Titelthema

Dezember 2025

Ehrenamt

Sie lösen Probleme, machen das Leben bunter und sorgen für das Quäntchen Mehr an Lebensqualität: unsere Ehrenamtlichen. Zeit für ein Dankeschön.

Text: Petra Hennicke, Annette Scherer und Nicola Philipp

Jedes Jahr am 5. Dezem­ber ist Inter­na­tio­na­ler Tag des Ehren­amts – nicht nur für die Zieg­ler­schen ein wich­ti­ger Ter­min. Rund 27 Mil­lio­nen Men­schen enga­gie­ren sich laut brand­neuen Zah­len frei­wil­lig, 1.500 Men­schen sind es bei den Zieg­ler­schen. Sie hel­fen im Senio­ren­heim, bei der Frei­zeit für Men­schen mit Behin­de­rung, im Kin­der­gar­ten des Hör-Sprach­zen­trums, in den Kli­ni­ken für sucht­kranke Men­schen und, und, und. Ehren­amt­li­che machen das Leben bunt und fröhli­cher, lösen Pro­bleme und sor­gen für das Quäntchen Mehr an Lebens­qua­lität. Grund genug, diese großarti­gen Men­schen, ihre Arbeit und ihre Beweggründe näher vor­zu­stel­len.

Platsch, fällt ein dicker Klum­pen Teig auf die Küchen­platte. Er wird geklopft, gek­ne­tet, gewen­det und gerollt. Dane­ben ver­sucht Verena Braun­ger, die von der Behin­der­ten­hilfe der Zieg­ler­schen in Aulen­dorf betreut wird, aus einer bereits platt­gewälzten Teig­masse kleine Sterne aus­zu­ste­chen. Nicht jeder Griff sitzt, aber dank lie­be­vol­ler Hilfe füllt sich Stück für Stück ein wei­te­res Blech mit klei­nen Weih­nachts­ster­nen. Verena Braun­ger strahlt. Die ers­ten Plätzchen sind schon im Ofen und ihr Duft hat alle im Haus ange­lockt. Einer nach dem ande­ren kommt aus sei­nem Zim­mer, will sehen, was da so lecker riecht und vor allem pro­bie­ren.

»Das war mein ers­tes Mal in Aulen­dorf«, erin­nert sich Sabine Weber lachend. »Drei Stun­den Weih­nachtsplätzchen backen. Als ich nach Hause gefah­ren bin, war ich fer­tig, kaputt – und rich­tig glücklich.« Ein Jahr ist das her. Und seit die­sem Nach­mit­tag ist Sabine Weber, 59, Ehren­amt­li­che bei der Behin­der­ten­hilfe. Alle zwei Wochen beglei­tet die Mut­ter dreier erwach­se­ner Kin­der die Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner zu Frei­zeitak­ti­vitäten: Kegeln, Schwimm­bad oder auch mal zur Straußenfarm. Vor ihrem ers­ten Mal lag eine Som­mer­reise für Kin­der und Jugend­li­che mit Behin­de­rung. Dort lernte sie Verena Braun­ger ken­nen. »Ich hab mich super mit ihr ver­stan­den und irgend­wann gefragt, ob ich sie mal abho­len und mehr Zeit mit ihr ver­brin­gen könnte«, erzählt Sabine Weber. »Und jetzt bin ich für alle da«. Gefragt, warum sie so viel Zeit für andere auf­wen­det, wird die lebens­frohe Frau nach­denk­lich. »Meine Toch­ter ist mit sechs Jah­ren an Leukämie erkrankt. Damals haben uns so viele Men­schen gehol­fen, das habe ich nie ver­ges­sen. Und ich habe mir vor­ge­nom­men: Das gibst du irgend­wann zurück.«

Von ihren Einsätzen erzählt Sabine Weber, sie habe immer wie­der »Glit­zer in Augen«. »Das Lachen von Verena oder ein ›Give me Five‹ von Harald beim Kegeln – man kriegt ein­fach so viel zurück.« Es sei eine schöne Abwechs­lung zum Beruf und man lerne viel. »Ich weiß noch, als ich zum ers­ten Mal mit Harald zu tun hatte. Er ist gehörlos, kann sich nur mit Gebärden verständi­gen und ich dachte ›Oh je, wie fragst du ihn denn, ob er auf Toi­lette muss‹«. Inzwi­schen ist eine Gebärden-App auf Sabine Webers Handy instal­liert und schon bald steht der zweite Gebärden­sprach-Kurs an. Anste­ckend ist ihr Ehren­amt offen­bar auch noch. Denn demnächst ist auch ihr Lebens­gefährte mit dabei.

Während sich Sabine Weber direkt um Men­schen kümmert, steht Georg Jehle für die vie­len Ehren­amt­li­chen in den Zieg­ler­schen, die sich in einer Ver­einss­truk­tur enga­gie­ren. Ange­fan­gen hat es, als sein Sohn Felix eine Aus­bil­dung in der NEULAND-Werk­statt begann. Damals, vor 20 Jah­ren, wurde er umge­hend für den Angehörigen­bei­rat der Behin­der­ten­hilfe gewor­ben. Neu war ihm das nicht, denn schon für die Eltern­ver­tre­tung in Felix‘ Schule wurde er über­re­det – auf einem Super­markt-Park­platz. »Kei­ner wollte es machen, also musste ich ran«, erzählt der heute 70-Jährige schmun­zelnd. Ein Motiv, das sich wie ein roter Faden durch sein ehren­amt­li­ches Leben zieht. 2005 trat er dem Angehörigen­bei­rat bei, seit 2019 lei­tet er ihn. Und als hätte der ehe­ma­lige Lei­ter eines Forst­am­tes noch nicht genug zu tun, ist er auch noch Ver­trau­ens­per­son für den Werk­stat­trat in der NEULAND-Werk­statt. »Meine Auf­gabe ist es, die Impulse der Beleg­schaft, also von Men­schen mit Behin­de­rung, an die Geschäfts­lei­tung wei­ter­zu­ge­ben. Anlie­gen gibt es da viele, zum Bei­spiel kos­ten­lose Getränke, ›ich hab das und das Gerücht gehört‹ oder das Essen soll bes­ser wer­den.« Drei Mal in der Woche werde er min­des­tens ange­ru­fen, erzählt Georg Jehle augen­zwin­kernd. Und in Wil­helms­dorf ist er bekannt wie ein bun­ter Hund. »Das gefällt mir.«

Inter­essant ist die Ent­wick­lung sei­nes Soh­nes Felix. Denn auch er, inzwi­schen 39, ist in die Fußstap­fen sei­nes Vaters getre­ten. Damit steht er aller­dings für etwas eher Ungewöhnli­ches: Men­schen mit Behin­de­rung, die selbst ehren­amt­lich tätig sind. Jeden Don­ners­tagnach­mit­tag hilft er in der Cafe­te­ria der Behin­der­ten­hilfe in Wil­helms­dorf. Hier fin­den sich wöchent­lich rund 80 Men­schen ein – Bewoh­ner, Ehren­amt­li­che, Mit­ar­bei­tende –, hören Musik, kau­fen Snacks und Getränke, tref­fen Freunde und haben Spaß. An beson­de­ren Tagen gibt’s Live­mu­sik, Eis oder auch mal Weißwurst zum Okto­ber­fest. Das Ehren­amts­team, zu dem Felix gehört, ist ein beson­de­res: die Hälfte sind Men­schen mit Han­di­cap, die andere Hälfte drei junge Frauen um die Zwan­zig. Junge Men­schen von 13 bis 24 und Ältere zwi­schen 57 und 68 sind als Ehren­amt­li­che in den Zieg­ler­schen übri­gens am häufigs­ten ver­tre­ten.

Das Ehren­amts­team der Cafe­te­ria kümmert sich ums Ein­kau­fen, Vor­be­rei­ten und den Ver­kauf der Snacks. »Ich helfe gerne und es macht mir Spaß«, erklärt Felix. Und Sabine Glas-Peters, Ehren­amts­ko­or­di­na­to­rin der Zieg­ler­schen, sieht genau sei­nen Weg als Auf­gabe für die Zukunft: »Men­schen mit Behin­de­rung sol­len sich nicht nur als die­je­ni­gen erle­ben, denen gehol­fen wird, son­dern auch als die, die selbst hel­fen. Das ist echte Inklu­sion und wich­tig fürs Selbst­wert­gefühl.« Ihre Stelle wurde daher von Aktion Mensch gefördert. Wich­tig sei, dass sich die Ehren­amt­li­chen bei ihrer Auf­gabe will­kom­men und wohlfühlen.

Das kann Sla­vica Til­lich aus dem rund 70 Kilo­me­ter ent­fern­ten Aitrach nur bestätigen. Sie ist Ein­rich­tungs­lei­te­rin im Senio­ren­zen­trum und wenn sie über »ihre« rund 35 akti­ven Ehren­amt­li­chen spricht, gerät sie ins Schwärmen. »Mein Freun­des­kreis macht alles! Sie sind alle sehr, sehr wich­tig!« Begeis­te­rung und Wertschätzung spru­deln nur so aus ihr her­aus. Kein Wun­der, wenn man erfährt, was sie in ihrer Frei­zeit alles leis­ten. Viele haben oder hat­ten einen pfle­ge­bedürfti­gen Angehörigen im Haus. Und auch wenn die Angehörigen ster­ben, enga­gie­ren sie sich wei­ter. »Sie backen zum Bei­spiel feinste Kuchen – die Schwarzwälder Kirschtorte von Cilly Müller ist in Aitrach legendär«, berich­tet Sla­vica Til­lich. Die ehren­amt­lich Tätigen brin­gen Abwechs­lung und fri­schen Wind ins Haus, sowohl für die Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner wie auch für das Team. »Auch wenn sie natürlich nicht in die Pflege ein­ge­bun­den sind, berei­chern sie den All­tag hier bei uns doch unge­mein.«

Dafür ist sie sehr dank­bar. Und das bringt sie auf vielfältige Weise zum Aus­druck: »Ich bin mit den Men­schen sehr freund­schaft­lich ver­bun­den. Wir haben eine eigene Whats-App-Gruppe, in der ich auch über The­men im Haus infor­miere und in der viele Herz­chen ver­schickt wer­den«, sagt sie. Jeder bekommt ein Geburts­tags- und ein Weih­nachts­ge­schenk, alle sind selbst­verständlich bei allen Fes­ten mit dabei. Ein­mal im Jahr wird im Haus ein Grill­fest spe­zi­ell für die Ehren­amt­li­chen orga­ni­siert. Und als zum Bei­spiel Mar­got Koch, die unter ande­rem seit 15 Jah­ren ein sehr belieb­tes Gedächt­nis­trai­ning anbie­tet, mit dem Pfle­ge­preis des Land­krei­ses Ravens­burg aus­ge­zeich­net wurde, war Sla­vica Til­lich selbst­verständlich bei der Ver­lei­hung dabei.

Und dann gibt’s ja in der Alten­hilfe auch noch über­grei­fend die Dan­kes-Essen für alle Ehren­amt­li­chen. Bei die­sen ist, wenn es die Zeit erlaubt, auch Andreas Schaf­fer gerne dabei. Der ehe­ma­lige Bürger­meis­ter ist Vor­sit­zen­der des Förder­ver­eins in Plüder­hau­sen. Förder­ver­eine und Freun­des­kreise sind – gerade in der Alten-, Behin­der­ten- und Sucht­hilfe der Zieg­ler­schen – ein wich­ti­ger Kris­tal­li­sa­ti­ons­punkt ehren­amt­li­cher Arbeit. Viele Freun­des­kreise in der Alten­hilfe sind gleich­zei­tig mit den Pfle­ge­hei­men ent­stan­den, auch in Plüder­hau­sen. Das kam so: Vor gut 30 Jah­ren wollte die Gemeinde ein Pfle­ge­heim bauen las­sen und rief daher zur Gründung eines Förder­ver­eins auf. Das war so erfolg­reich, dass der Verein mit 130 Mit­glie­dern begann. »Aber wir hat­ten erst mal nichts, kei­nen Stand­ort für das Heim, kein Kon­zept «, erin­nert sich Andreas Schaf­fer, der damals Bürger­meis­ter war. Stück für Stück hätte sich dann alles gefügt und »schließlich hat­ten wir bei Inbe­trieb­nahme des Hei­mes schon 100.000 Euro, einen Stand­ort mit­ten in Plüder­hau­sen und mit den Zieg­ler­schen einen dia­ko­ni­schen Betrei­ber.«

2005 ging das »Haus am Brun­nen­rain« in Betrieb. Seit­dem öffnet ein ehren­amt­li­ches Team jeden Sonn­tag die Cafe­te­ria, um Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner, Angehörige, aber auch Men­schen, die vor­bei­kom­men, mit Kaf­fee und Kuchen zu bewir­ten. Das Team besteht aus 30 Frauen, die pro Jahr 4.000 bis 6.000 Euro durch Kuchen­ver­kauf und Spen­den ein­neh­men. Damit bezahlt der Förder­ver­ein etwa Gedächt­nis­trai­ning, Clowns­be­su­che, ein Kla­vier oder Gar­tenmöbel. Man­ches werde auch von den Zieg­ler­schen co-finan­ziert, erzählt Schaf­fer: »Gemein­sam geht’s ein­fach bes­ser!« Auch das Fei­ern geht gemein­sam bes­ser – erst recht, wenn es das 20-jährige Jubiläum ist.

Doch so gut wie in Plüder­hau­sen läuft es nicht in jeder Gemeinde. »In vie­len Orten fin­den sich nicht mehr sie­ben Per­so­nen, die es braucht, um einen Verein zu gründen. Die Men­schen enga­gie­ren sich gerne, aber nicht immer gerne in fes­ten Struk­tu­ren«, berich­tet Harald Dubyk, der mit Sabine Glas-Peters die Ser­vice­stelle Ehren­amt der Zieg­ler­schen betreut. Des­halb ent­ste­hen in der Alten­hilfe seit eini­ger Zeit soge­nannte Quar­tiers­fonds. Im Grunde sol­len sie all das leis­ten, was Förder­ver­eine auch tun – das Leben der Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner ver­bes­sern – nur eben ohne Ver­einss­truk­tur. Den Anfang machte 2024 die Stadt Wend­lin­gen; Heu­bach und Leut­kirch folg­ten. »Ein Zukunfts­mo­dell, nicht nur für die Alten­hilfe«, ist sich Dubyk sicher.

Auch die Ves­per­kir­chen sind ein Zukunfts­mo­dell. Zumin­dest sind sie das erfolg­reichste Ehren­amtspro­jekt, an dem die Zieg­ler­schen mit­wir­ken. Jahr für Jahr wer­den bis zu 500 Ehren­amt­li­che gebraucht – und das berei­tet kei­ner­lei Pro­bleme. Im Gegen­teil: »Letz­tes Jahr war der Andrang beson­ders hoch«, berich­tet Harald Dubyk, der auch zum Orga-Team der Ves­per­kir­chen gehört. Aber warum schlägt gerade die Ves­per­kir­che so ein? »Viel­leicht, weil es ein begrenz­ter Zeit­raum ist und man gleich­zei­tig viele Bekannte aus der Stadt trifft. Die Ves­per­kir­che hat Event-Cha­rak­ter – das passt wohl gut in die Zeit«, so Harald Dubyk. Auch einige Mit­ar­bei­tende der Zieg­ler­schen sind übri­gens bei der Ves­per­kir­che ehren­amt­lich dabei, so wie auch bei der Feu­er­wehr (siehe Seite 17), beim THW oder, oder, oder.

Noch ein­mal zurück zu Georg Jehle, der mit sei­nen Ehrenämtern bei den Zieg­ler­schen noch nicht aus­ge­las­tet ist. Er hilft bei der Ried­lin­ger Tafel, gibt Grund­schul­kin­dern Nach­hilfe, ist im Bei­rat des Natio­nal­par­kes Schwarz­wald, kümmert sich um die Wald­schule »Schne­cken­haus« &hel­lip; Ist das nicht manch­mal stres­sig? »So habe ich es nie emp­fun­den«, sagt Jehle vol­ler Über­zeu­gung. »Mir bleibt genug Zeit für mich, meine Fami­lie, fürs Foto­gra­fie­ren oder Malen. Und für meine Ehrenämter. Es ist doch ein wun­derschönes Gefühl, wenn man Pro­bleme lösen und ande­ren hel­fen kann.«

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»Ich hab mich super mit ihr verstanden«: Über den Kontakt zu Verena Braunger (l.) kam Sabine Weber (r.) zu ihrem Ehrenamt.

Zwei aus einem ganz besonderen Ehrenamtsteam: Felix Jehle und Amy Neumann.

Immer dabei und bekannt wie ein bunter Hund: Georg Jehle bei der Einweihung der Heidi-Ziegler-Schule.