Titelthema

September 2025

Namaste!

So sagt man in Indien zur Begrüßung. Namaste sagen auch die Zieglerschen – zu fast 80 indischen Frauen und Männern, die inzwischen bei uns arbeiten. Willkommen!

Text: Annette Scherer, Jacqueline de Riese, Azizakhon Gofurova und Stefan Wieland

Ange­fan­gen hat alles mit dem soge­nann­ten Kosovo-Pro­jekt unter dem Dach des Dia­ko­ni­schen Werks Württem­berg. Bereits seit 2017 suchen die Zieg­ler­schen gezielt Mit­ar­bei­tende und Aus­zu­bil­dende für die Pflege im Aus­land. Zu Ländern wie Kosovo, Alba­nien oder Bos­nien-Her­ze­go­wina ist seit gut zwei Jah­ren nun Indien gekom­men. Eine Erfolgs­ge­schichte – für alle Sei­ten. Wie es dazu kam, wie es den indi­schen Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen in Deutsch­land geht und was das für die Zieg­ler­schen bedeu­tet – das lesen Sie in unse­rem aktu­el­len Titel­thema. Namaste!

Rund 7.500 Kilo­me­ter Luft­li­nie lie­gen zwi­schen ihrem Zuhause und dem neuen Lebens- und Arbeits­mit­tel­punkt. Die Rede ist von Ebin Benny und Joyal Raphal. Die 19- und 20-jähri­gen jun­gen Männer stam­men aus der südin­di­schen Großstadt Thris­sur im Bun­des­staat Kerala, und zum ers­ten Mal sind sie so weit weg von daheim. Seit April die­ses Jah­res machen sie im Senio­ren­zen­trum Hen­ri­et­ten­stift in Kirch­heim / Teck eine Aus­bil­dung zur Alten­pfle­ge­fach­kraft – und seit­dem haben sie sich nicht nur in ihren neuen Beruf, son­dern auch in ihren neuen All­tag ein­ge­fun­den. Heute sind sie Kol­le­gen – und Freunde. Gemein­same Ausflüge und die gegen­sei­tige Unterstützung im All­tag haben die Ein­gewöhnung im neuen Land erleich­tert. Sicht­li­chen Ein­druck hat das Wet­ter gemacht. »Im Juni war es schon rich­tig heiß – aber ganz anders als bei uns«, sagt Ebin. »In Indien ist es schwül, hier ist es tro­cken. Das war gewöhnungs­bedürftig.« Trotz­dem genießen sie den Som­mer in Deutsch­land – und freuen sich schon jetzt auf den Win­ter. »Ich bin gespannt, wie Schnee aus­sieht und sich anfühlt«, meint Joyal lachend. »In Thris­sur gibt es das nicht – aber mit einem dicken Pull­over und einer Jacke wird es schon gehen.«

Ebin und Joyal sind bei Wei­tem nicht die ein­zi­gen Inder, die bei den Zieg­ler­schen eine Aus­bil­dung machen – zur Pfle­ge­fach­kraft oder Alten­pfle­ge­hel­fe­rin bzw. zum Alten­pfle­ge­hel­fer. Allein 55 junge Men­schen haben sich seit August 2023 auf Ini­tia­tive der Zieg­ler­schen vom indi­schen Sub­kon­ti­nent auf den Weg gemacht. Dies war der Beginn des selbst ange­stoßenen Indien-Pro­jek­tes. Sein Ziel: Das Anwer­ben von Aus­zu­bil­den­den und Fachkräften, um dem dra­ma­ti­schen Per­so­nal­man­gel ent­ge­gen­zu­wir­ken.

Zuvor hat­ten die Zieg­ler­schen mit meh­re­ren Part­nern in den südin­di­schen Bun­des­staa­ten Kerala und Kar­na­taka Koope­ra­tio­nen ver­ein­bart. Vor allem, um Sprach­kurse für junge Men­schen auf­zu­bauen, in denen Deutsch bis zum B2-Niveau unter­rich­tet wird. Die Aus­bil­dung zur Pfle­ge­fach­kraft fin­det dann in einem der 27 Senio­ren­zen­tren der Zieg­ler­schen in Baden-Württem­berg statt. Nächs­tes Jahr sol­len zudem fer­tig aus­ge­bil­dete Pfle­gekräfte von der Pfle­ge­schule der Jubi­lee Mis­sion in Thris­sur die Zieg­ler­schen verstärken. Diese bil­det mehr Per­so­nal aus, als das Kran­ken­haus in Thris­sur auf­neh­men kann. Daher stimmte die Lei­tung einer Koope­ra­tion mit den Zieg­ler­schen zu. Für den Vor­stands­vor­sit­zen­den der Zieg­ler­schen, Gott­fried Heinz­mann, war damals klar: »Wir sind auf dem rich­ti­gen Weg.«

Bereits seit 2017 suchen die Zieg­ler­schen gezielt Mit­ar­bei­tende und Aus­zu­bil­dende im Aus­land. Ange­fan­gen hat es mit dem soge­nann­ten Kosovo-Pro­jekt unter dem Dach des Dia­ko­ni­schen Werks Württem­berg. Die Koope­ra­tion mit dem Kosovo wurde bereits nach kur­zer Zeit so erfolg­reich, dass sie schnell aus­ge­wei­tet wurde: Erst auf andere Bal­kan­staa­ten wie etwa Alba­nien, Bos­nien oder Ser­bien, inzwi­schen auch auf Arme­nien, Tune­sien oder Marokko. Aktu­ell arbei­ten bei den Zieg­ler­schen 109 Mit­ar­bei­tende aus dem Kosovo – mit Abstand das größte Her­kunfts­land.

Doch die Bewer­ber­zah­len vom Bal­kan sind rückläufig. Auch des­halb ist die Koope­ra­tion mit Indien ein Glücks­fall. Ursprünglich hat­ten die Zieg­ler­schen bis 2025 auf rund 30 Pfle­gekräfte gehofft – die Erwar­tun­gen sind längst übert­rof­fen. Bereits jetzt gehören 79 indi­sche Mit­ar­bei­tende zum Unter­neh­men, 55, knapp zwei Drit­tel von ihnen, wur­den über die Koope­ra­tion ange­wor­ben. Laut Pro­gno­sen wird Indien bis 2028 eines der Top-5-Her­kunftsländer für Pfle­gekräfte in Deutsch­land sein. Einer der Gründe ist die »Fachkräfte­stra­te­gie Indien«, die das Bun­des­ka­bi­nett 2024 beschlos­sen hat. Sie fördert gezielt die Anwer­bung indi­scher Fachkräfte in Pflege, Medi­zin und IT.

Agnes Aleena Wil­son ist eine der ers­ten, die im Rah­men des Indi­en­pro­jek­tes der Zieg­ler­schen in Deutsch­land begrüßt wurde – damals, im Okto­ber 2023, zusam­men mit zwei wei­te­ren indi­schen Neu-Mit­ar­bei­te­rin­nen vom Vor­stand Gott­fried Heinz­mann persönlich. Dass Agnes nach Deutsch­land gekom­men ist, ist eher Zufall. Denn eigent­lich wollte sie in ihrer Hei­mat­stadt Kochi im Bun­des­staat Kerala eine Aus­bil­dung zur Kran­ken­schwes­ter machen. Doch dann kam alles anders. »Mein Vater hat bei einem Kli­ni­k­auf­ent­halt von einer Kran­ken­schwes­ter erfah­ren, dass es Aus­bil­dungsplätze in Deutsch­land gibt – und sie hat uns sogar den Kon­takt zur Sprach­schule ver­mit­telt. Das hat alles verändert«, erzählt Agnes. Dort berei­tete sie sich, am Ende mit Deutsch B2-Zer­ti­fi­kat in der Tasche, inten­siv auf den großen Schritt vor – und kam nach Tübin­gen. Seit­her gehört die 21-Jährige zu den acht indi­schen Azu­bis im dor­ti­gen Senio­ren­zen­trum Karo­li­nen­stift (siehe Titel­foto die­ser Aus­gabe).

Für Agnes bedeu­tete der Umzug nicht nur eine beruf­li­che Neu­ori­en­tie­rung, son­dern auch eine emo­tio­nale Her­aus­for­de­rung. Jeden Tag hatte sie Heim­weh. In Indien lebte sie mit ihren Eltern, ihrer jünge­ren Schwes­ter und der Großmut­ter unter einem Dach. Die Großfami­lie – und ihre zwei Hunde – fehl­ten ihr anfangs sehr, auch wenn sie mit Video­chats Kon­takt hält. Den­noch: Beson­ders schmerzte es sie, dass sie beim 85. Geburts­tag der Oma nicht dabei sein konnte. Die Frage, wes­halb sie nicht wie­der nach Hause zurückge­kehrt ist, beant­wor­tet sie mit Über­zeu­gung: »Man hat kein Leben, wenn man immer weg­rennt.«

Der Ein­stieg in Deutsch­land war nicht leicht. Klar, Schwäbisch sei eine Her­aus­for­de­rung, grinst sie. Da ist aber noch etwas ande­res: »Mich hat am meis­ten über­rascht, wie orga­ni­siert und pünkt­lich alles ist«, erzählt sie. »Die Men­schen hal­ten sich sehr an Regeln und Zeitpläne. Das war unge­wohnt. « Auch kul­tu­rell gab es eini­ges zu ver­ar­bei­ten: »Ich war über­rascht, wie viel Wert auf Pri­vatsphäre und persönli­chen Frei­raum gelegt wird.« Auch die direkte Kom­mu­ni­ka­tion im Beruf war neu für sie – inzwi­schen schätzt sie das sehr. Und auch: »Viele Deut­sche schei­nen erst­mal distan­ziert. Aber ich habe gelernt, dass sie sehr freund­lich und hilfs­be­reit sind, wenn man sie bes­ser kennt«, sagt Agnes. Sie hat im Team des Karo­li­nen­stifts Anschluss gefun­den, Freun­din­nen unter den indi­schen Kol­le­gin­nen gewon­nen und genießt die familiäre Atmo­sphäre. Das Karo­li­nen­stift hatte sie übri­gens noch in Indien geg­oo­gelt. Die Fotos haben ihr gefal­len.

Inzwi­schen fühlt sich die junge Inde­rin in Tübin­gen wohl. Sie kocht täglich, natürlich indisch und scharf. Auch Spätzle mag sie. Sie schwärmt von der Natur, schätzt die Sicher­heit und Verlässlich­keit. In ihrer Frei­zeit hat sie bereits Stutt­gart und Hei­del­berg und sogar die Schweiz und Ita­lien besucht. »Es ist toll, wie ein­fach man in Europa rei­sen kann.« An junge Men­schen in Indien, die mit dem Gedan­ken spie­len, eine Pfle­ge­aus­bil­dung in Deutsch­land zu machen, rich­tet sie eine klare Bot­schaft: »Es ist eine gute Wahl und der junge Mensch soll ein­fach kom­men.« Agnes Wil­son hat den Mut gefun­den, Neues zu wagen. Und sie geht ihren Weg – mit Stärke und Zuver­sicht.

Orts­wech­sel. Ihren ers­ten indi­schen Mit­ar­bei­ten­den, Jini Kanas­sery James, hat Ein­rich­tungs­lei­te­rin Regina Hönes vom Senio­ren­zen­trum Kus­ter­din­gen im April 2024 gemein­sam mit ihrer Pfle­ge­dienst­lei­tung persönlich im Senio­ren­zen­trum Taläcker in Wend­lin­gen abge­holt. »Weil die Gruppe sehr verspätet ankam, muss­ten wir lange auf unsere neuen Mit­ar­bei­ten­den war­ten, und die waren bei der Ankunft rich­tig platt«, erin­nert sie sich. Nach einem gemein­sa­men Essen ging es dann rasch in Rich­tung Kus­ter­din­gen zum Senio­ren­zen­trum und ansch­ließend in die Woh­nung, die von den Zieg­ler­schen ange­mie­tet wor­den war.

Aktu­ell hat Regina Hönes fünf indi­sche Mit­ar­bei­tende. Drei machen eine Aus­bil­dung zum Pfle­ge­hel­fer, einer zur Pfle­ge­fach­kraft, eine ein FSJ. Im Okto­ber stößt ein wei­te­rer Mit­ar­bei­ter aus Indien dazu. Das Ken­nen­ler­nen läuft in der Regel im Vor­feld online. »Das ist wie eine Art Vor­stel­lungs­ge­spräch, bei dem es vor allem darum geht, sich ein Bild von den Sprach­kennt­nis­sen zu machen«, erzählt Regina Hönes. Wenn die jun­gen Leute vor Ort sind, geht es sprach­lich meist sehr schnell vorwärts: »Durch den Kon­takt mit unse­ren Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­nern und das Spre­chen unter­ein­an­der ler­nen die meis­ten die Spra­che rela­tiv schnell – anfangs natürlich mit Händen und Füßen. Aber nach etwa sechs Mona­ten spre­chen die meis­ten ziem­lich fließend Deutsch und auch Schwäbisch«, berich­tet sie lachend. Auch im Pfle­ge­be­reich wer­den die Neuen schnell selbstständig und über­neh­men nach einer Ein­ar­bei­tung von etwa ein bis zwei Wochen bereits ihre ers­ten eige­nen Auf­ga­ben.

Regina Hönes führt ein inter­na­tio­na­les Team. Allein ihre Aus­zu­bil­den­den kom­men neben Indien aus Indo­ne­sien, Mada­gas­kar, Kosovo, Sim­babwe, Syrien, Türkei, Thai­land, Kolum­bien, Gam­bia, Äthio­pien und Uganda. »Die vie­len ver­schie­de­nen Natio­na­litäten sind super. So ent­steht keine Grup­pen­bil­dung, son­dern ein gutes Mitein­an­der«, berich­tet sie. Täglich wird im Haus gemein­sam gefrühstückt. Für die Azu­bis gibt es ein­mal pro Monat das »Schüler­café« und immer wie­der orga­ni­siert sie auch Ausflüge mit Bezug zur Aus­bil­dung, etwa ins Leben­s­pha­sen­haus Tübin­gen. Ihre Erfah­rung: »Unsere ausländi­schen Mit­ar­bei­ten­den sind lus­tige, lebens­frohe und herz­li­che Men­schen, die sich nicht so schnell aus der Ruhe brin­gen las­sen. Vor allem sind sie sehr freund­lich und herz­lich zu älte­ren Men­schen, neh­men sie in den Arm und haben sehr viel Respekt und Wertschätzung für sie.« Das liege wohl an der Kul­tur und führe dazu, »dass sie eher zu viel machen und unsere Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner sehr verwöhnen«, schmun­zelt sie.

Zurück zu Ebin Benny und Joyal Raphal nach Kirch­heim. Dass die bei­den jun­gen Männer einen Pfle­ge­be­ruf anstre­ben, ist schon etwas Beson­de­res, in Indien über­neh­men meist Frauen die Pflege von Angehörigen, berich­ten sie. Für Joyal und Ebin war das kein Hin­der­nis, son­dern Ansporn. »Pflege ist für mich keine Frage des Geschlechts, son­dern der Men­sch­lich­keit«, erklärt Joyal. Schon früh spürte er den Wunsch, Men­schen zu hel­fen – und fand in der Pflege sei­nen Traum­be­ruf. Auch Ebin ent­schied sich bewusst für die­sen Weg: »Ich wollte etwas Sinn­vol­les tun – und hier in Deutsch­land ist Pflege ein Beruf mit Zukunft.« Heute bli­cken sie mit Dank­bar­keit zurück. »Wir haben nicht nur viel gelernt – wir wur­den auch gut auf­ge­nom­men«, sagt Ebin. »Die Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner und unser Team im Hen­ri­et­ten­stift haben uns das Ankom­men leicht gemacht.« Und Joyal ergänzt: »Viel­leicht bleibe ich für immer hier. Ob ich mal eine Inde­rin hei­rate oder eine Deut­sche? Das Herz ent­schei­det – nicht die Natio­na­lität.« Eines ist für beide aber auf jeden Fall klar: Deutsch­land ist mehr als nur eine Zwi­schen­sta­tion – es ist ein Land mit Per­spek­tive.

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Freuen sich schon auf den Winter und »wie sich Schnee anfühlt«: Joyal Raphal (l.) und Ebin Benny (r.) bei ihrer Arbeit im Henriettenstift.

Schnappschüsse vorm Fachwerkhaus, am Rheinfall oder am Kölner Dom – so präsentieren die jungen Inderinnen und Inder ihr Leben in der neuen Heimat.

Regina Hönes (4.v.l.) und ihr internationales Team: »Es sind lustige, lebensfrohe und herzliche Menschen.«