»Mit Narben kann man leben – mit offenen Wunden nicht«

Porträt

»Mit Narben kann man leben – mit offenen Wunden nicht«

Peter Deuß

Porträt

Dezember 2021

Peter Deuß, 59, ist Kunsttherapeut an der Suchtfachklinik Ringgenhof. Er hat viele bemerkenswerte Facetten, auch viele Talente und Berufe. Vor allem aber hat er das, worauf es bei der Arbeit mit seinen Patienten ankommt: Empathie und die Fähigkeit, sich auf sein Gegenüber einzulassen, Ein Stück des Wegs mit ihnen zu gehen, auch zu helfen, Erlebtes zu verarbeiten. Porträt über jemanden, für den sein Beruf auch gleichzeitig Berufung ist.

Text: Brigitte Geiselhart

Seit 30 Jah­ren arbei­tet Peter Deuß in der Sucht­hilfe-Fach­kli­nik Ring­gen­hof. Zunächst als Arbeits­er­zie­her, seit 1998 auch als Kunst­the­ra­peut. »Ich bin dort, wo ich immer sein wollte. Mein Beruf ist auch meine Beru­fung«, sagt der 59-Jährige, der im Rem­stal auf­wuchs und des­sen eige­ner Lebens­weg eine Zeit lang alles andere als eben war. Mas­ken­bild­ner wollte er wer­den, erlernte nach der Mitt­le­ren Reife des­halb als Vor­be­rei­tung zunächst den Fri­seur­be­ruf, um dann die Zwei­t­aus­bil­dung an der Staats­o­per Stutt­gart anzu­sch­ließen, wo er im Anschluss auch einige Jahre gear­bei­tet hat. Schwere gesund­heit­li­che Pro­bleme ließen ihn dann sei­nen Berufs­plan und sein gan­zes Leben noch ein­mal über­den­ken. »Eine Zeit, in der mir der Glaube großen Halt gege­ben hat«, sagt Peter Deuß heute. Er begann ein Theo­lo­gie­stu­dium am Semi­nar im schwei­ze­ri­schen Inter­la­ken, das er 1986 abschloss, hei­ra­tete 1987 seine Frau Gabi – und begann ein Jahr später die Aus­bil­dung zum Arbeits­er­zie­her an der Gott­hilf-Vöhrin­ger-Schule. 1991 ist Peter Deuß dort ange­kom­men, wo er sei­ner Mei­nung nach auch heute noch hin­gehört. Nicht zuletzt hat er sich kon­ti­nu­ier­lich wei­ter­ge­bil­det, hat von 2000 bis 2005 berufs­be­glei­tend Kunst­the­ra­pie stu­diert, ist selbst künst­le­risch tätig und fin­det beim Malen in der Frei­zeit auch einen schönen Aus­gleich zum anspruchs­vol­len und täglich neu her­aus­for­dern­den Beruf.

»Mit Nar­ben kann man leben – mit offe­nen Wun­den nicht«, sagt Peter Deuß. Eine Ein­stel­lung, die er Tag für Tag mit Leben zu füllen ver­sucht. Seine Pati­en­ten, deren Leben­s­pro­gramm nicht sel­ten geschei­tert ist, brin­gen alle einen »großen Arbeitsspei­cher an Erleb­nis­sen« mit. Warum bin ich da? Wo geht’s hin? Und wer geht mit mir? Auch Fra­gen mit spi­ri­tu­el­lem Hin­ter­grund kom­men in sei­ner beruf­li­chen Pra­xis immer wie­der zur Spra­che – in grup­pen- wie auch in ein­zelthe­ra­peu­ti­schen Ange­bo­ten.

»Gerade die Kunst­the­ra­pie ermöglicht es, unter die Oberfläche zu gehen«, weiß Peter Deuß. »Beim Gestal­ten fließt etwas her­aus, das man aus der Distanz dann wie­der ganz neu betrach­ten kann«, sagt er. Gear­bei­tet wird auch mit ganz unter­schied­li­chen Natur­ma­te­ria­lien – etwa mit Stei­nen, Stof­fen oder Leder. »Es ist immer wie­der schön zu sehen, welch krea­tive Kräfte dabei frei wer­den«, so die Erfah­rung des Kunst­the­ra­peu­ten.

Krea­tiv zu blei­ben hieß es aber auch für Peter Deuß selbst – spe­zi­ell ange­sichts der Ein­schränkun­gen während der Corona- Pan­de­mie. Um den Kon­takt zu ehe­ma­li­gen Pati­en­ten auf­recht­zu­er­hal­ten, die sich oft allein­ge­las­sen fühlten, wurde der regelmäßige Pod­cast »Neues vom Deuß« ins Leben geru­fen. Es gab Aus­zeit-Andach­ten, sogar einen rich­ti­gen »Poe­try Slam« im Freien, bei dem man auch Mut brauchte, Selbst­ge­schrie­be­nes vor ande­ren vor­zu­tra­gen.

»Anders, aber immer wie­der neu« ist auch für Peter Deuß seine Gestal­tung des Weih­nachts­fests im Ring­gen­hof. Das tut vor allem auch den – in der Regel rund 60 – Pati­en­ten gut, die nicht nach Hause gehen können und das Fest in der Kli­nik ver­brin­gen. »Wenn man im Anschluss an den Got­tes­dienst mit heißem Früchte­punsch am Feu­er­korb vor der Kir­che sitzt, da können schon mal ein paar Stun­den ver­ge­hen«, erzählt Deuß. Freuen darf man sich auf jeden Fall wie­der auf die stim­mungs­volle »Stall­weih­nacht« im Freien beim Schaf­stall in Ried­wei­ler und das gemütli­che Zusam­men­sit­zen im Stroh bei der Krippe. Dabei gibt es wie immer für alle ein klei­nes Geschenk – wenn auch pan­de­mie­be­dingt die Teil­nahme von exter­nen Gästen in die­sem Jahr wie­der nicht möglich sein wird.

»Ich liebe das, was ich tue«, sagt Peter Deuß – und meint damit sowohl sei­nen beruf­li­chen als auch sei­nen pri­va­ten All­tag. Zeit mit sei­ner Frau und sei­nem Sohn zu ver­brin­gen, viel zu malen oder auch mit sei­nem Hund, dem Cocka­poo »Pablo« für die nötige Bewe­gung zu sor­gen, das gefällt ihm. »Ich bin ein neu­gie­ri­ger und spon­ta­ner Mensch – vol­ler Ener­gie«, sagt er. Und daran soll sich so schnell auch nichts ändern.