»Die Sachen wurden uns aus den Händen gerissen«

Porträt

»Die Sachen wurden uns aus den Händen gerissen«

German Frank und Peter Grziwotz-Buck

Porträt

September 2025

Vor 50 Jahren gab es für die Arbeit mit sprachbeeinträchtigten Kindern kaum Materialien. Also erstellten die Lehrer German Frank und Peter Grziwotz-Buck diese kurzerhand selbst – und gründeten dafür sogar einen Verlag. Zum 50. Jubiläum des Verlags am Sprachheilzentrum erinnern sich beide an ihr besonderes Berufsleben. Das Porträt.

Text: Claudia Wörner

Peter Grzi­wotz-Buck (auf dem Foto links) kam als jun­ger Son­derpädagoge im Jahr 1970 zu den Zieg­ler­schen nach Ravens­burg. Ger­man Frank, eben­falls Son­derpädagoge und lei­den­schaft­li­cher Zeich­ner, begann zwei Jahre später. Heute sind sie 83 und 80 Jahre alt. Sie ver­brach­ten nicht nur fast ihr gesam­tes Berufs­le­ben bis zur Pen­sio­nie­rung gemein­sam, sie sind auch Freunde. Sie bau­ten unweit ihrer Arbeits­stelle neben­ein­an­der ihre Häuser ohne Hecke oder Gar­ten­zaun und fuh­ren sogar zusam­men in den Urlaub. »Für mich war die Stelle am Hör-Sprach­zen­trum eine wun­der­bare Möglich­keit, zurück nach Süddeutsch­land zu kom­men«, erzählt Grzi­wotz-Buck, der aus Ehin­gen stammt. Frank, ursprünglich aus der Nähe von Bad Saul­gau, inter­es­sierte sich ganz beson­ders für den Schul­kin­der­gar­ten, der 1971 im neu erbau­ten Sprach­heil­zen­trum eröffnet wurde. Und genau dort begeg­ne­ten sich Frank und Grzi­wotz-Buck, der Abtei­lungs­lei­ter des Schul­kin­der­gar­tens war.

»Damals gab es noch so gut wie kein Mate­rial, außer ein paar wenig moti­vie­rende Wort­lis­ten«, erin­nert sich Grzi­wotz-Buck. Also ent­wi­ckel­ten die jun­gen Son­derpädago­gen für die The­ra­pie­vor­be­rei­tung und in tägli­cher Anwen­dung mit den Kin­dern kur­zer­hand selbst Ideen und Kon­zepte. Frank zeich­nete zudem anspre­chende Motive mit hohem Wie­de­rer­ken­nungs­wert wie den Wuschelbären für Sprach­lern­spiele, Bil­derbücher und Lautüberprüfungsbögen. »Unser großer Vor­teil war, dass wir eine Druck­ma­schine zur Ver­vielfälti­gung im Kel­ler des Hau­ses hat­ten«, sagt Frank. »Dort haben wir viele Stun­den ver­bracht und Blätter sor­tiert.«

Alles andere als selbst­verständlich sei es damals gewe­sen, Kin­dern kos­ten­los Mate­ria­lien mit nach Hause zu geben. Kol­le­gen, die zum Bei­spiel im Rah­men von Fort­bil­dun­gen ins Ravens­bur­ger Hör-Sprach­zen­trum kamen, rea­gier­ten begeis­tert auf die Mate­ria­lien und woll­ten »Wuschelbär & Co« gern bei ihrer eige­nen Arbeit ver­wen­den. »Wir konn­ten die Sachen ja nicht ver­schen­ken«, sagt Grzi­wotz-Buck. So sei es im Jahr 1974 im Grunde nur ein klei­ner Schritt zur Geburts­stunde des Ver­lags am Sprach­heil­zen­trum gewe­sen. Damit begon­nen hat ein reger Ver­sand. Gemein­sam waren Frank und Grzi­wotz-Buck auf Kon­gres­sen für Logopäden und Sprach­heilpädago­gen in Deutsch­land, Öster­reich und der Schweiz unter­wegs, um ihr Ver­lags­pro­gramm vor­zu­stel­len. Nicht sel­ten sei ihnen das Mate­rial aus den Händen geris­sen wor­den. »Ein­mal war bereits am ers­ten Tag alles weg«, erzählt Frank. Da das Porto für den Ver­sand nach Öster­reich so teuer war, seien sie des Öfte­ren nach Bre­genz gefah­ren, um dort die Päckchen auf­zu­ge­ben. »Dass auch andere so gern mit unse­ren Mate­ria­lien gear­bei­tet haben, war schon ein Erfolgs­er­leb­nis«, sagt Grzi­wotz-Buck.

Ganz am Anfang hätten sich die bei­den Son­derpädago­gen bei Kon­gres­sen noch kein Zim­mer leis­ten können und des­halb im Zwei­mann­zelt über­nach­tet. »Damals waren wir jung, und es war nicht so schlimm, wenn mal eine Zelt­stange gewa­ckelt hat«, so Frank. Auch nach ihrer Pen­sio­nie­rung 2004 bezie­hungs­weise 2007 fuh­ren die Ver­lagsgründer wei­ter zu Tagun­gen in Deutsch­land und Öster­reich – inzwi­schen jeder mit dem eige­nen Wohn­wa­gen. Ein High­light in ihrem Berufs­le­ben sei der Bun­des­kon­gress der deut­schen Gesell­schaft für Sprach­heilpädago­gik 1984 in Ravens­burg gewe­sen, den sie als Vor­stands­mit­glie­der des Lan­des­ver­bands Baden-
Württem­berg mit­or­ga­ni­sier­ten. Gerech­net hätten sie mit 600 bis 700 Teil­neh­mern. Gekom­men seien über 1.100, für die Unterkünfte und Busse bereit­ge­stellt wer­den muss­ten.

»Ich hatte ein abso­lut erfülltes Berufs­le­ben, in dem ich selbstständig arbei­ten konnte und würde es genauso wie­der machen«, blickt Grzi­wotz-Buck zurück. Dies könne er nur unter­schrei­ben, fügt Frank hinzu. Er zeich­net nach wie vor Motive für die Mate­ria­lien. »Früher hat­ten wir ein Tele­fon mit Wählscheibe. Das ist heute natürlich ein Mobil­te­le­fon.« Für beide ist es eine große Freude, dass der Ver­lag am Sprach­heil­zen­trum immer noch exis­tiert und so toll wei­terläuft. Heute wer­den The­ra­pie­ma­te­ria­lien nach ganz Europa ver­sen­det, manch­mal sogar nach Aus­tra­lien oder Japan.