Titelthema

April 2014

Heimkinder in der Diakonie

»Du bist und bleibst im Regen« – so lautet der Titel des neuen Heim­kinder­buches, das die Zieglerschen in Kürze heraus­geben und das wir hier in Aus­zügen vorstellen. Es handelt von der Heim­erziehung in der Diakonie in den 1950er bis 1970er Jahren in Ober­schwaben. Als Träger beziehungs­weise als Nachfolge­träger stellen sich die Zieglerschen der Vergangen­heit und den aufwühlenden Lebensgeschichten junger Menschen, die in dieser Zeit in Wilhelmsdorf, Altshausen, in Berg bei Ravensburg und in Eglofstal betreut wurden.

Text: Petra Hennicke

Am Anfang waren Gespräche. Immer mehr ehe­ma­lige Heim­kin­der mel­de­ten sich bei den Zieg­ler­schen. Sie woll­ten Akten­ein­sicht, sie woll­ten reden, den Ort noch ein­mal sehen, der sie so geprägt hatte. Man­che woll­ten mit ihrer Akte allein sein, andere baten: »Bitte blei­ben Sie da. Ich habe Angst, dass mich die Ver­gan­gen­heit überwältigt.« Viele der Gespräche waren lang und inten­siv. So ent­stand allmählich Ver­trauen.

Lange schon gab es in den Zieg­ler­schen den Plan, ein »Heim­kin­der­buch « her­aus­zu­brin­gen und diese Epo­che der eige­nen Geschichte ausführlich zu beleuch­ten. Vor gut vier Jah­ren, im Som­mer 2010, began­nen die Arbei­ten an die­sem Buch. Ins­ge­samt vier Häuser haben wir in der Zeit zwi­schen dem Ende des Zwei­ten Welt­kriegs bis zum Beginn der 1970er Jahre ausführlich beleuch­tet: das Heil­er­zie­hungs­heim in Wil­helms­dorf, das Mar­tins­haus in Alts­hau­sen, das Mar­tins­haus Klein­to­bel und das Wai­sen­haus und spätere Ev. Kin­der- und Jugend­dorf Siloah. Nur das Wil­helms­dor­fer Heim war damals wirk­lich in Träger­schaft der Zieg­ler­schen. Doch als heute Verant­wort­li­che sahen wir es als unsere Pflicht, auch die ande­ren Ein­rich­tun­gen zu beleuch­ten. Wer, wenn nicht wir, sollte sich die­ser Verant­wor­tung stel­len?

Es war ein Wag­nis, die Archive aus den 1950er, 60er und 70er Jah­ren zu öffnen. Nun haben die bei­den Auto­rin­nen Inga Bing-von Häfen und Nadja Klin­ger – die eine His­to­ri­ke­rin, die andere Pub­li­zis­tin – ihre Arbeit been­det. Nun ken­nen wir, zumin­dest in Tei­len, die Geschich­ten jener, die diese Jahre in »unse­ren« Hei­men ver­bracht haben. Es sind keine schönen Geschich­ten. Es sind Schick­sale, die betrof­fen und trau­rig machen. Es sind Berichte, die uns zei­gen, dass ein gan­zes Sys­tem schul­dig gewor­den war. Ein Sys­tem, das geprägt war durch das Ver­lan­gen nach bedin­gungs­lo­ser Unter­ord­nung, durch bei­nahe unbe­schränkte Machtausübung; ein Sys­tem, das in einer Weise gewalt­be­reit, auto­ritär und patri­ar­cha­lisch war, die uns erschütterte.

Auch wir in den Zieg­ler­schen waren Teil die­ses Sys­tems. Auch bei uns ist Unrecht gesche­hen! Und doch können wir sagen, das Wag­nis die­ser Pub­li­ka­tion hat sich gelohnt. Mehr noch: Es war unsere Pflicht, sie zu ermögli­chen. Wir sind den Auto­rin­nen zu großem Dank für ihre einfühlsame und gründli­che Arbeit ver­pflich­tet. Unser Dank gilt auch dem Wichern-Ver­lag, der die Ent­ste­hung des Manu­skripts mit großem Enga­ge­ment beglei­tet hat. Und wir dan­ken vor allem jenen, die sich für diese Pub­li­ka­tion noch­mals ihrer Geschichte gestellt und sie uns erzählt haben. Wir freuen uns auf zahl­rei­che Reak­tio­nen.

Das Buch »Du bist und bleibst im Regen« erscheint Mitte Mai im evan­ge­li­schen Wichern-Ver­lag. Lesen Sie erste Auszüge aus dem Buch:
 

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