Titelthema

September 2023

Sport inklusiv

Im Sommer erlebte Berlin das größte inklusive Sportereignis der Welt. Mit dabei: Die Beach-Volleyballer und eine große Delegation aus Wilhelmsdorf. »Es war ein Traum.«

Text: Claudia Wörner

Aus­tra­gungs­ort der Spe­cial Olym­pics World Games war in die­sem Jahr erst­mals Deutsch­land. Im Juni fuh­ren rund 80 Wil­helms­dor­fe­rin­nen und Wil­helms­dor­fer zu den Welt­spie­len nach Ber­lin – dabei auch die Uni­fied Mann­schaft der Beach-Vol­ley­bal­ler der TSG Wil­helms­dorf/Die Zieg­ler­schen. Zurück nach Hause kamen sie vol­ler Freude – und mit einer Bron­ze­me­daille. Außerdem war die Gemeinde Wil­helms­dorf kurz vor Beginn der Spiele Gast­ge­ber für die Ath­le­ten von den Färöer Inseln, eine von 176 Natio­nen, die sich bei den Spe­cial Olym­pics gemes­sen haben.

Inzwi­schen sind die Beach-Vol­ley­bal­ler aus Wil­helms­dorf wie­der zurück in ihrem All­tag. Aber zwei Wochen nach der Rückkehr von den Spe­cial Olym­pics World Games in Ber­lin trägt Kapitän Den­nis Kutz­ner immer noch seine Bron­ze­me­daille in der Hosen­ta­sche bei sich. »Immer wie­der gra­tu­lie­ren mir Men­schen und freuen sich, wenn sie meine Medaille anschauen und anfas­sen können«, erzählt der 28-Jährige, der im Café Stäbler in Wil­helms­dorf arbei­tet, und lächelt glücklich. Die Bron­ze­me­daille ist für das Uni­fied Team nach Gold in Los Ange­les 2015 und Sil­ber in Abu Dhabi 2019 bereits das dritte Edel­me­tall, das es von den Spe­cial Olym­pics mit nach Hause bringt. Eben­falls zum drit­ten Mal war Den­nis Kutz­ner als Kapitän sei­ner Mann­schaft bei den Welt­spie­len.

Gegründet 1968 in den USA, sind die Spe­cial Olym­pics World Games die welt­weit größte inklu­sive Sport­ver­an­stal­tung. Im Unter­schied zu den Paralym­pics mes­sen sich hier nicht Men­schen mit körper­li­cher, son­dern mit geis­ti­ger oder mehr­fa­cher Behin­de­rung. Die Beach-
Vol­ley­bal­ler aus Wil­helms­dorf waren Teil des Teams Deutsch­land mit sei­nen 412 Ath­le­tin­nen und Ath­le­ten. Ins­ge­samt waren rund 7.000 Sport­le­rin­nen und Sport­ler aus 176 Natio­nen bei den Welt­spie­len in Ber­lin am Start. Gemes­sen haben sie sich unter dem Motto #Zusam­menUn­schlag­bar in 26 Sport­ar­ten von Bad­min­ton bis Tisch­ten­nis. Gefei­ert wurde an der Spree aber auch ein bun­tes Fest des Sports für mehr Aner­ken­nung und gesell­schaft­li­che Teil­habe von Men­schen mit geis­ti­ger Behin­de­rung.

»Medaille um den Hals war ein mega Gefühl«

Die zwölf Tage in Ber­lin seien eine tolle Erfah­rung gewe­sen. Beson­ders gefreut hätten ihn die vie­len Zuschauer – 250 bis 500 bei jedem Spiel, sagt Den­nis Kutz­ner. »Das waren wir gar nicht gewöhnt und es hat uns echt gefreut.« Von der Eröffnungs­feier im Olym­pia­sta­dion über das Wie­der­se­hen alter Freunde von früheren sport­li­chen Begeg­nun­gen bis hin zum Erfolg auf dem Beach-Vol­ley­ball­feld hat er die World Games nur posi­tiv in Erin­ne­rung. »Beson­ders freut mich, dass unsere Wil­helms­dor­fer Mann­schaft als ein­zige einen Satz gegen die Gold­me­dail­len­ge­win­ner aus den Verei­nig­ten Ara­bi­schen Emi­ra­ten gewin­nen konnte«, berich­tet der Ath­let. Sil­ber sei an Finn­land gegan­gen. »Und als ich die Bron­ze­me­daille um den Hals hatte, war das ein mega Gefühl«, beschreibt er sein abso­lu­tes High­light. Auch an die­sem Abend geht es für Den­nis Kutz­ner wie­der zum Trai­ning. Zwi­schen zwei und fünf Stun­den Vol­ley­ball oder Fußball baut er täglich in sei­nen All­tag ein. »Ohne Sport könnte ich nicht leben«, ist er sich sicher.

»Es war traum­haft und so schön, wie ich es mir vor­ge­stellt habe«, gerät auch Beach-Vol­ley­bal­ler Matt­hias Aig­ner ins Schwärmen, wenn er sich an den Auf­takt der Welt­spiele im Ber­li­ner Olym­pia­sta­dion erin­nert. Zu den High­lights des 33-Jähri­gen gehören Begeg­nun­gen mit Bun­des­kanz­ler Olaf Scholz, Bas­ket­ball­star Dirk Nowitzki und Adi­das-Chef Björn Gul­den. Und den Moment der Sie­ger­eh­rung kann ihm nie­mand mehr neh­men. »Bevor wir die Medail­len beka­men, habe ich mit den Fans zusam­men auf dem Spiel­feld vor Freude getanzt.« Mit Bene­dict Enin­ger ist auch der dritte im Bunde überglücklich über das Edel­me­tall.

Ent­wick­lung aus gemein­sa­mem Schul­pro­jekt

Bereits seit rund 30 Jah­ren sind Men­schen mit Beeinträchti­gung in der TSG Wil­helms­dorf in einer eige­nen Abtei­lung sport­lich aktiv. Seit 1990 neh­men sie in unter­schied­li­chen Sport­ar­ten regelmäßig an Spe­cial Olym­pics Wett­be­wer­ben teil. Das Vol­ley­ball Uni­fied Team, bei dem Sport­ler mit Beeinträchti­gung jeweils einen Part­ner ohne Beeinträchti­gung haben, ent­wi­ckelte sich 1994 aus einem gemein­sa­men Schul­pro­jekt von Gym­na­sium und Heim­son­der­schule Has­lachmühle. Seit­dem tref­fen sich jeden Mon­tag­abend Sport­ler, um gemein­sam Vol­ley­ball zu spie­len.

Einer von ihnen ist Maximo Win­ter, der bereits seit 2013 im Wil­helms­dor­fer Uni­fied Team Vol­ley­ball spielt. »Hier ist der Team­geist wich­ti­ger als der Erfolg und man stellt sein eige­nes Ego nicht in den Vor­der­grund«, sagt der 23-Jährige, der mit der Mann­schaft eben­falls bei den Spe­cial Olym­pics World Games in Ber­lin war. Auch wenn es ihm nicht in ers­ter Linie um das Gewin­nen ging, sei die Bron­ze­me­daille für ihn eine schöne Bestätigung. Win­ter stu­diert Son­derpädago­gik und ist gerade dabei, an sei­ner Hoch­schule in Lud­wigs­burg ein Uni­fied Vol­ley­ball-Team auf­zu­bauen. »Das Inter­esse ist da und die Welt­spiele machen es ein­fa­cher, neue Mann­schaf­ten zu gründen.« Die Wahl sei­nes Stu­di­en­fachs habe auch mit den zahl­rei­chen Begeg­nun­gen und Erfah­run­gen zu tun, die er im Laufe sei­ner Jugend mit Men­schen mit Beeinträchti­gung gemacht habe. »Ich glaube, dass vom Effekt der Spiele etwas blei­ben wird.«

Von Anfang an bis heute ist Michael Stäbler, ehe­ma­li­ger Fach­leh­rer an der Heim­son­der­schule Has­lachmühle, mit von der Par­tie, wenn es in Wil­helms­dorf um Sport und Inklu­sion geht. »Zur Gründung einer eige­nen Abtei­lung für Men­schen mit Beeinträchti­gung in der TSG kam es, da wir den sport­lich Akti­ven auch nach der Schul­zeit eine Anlauf­stelle bie­ten woll­ten«, erin­nert er sich. Wich­tig sei dem Verein gewe­sen, dass die Men­schen auch im öffent­li­chen Leben ihren Platz fin­den. So trai­nie­ren nicht wenige an ein bis drei Aben­den pro Woche in unter­schied­li­chen Sport­ar­ten im Verein. »Gerade wenn die Men­schen alleine woh­nen, bekommt das Trai­ning noch­mals eine ganz andere Bedeu­tung«, weiß Stäbler, der Lan­des­be­auf­trag­ter für »Jugend trai­niert für Spe­cial Olym­pics bzw. Paralym­pics« ist. Würden sie doch so wie jeder andere Kon­takte knüpfen und Freund­schaf­ten schließen. Ins­ge­samt werde der inklu­sive Gedanke in Wil­helms­dorf gut ange­nom­men. Ein­zi­ges Pro­blem sei, dass viele Jugend­li­che ohne Beeinträchti­gung nach der Schul­zeit von Wil­helms­dorf weg­zie­hen. »Es gibt aber immer noch gemein­same Trai­nings am Woche­n­ende oder in den Semes­ter­fe­rien«, so Stäbler.

Hoff­nung auf nach­hal­ti­gen Effekt der Spiele

Von einem Rie­sen­spaß spricht Vol­ley­ball-Trai­ner Raphael Stäbler, Sohn von Michael Stäbler, wenn er an die World Games zurückdenkt. »Die Spiele haben die Auf­merk­sam­keit verändert. Jetzt weiß man, dass es sich auch bei uns um guten und fai­ren Sport han­delt.« Der Unter­schied: Auch beim Ver­lie­ren eines Mat­ches würden sich die Ath­le­ten oft hin­ter­her in den Armen lie­gen und gemein­sam fei­ern. »Das ist bei den Pro­fis nicht immer so.« Man habe es geschafft, dass Men­schen mit geis­ti­ger Beeinträchti­gung anders wahr­ge­nom­men wer­den. So sei für ihn der Ein­marsch ins 1934 gebaute Ber­li­ner Olym­pia­sta­dion mit Blick auf die NS-Zeit, in der diese Men­schen als nicht lebens­wert bezeich­net und ermor­det wur­den, ein Gänse­haut-Moment gewe­sen. Nun ist Stäbler gespannt, wie nach­hal­tig der posi­tive Effekt der Spe­cial Olym­pics tatsächlich wird. »In Ber­lin hieß es, dass wir Mau­ern in den Köpfen ein­reißen.« Was man brau­che seien ein Mitein­an­der und gemein­same Erleb­nisse.

Wil­helms­dorf war Host Town für Färöer Inseln

Aus Wil­helms­dorf kamen aber nicht nur Teil­neh­mer der Spe­cial Olym­pics World Games. Die Gemeinde war außerdem Gast­ge­ber für die Ath­le­ten der Färöer Inseln. Mit dem Zuschlag als eine von ins­ge­samt 216 »Host Towns« war Wil­helms­dorf Teil des größten kom­mu­na­len Inklu­si­ons­pro­jekts in der Geschichte der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land. »Sport ist der beste und ein­fachste Weg, Men­schen mit­ein­an­der zu ver­bin­den«, sagte Bürger­meis­te­rin San­dra Flucht, die mit den Gästen beim Aus­flug in Meers­burg und bei der Entzündung des olym­pi­schen Feu­ers im Rah­men eines Fests auf dem Wil­helms­dor­fer Saal­platz war. Durch die Teil­nahme am Host-Town-Pro­gramm erhoffe sie sich einen wei­te­ren posi­ti­ven Schub für die Inklu­si­ons­ar­beit in der Gemeinde, so San­dra Flucht. Zum Pro­gramm der Men­schen mit Beeinträchti­gung von der nord­eu­ropäischen Insel­gruppe gehörte neben einer Führung durch das Pfrun­ger-Burg­wei­ler Ried auch ein Besuch in der Gärtne­rei und in den Pro­duk­ti­ons­werkstätten der Zieg­ler­schen.

»Wir haben bereits selbst Host Towns bei früheren Spe­cial Olym­pics World Games genos­sen und woll­ten ein­fach etwas zurückge­ben«, sagt Michael Stäbler zur Bewer­bung von Wil­helms­dorf als Host Town. Dabei hätten die Kom­mune, der Verein und die Zieg­ler­schen her­vor­ra­gend zusam­men­ge­ar­bei­tet. »Uns war wich­tig, dass sich die Ath­le­ten wohlfühlen, Trai­ningsmöglich­kei­ten haben, Land und Leute ken­nen­ler­nen und sich akkli­ma­ti­sie­ren«, so Stäbler. Selbst­verständlich gab es zwi­schen den Sport­lern aus Wil­helms­dorf und von den Färöern auch gemein­same Trai­nings­ein­hei­ten. Nicht zuletzt haben sie sich in Ber­lin noch­mals zu einem gemein­sa­men Grill­fest getrof­fen. Wich­tig ist Stäbler auch die große Unterstützung der Wil­helms­dor­fer Geschäfts­leute. »Sie haben zum Bei­spiel extra bedruckte T-Shirts getra­gen. Das war rich­tig schön und die Ath­le­ten haben sich will­kom­men gefühlt.« Auch die großzügige Förde­rung der Johan­nes-Zieg­ler-Stif­tung war für die Umset­zung die­ses Rie­sen­vor­ha­bens sehr wich­tig.

In Ber­lin war Michael Stäbler als Zuschauer mit von der Par­tie. »Bis hin zur freien Fahrt mit Bus und Bahn hat die Stadt eine her­vor­ra­gende Leis­tung gebo­ten«, so sein Ein­druck. Auch er hofft auf einen nach­hal­ti­gen Effekt der Spiele. »Es ist not­wen­dig, dass in die­sem Bereich etwas pas­siert. Aktu­ell haben nur um die acht Pro­zent der Sport­ver­eine eine eigene Abtei­lung für Men­schen mit Beeinträchti­gung«, erläutert Stäbler. Es gebe also noch viel zu tun.

»Wir ver­ste­hen unsere Sport­ler als Bot­schaf­ter für das Mitein­an­der von Men­schen mit und ohne Behin­de­rung«, sagt Gott­fried Heinz­mann, Vor­stands­vor­sit­zen­der der Zieg­ler­schen. Die Teil­nahme der Beach-Vol­ley­bal­ler an den Spe­cial Olym­pics und die Gemeinde Wil­helms­dorf als Gast­ge­ber für die Ath­le­ten von den Färöer-Inseln waren eine tolle Möglich­keit, das, was vor Ort in Sachen Inklu­sion
gesch­ehe, wei­ter bekannt zu machen. Die ein­ge­spielte Koope­ra­tion zwi­schen den Zieg­ler­schen und der TSG Wil­helms­dorf trage dazu einen wich­ti­gen Teil bei. »Die­ses selbst­verständli­che Zusam­men­le­ben erlebe ich als etwas Beson­de­res «, erklärt Heinz­mann. Auch Uwe Fischer, Geschäftsführer der Behin­der­ten­hilfe der Zieg­ler­schen, freut sich, Teil der Spe­cial Olym­pics-Fami­lie zu sein. »In Sachen unkom­pli­zier­ter, gemein­sa­mer Sport mit einem Verein fühlen wir uns in Wil­helms­dorf schon als Pio­niere.«

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Gänsehaut-Momente beim Einmarsch ins Olympiastadion: Vorne in gelb die Wilhelmsdorfer Sebastian Manz (2.v.l.) und Benedict Eninger (3.v.l.)

Bingo: Matthias Aigner (r.) traf Kanzler Scholz (2.v.l.)

Dennis Kutzner (l.), Matthias Aigner (m.) und Benedict Eninger vertraten Deutschland im Beach-Volleyball.

Erfolgsteam: Volleyball-Trainer Raphael Stäbler (l.) und sein Mannschaftskapitän Dennis Kutzner

Grosser Bahnhof beim Besuch der Gäste von den Färöer Inseln: »Wir wollten, dass sie sich hier wohlfühlen.«