukunft zu ver­hin­dern?
Ich glaube an die Kraft von Fak­ten und von Lite­ra­tur, die Men­schen empa­thi­scher macht. Unser Buch ist ein sach­li­ches und zugleich eines, das Empa­thie weckt – mehr konn­ten wir nicht leis­ten.

Vie­len Dank für die beein­dru­ckende Arbeit und das Gespräch!