Angedachtes_von

Sarah Benkißer

So einen Gottesdienst hatte ich noch nie erlebt. Simple Lieder, Gebete, Gebärden. Das Erlebnis berührte mich … Gedanken von Sarah Benkißer, Leiterin des Funktions­bereiches Kommu­nikation in den Zieglerschen.

Angedachtes

Angedachtes_von

Sarah Benkißer

So einen Gottesdienst hatte ich noch nie erlebt. Simple Lieder, Gebete, Gebärden. Das Erlebnis berührte mich … Gedanken von Sarah Benkißer, Leiterin des Funktions­bereiches Kommu­nikation in den Zieglerschen.

Angedachtes

April 2016

Einfach nur mal Gast sein

Text: Sarah Benkißer

Als ich anfing bei den Zieg­ler­schen zu arbei­ten, war gerade die UN-Behin­der­ten­rechts­kon­ven­tion unter­zeich­net wor­den. Ich hatte soeben mein wirt­schafts­wis­sen­schaft­liches Stu­dium abge­schlos­sen. Zu Men­schen mit Behin­de­rung hatte ich quasi nie Kon­takt gehabt. Doch die Idee der Inklu­sion fand ich sofort ein­leuch­tend: Alle Men­schen sol­len gleich­be­rech­tigt an der Gesell­schaft teil­ha­ben können – ja, natürlich! Meine ers­ten eige­nen Begeg­nun­gen mit Men­schen mit Behin­de­rung in Wil­helms­dorf waren durch­weg posi­tiv. Also warum denn nicht? Natürlich würde es finan­zi­elle Gren­zen geben. Aber als anzu­stre­ben­des Ideal ist Inklu­sion abso­lut rich­tig.

Dass Ein­rich­tun­gen wie die Has­lachmühle dann ein Aus­lauf­mo­dell sein muss­ten, war für mich die logi­sche Schluss­fol­ge­rung. Inklu­sion könnte doch nur möglich sein, wenn die Leute rauskämen aus dem Heim und der Son­der­schule, rein in die Städte, in die Regel­schu­len, den örtli­chen Sport­ver­ein und natürlich auch in den ganz nor­ma­len Sonn­tags­got­tes­dienst! Alles nur eine Frage von poli­ti­schem Wil­len, Finan­zie­rungs­kon­zep­ten und gesell­schaft­li­cher Verände­rungs­be­reit­schaft – was ja schon Her­aus­for­de­rung genug ist.

Kurze Zeit später fan­den die Einführungs­tage für neue Mit­ar­bei­tende der Zieg­ler­schen statt. Zum Pro­gramm gehörte ein Besuch im Got­tes­dienst der Has­lachmühle. So einen Got­tes­dienst hatte ich noch nie erlebt: keine Spur der mir bekann­ten Litur­gie, dafür sehr sim­ple Lie­der, stets von Gebärden beglei­tete Rituale, ein­fachste Bot­schaf­ten: Jesus hat dich lieb. Fer­tig. Die­ser Got­tes­dienst hat mich einer­seits unheim­lich berührt. Der stim­mungs­volle Moment, als alle Rollläden run­ter­gin­gen und nur die von den Bewoh­nern entzünde­ten Ker­zen brann­ten. Das Gebets­ri­tual, bei dem alle, die für etwas dan­ken woll­ten, sich in einer Reihe auf­stell­ten und nach­ein­an­der mit Gebärden ihre Gebets­an­lie­gen vor­brach­ten: »Jesus, danke, dass meine Mama wie­der gesund ist.« Und den Segen teilte der Pfar­rer auch nicht alleine aus, rechts und links von ihm stan­den zahl­rei­che Bewoh­ner mit seg­nend aus­ge­brei­te­ten Händen.

Doch so sehr ich von die­ser Art Got­tes­dienst berührt war, so klar war mir doch: Ich bin hier Gast. Die­ser Got­tes­dienst ist für Men­schen mit einer Hör-Sprach- und gleich­zei­ti­ger geis­ti­ger Behin­de­rung gemacht und für sie scheint er genau rich­tig zu sein. Denn dass die Bewoh­ner hier ganz in ihrem Ele­ment waren, spürte man in jeder Sekunde. Aber für mich wäre das auf Dauer nichts. Ich mag geschlif­fen for­mu­lierte, tiefgründige Pre­dig­ten. Ich mag die Spra­che der Luth­er­bi­bel. Das wie­derum wäre für die Bewoh­ner hier wohl nicht das Rich­tige, musste ich zuge­ben.

In die­sem Moment hat sich meine Sicht auf Inklu­sion verändert. Es geht nicht darum, dass sich alle in das­selbe Sys­tem zwängen, son­dern darum, sich mit Respekt zu begeg­nen, sich für ein­an­der zu öffnen, sich über Gemein­sam­kei­ten zu freuen und Unter­schiede zu akzep­tie­ren. Und den ande­ren nicht daran zu hin­dern, sein Leben so zu leben, wie er das für sich möchte. Es ist eine großartige Erfah­rung, ein­fach nur mal Gast zu sein im Has­lachmühle-Got­tes­dienst. Ich kann nur emp­feh­len, sich ein­mal ein­la­den zu las­sen!