Titelthema

April 2023

Stiften

Wer stiftet, will etwas zum Guten bewegen – und das dauerhaft. Ein Streifzug durch die bunte Welt des Stiftens, am Beispiel der Johannes-Ziegler-Stiftung.

Text: Petra Hennicke

Stif­tun­gen lie­gen im Trend. Rund 25.000 gibt es in Deutsch­land, jährlich kom­men knapp 750 dazu. Auch die Zieg­ler­schen haben eine Stif­tung: die Johan­nes-Zieg­ler-Stif­tung. Zur Zeit der Gründung waren sie immer öfter mit kon­kre­ter Armut kon­fron­tiert. So ent­stand die Idee, Kapi­tal ein­mal anzu­le­gen und dann dau­er­haft aus den Erlösen zu hel­fen. Seit­her wer­den Men­schen und Pro­jekte in den Zieg­ler­schen unterstützt, für die es sonst keine Mit­tel gibt. Und eigene Ange­bote, etwa die Ves­per­kir­chen oder die Feri­en­frei­zeit, wer­den selbst orga­ni­siert. Aktu­ell tut sich viel Neues in der Johan­nes-Zieg­ler-Stif­tung. Grund genug, das »Kleinod« ein­mal genauer unter die Lupe zu neh­men.

»Hallo Feli!« Nachein­an­der tref­fen die Frauen im Stall­gebäude ein. Jede ein­zelne wird von Gol­den Retrie­ver-Hündin Feli freu­dig begrüßt. Auch Frauen, denen es gerade nicht so gut geht, wer­den ange­stupst und ins Hier und Jetzt geholt. »Passt auf eure Hand­schuhe auf«, ruft Elke Hey­mann-Sza­gun lachend in die Runde. Die Psy­cho­lo­gin und Psy­cho­the­ra­peu­tin betreut in der Fach­kli­nik Höchs­ten, einer Kli­nik für sucht­kranke Frauen, die tier­gestützte The­ra­pie. Zehn Zie­gen, acht Lamas, sechs Pferde und zwei Hunde sind ihr Team. Eine davon ist Feli, die sich gerne mal einen Hand­schuh schnappt.

Pati­en­tin Monika G. ist heute zum ers­ten Mal dabei. Sie ist 57 und nach der Schei­dung von ihrem Mann alko­holabhängig gewor­den. Zusam­men mit acht Frauen steht sie im Begrüßungs­kreis. Plötzlich kommt Feli und schmiegt sich an ihre Beine. Monika G. beugt sich hin­un­ter, strei­chelt das Tier &hel­lip; und bricht in Tränen aus. »Ich hatte ganz ver­ges­sen, wie viel ich emp­fin­den kann«, sagt sie später. »Ich war lange nicht mehr so glücklich wie in die­sem Moment.«

The­ra­peu­tin Hey­mann-Sza­gun kennt diese Wir­kung: »Tiere berühren die Frauen auf einer Ebene, die mit Wor­ten oft nicht zu errei­chen ist«, erklärt sie. Und ergänzt: »Die eige­nen Gefühle und Bedürfnisse wie­der­zu­fin­den ist ein wich­ti­ger Bau­stein im Hei­lungs­pro­zess.« Es gibt nur wenige Sucht­kli­ni­ken in Deutsch­land, in denen The­ra­pie mit Tie­ren möglich ist. Die Fach­kli­nik Höchs­ten der Zieg­ler­schen in Bad Saul­gau ist eine davon. Dass die­ses Ange­bot, des­sen Finan­zie­rung Jahr für Jahr zum Balan­ce­akt wird, wei­ter­geführt wer­den kann, ist nicht zuletzt einer Stif­tung zu ver­dan­ken: der Johan­nes-Zieg­ler-Stif­tung. Elke Hey­mann-Sza­gun ist glücklich darüber.

Die tier­gestützte The­ra­pie ist ein Vor­zeige-Pro­jekt der Stif­tung. Denn die Johan­nes-Zieg­ler-Stif­tung, »die Stif­tung der Zieg­ler­schen«, fördert laut Sat­zung vor allem Auf­ga­ben aus den Hil­fe­fel­dern des dia­ko­ni­schen Unter­neh­mens: aus der Sucht­hilfe wie aus der Alten­hilfe, aus der Behin­der­ten­hilfe, der Jugend­hilfe oder dem Hör-Sprach­zen­trum. 2009 wurde die Stif­tung von den Zieg­ler­schen selbst gegründet und erhielt im Geden­ken an Johan­nes Zieg­ler, den Namens­ge­ber der Zieg­ler­schen, des­sen Namen. »Damals waren wir in unse­rer Arbeit immer häufi­ger mit kon­kre­ter Armut kon­fron­tiert«, erzählt Uschi Matt. Sie ist eine strah­lende, zupa­ckende Frau und arbei­tet im Hör-Sprach­zen­trum der Zieg­ler­schen. »Ich erin­nere mich an Kin­der, die kein Geld für Klas­sen­ausflüge hat­ten. Oder einen gehörlo­sen Jun­gen, dem man das Schul­geld nicht zah­len wollte, weil seine Fami­lie nur einen Dul­dungs­sta­tus hatte. Damals haben wir uns gesagt: Wir müssen etwas tun!«

So ent­stand die Idee der Stif­tung: Kon­krete Hilfe sollte sie möglich machen – und zwar nach­hal­tig. Kapi­tal wird ein­mal ange­legt und mit den Erlösen kann dau­er­haft Gutes getan wer­den. Zugleich sollte damit die dia­ko­ni­sche Arbeit lang­fris­tig gesi­chert wer­den. Uschi Matt war so begeis­tert, dass sie sich mit 26 wei­te­ren Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen aus den Zieg­ler­schen zusam­men­tat und eine Stif­ter­ge­mein­schaft gründete. Gemein­sam brach­ten sie 5.000 Euro auf und wur­den damit Gründungs­stif­ter. Viele Freunde, Förde­rer, Geschäfts­part­ner und Unterstützer der Zieg­ler­schen schlos­sen sich an und zahl­ten eben­falls ins Gründungs­ka­pi­tal ein.

Einer von ihnen ist Jan Pahl. Der Fachan­walt für Erbrecht und für Fami­li­en­recht steckte damals in einem sehr kom­pli­zier­ten Fall. Eine Fami­lie wollte sicher­ge­hen, dass ihre sechs Kin­der – dar­un­ter eines mit Behin­de­rung – auch nach dem Tod der Eltern gut abge­si­chert sind. Für den jun­gen Anwalt, in der Mil­lio­nen­stadt Köln auf­ge­wach­sen, zum Refe­ren­da­riat unter ande­rem nach San Fran­cisco (USA) gegan­gen und dann in Ravens­burg gelan­det, war das ein tiefer Ein­blick in kon­krete Sor­gen und Nöte, in eine andere Welt. Als seine Kanz­lei in die­ser Phase zufällig die Anfrage erreichte, ob sie nicht auch Gründungs­stif­ter der Johan­nes-Zieg­ler-Stif­tung wer­den wol­len, war Jan Pahl sofort Feuer und Flamme. Auf dem offi­zi­el­len Gründungs­foto der Stif­tung sieht man ihn stolz lächelnd ste­hen.

Heute, fast 15 Jahre später, ist Jan Pahl der Johan­nes-Zieg­ler-Stif­tung immer noch eng ver­bun­den. Der 52-Jährige, mitt­ler­weile Vater von drei Kin­dern und Part­ner einer Kanz­lei mit Sitz am Boden­see, ist Stif­tungs­rat und ver­passt trotz eines dich­ten Ter­min­ka­len­ders kaum eines der jährli­chen Tref­fen. Für die Stif­tung und für die Zieg­ler­schen rührt er die Wer­be­trom­mel, so oft es geht. Sogar im pri­va­ten Freun­des­kreis. Warum tut er das? »Für mich ist die Arbeit in der Stif­tung ein Blick über den Tel­ler­rand«, sagt er über­zeugt. »Und es ist ein­fach schön, sich für eine gute Sache ein­zu­set­zen.« Neben dem ursprüngli­chen Stif­ter­be­trag von 5.000 Euro ist er mit sei­ner Kanz­lei Dau­er­zu­stif­ter gewor­den. Monat für Monat fließen 100 Euro in das Stif­tungs­vermögen und las­sen die­ses lang­sam, aber sicher wach­sen und gedei­hen.

Seit der Gründung 2009 ist nicht nur bei Jan Pahl viel pas­siert. Auch die Johan­nes-Zieg­ler-Stif­tung hat sich verändert. So fördert sie längst nicht mehr nur mit Geld, son­dern sorgt selbst dafür, dass viele Ange­bote für Men­schen in Armut umge­setzt wer­den können. Pro­mi­nen­teste Bei­spiele sind die Ves­per­kir­chen in Ravens­burg / Wein­gar­ten und nun auch in Sig­ma­rin­gen. Die »Alts­hau­se­ner Feri­en­frei­zeit für Kin­der aus ein­kom­mens­schwa­chen Fami­lien «, die nicht nur Jan Pahl »am meis­ten ins Herz geht«, gehört eben­falls dazu. Das Stif­tungs­ka­pi­tal ist von rund 875.000 Euro auf inzwi­schen 1,3 Mil­lio­nen Euro ange­wach­sen. Und fast eine halbe Mil­lion Euro konnte in den letz­ten zehn Jah­ren schon aus­ge­ge­ben wer­den – ein Mix aus Spen­den und wie­der­keh­ren­den Erlösen über das Stif­tungs­ka­pi­tal.

In den letz­ten Jah­ren ist eine neue Ent­wick­lung in der Stif­tung zu beob­ach­ten. Enga­gierte Men­schen, etwa der Biber­a­cher Julius Fröscher oder Fami­lie Kall­fass aus Böblin­gen, gehen einen Schritt wei­ter. Sie stif­ten zweck­ge­bun­den größere Sum­men und stel­len damit sicher, dass ein Anlie­gen, was ihnen beson­ders am Her­zen liegt, dau­er­haft gefördert wer­den kann. Während der Julius-Fröscher-Fonds Kin­der und Jugend­li­che aus der Region unterstützt, möchten die Kall­fas­sens, in Erin­ne­rung an ihren ver­stor­be­nen Bru­der Peter Pollak, mit dafür sor­gen, »dass viele Men­schen den Weg aus der Such­ter­kran­kung oder Armut schaf­fen«. Ganz aktu­ell haben sich die Geschwis­ter Alex­an­der und Tamara Herold ent­schlos­sen, einen Fami­lie Herold Fonds zuguns­ten von Men­schen mit Behin­de­run­gen zu errich­ten.

Stif­tun­gen sind im Trend. Der Bun­des­ver­band Deut­scher Stif­tun­gen hat ermit­telt: In Deutsch­land gibt es aktu­ell rund 25.000 davon, ihre Zahl hat sich inner­halb weni­ger Jahre ver­dop­pelt. Und Jahr für Jahr kom­men etwa 3 Pro­zent neue hinzu. Zwei Drit­tel aller Stif­te­rin­nen und Stif­ter sind Pri­vat­leute. Was sie dabei bewegt, kann man in einer großen Stu­die des Ver­ban­des nach­le­sen. Kurz gesagt: Men­schen, die eine Stif­tung gründen, möchten etwas Blei­ben­des schaf­fen. Sie stif­ten aus Verant­wor­tungs­be­wusst­sein für andere und wol­len mit ihrem Enga­ge­ment dau­er­haft etwas bewe­gen. Sie wol­len zum Posi­ti­ven verändern und zugleich etwas schaf­fen, das über ihr eige­nes Leben hin­aus­reicht. 90 Pro­zent aller Stif­tun­gen, so die Sta­tis­tik, ver­fol­gen gemeinnützige Zwe­cke.

»Wir glau­ben, dass es viele Men­schen gibt, die sich gerne stif­te­risch enga­gie­ren wol­len, aber nicht wis­sen, wie und wo«, ist Matt­hias Brai­tin­ger, Mana­ger und Ansprech­part­ner der Johan­nes-Zieg­ler-Stif­tung über­zeugt. Des­halb bie­tet die Stif­tung schon seit länge­rem Unterstützung in die­sen Fra­gen an. »Eine Stif­tungsgründung ist recht­lich anspruchs­voll und der Betrieb mit Ver­wal­tungs­auf­wand ver­bun­den«, weiß der Experte. Und er weiß ebenso: »Viele Stif­ter sind froh, dass sie bei uns auf vor­han­de­nes Know-how, Erfah­run­gen und eine klare Struk­tur zurückgrei­fen können«. Ob eigene Treu­hand-Stif­tung oder Stif­tungs­fonds, sein Team ent­las­tet bei den Ver­wal­tungs­auf­ga­ben und garan­tiert, dass die Erlöse so ein­ge­setzt wer­den, wie die Stif­ter es wol­len und wie es den Möglich­kei­ten der Johan­nes-Zieg­ler-Stif­tung ent­spricht. Das wird vor­her genau bespro­chen und ver­trag­lich abge­si­chert. Eine Win-Win-Situa­tion.

Damit noch mehr Men­schen von die­sen Möglich­kei­ten erfah­ren, gibt es ab Som­mer die­ses Jah­res Bot­schaf­ter der Johan­nes-Zieg­ler-Stif­tung. Sie sol­len an ihrem Arbeits­platz – etwa in einer Schule des Hör-Sprach­zen­trums, im Pfle­ge­heim oder auch in einer Sucht­fach­kli­nik der Zieg­ler­schen – Aushänge­schild und Ansprech­part­ner für poten­zi­elle Stif­ter sein. Uschi Matt ist natürlich mit dabei. Sie brennt noch immer für die Idee der Stif­tung und fin­det wich­tig, was diese tut. Das hat auch mit eige­nen Erfah­run­gen zu tun. Mit acht Jah­ren ver­lor sie ihre Mut­ter, später ging es in ihrem Leben kreuz und quer. »Es gab Zei­ten, da war ich allein­er­zie­hend mit zwei Kin­dern, sehr arm und oft am Rande der Erschöpfung «, blickt die inzwi­schen 60-Jährige zurück. Erst mit der Anstel­lung bei den Zieg­ler­schen wurde das anders. Heute ist sie Lei­te­rin der mobi­len Sprach­be­ra­tung, steht erfolg­reich im Beruf, ist ver­hei­ra­tet und hat sich mit klei­nen pri­va­ten Kuns­te­vents einen Traum erfüllt. »Einen Teil die­ses Glücks wei­ter­zu­ge­ben« ist ihr wich­tig. Denn die Zei­ten in Armut hat sie nie ver­ges­sen. Auch nicht »die große Unterstützung von Freun­den und Frem­den, auch finan­zi­ell«.

Und so liegt es letzt­lich ganz nah bei­ein­an­der, was die Stif­te­rin­nen und Stif­ter, die Bot­schaf­te­rin­nen und Bot­schaf­ter und die Johan­nes-Zieg­ler-Stif­tung selbst wol­len: Unterstützen, hel­fen, verändern,ver­bes­sern. Dau­er­haft Gutes tun. Wer­ner Baur beglei­tet die Stif­tungs­ar­beit schon mehr als zehn Jahre. Er ist Vor­sit­zen­der des Auf­sichts­ra­tes der Zieg­ler­schen und steht somit auch dem Stif­tungs­rat der Johan­nes-Zieg­ler-Stif­tung vor. Über die Jahre hat er viel Zeit und Herz­blut in die Stif­tungs­ar­beit inves­tiert. »Was die Johan­nes-Zieg­ler-
Stif­tung für Men­schen in schwie­ri­gen Situa­tio­nen zu errei­chen ver­mag, ist beein­dru­ckend, berührend und manch­mal sogar lebens­verändernd«, ist er über­zeugt. Er sieht sie als »Kleinod mit enor­mer Spreng­kraft« und auch als einen großen, bun­ten und schönen Gar­ten. Ein Gar­ten, in dem noch eine Menge Platz ist – für viele wei­tere Men­schen und ihre ganz eige­nen Her­zens­an­lie­gen und Ideen. »Wir sind über­zeugt, dass Ihre Wünsche und Vor­stel­lun­gen hier wach­sen und gedei­hen können«, wirbt er um wei­tere Mit­strei­ter. »Hier wer­den Stif­ter im bes­ten Sinne zu Anstif­tern.«

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»Ich war lange nicht mehr so glücklich wie in diesem Moment« – die Hündin Feli erinnert Patientinnen an lange vergessene Gefühle.

Uschi Matt (r.) ist glücklich an ihrem Arbeitsplatz bei den Zieglerschen. »Einen Teil diese Glücks weiterzugeben« ist ihr wichtig.

Werner Baur (l.) im Einsatz für die Stiftung: Hier im Gespräch mit Stiftungsrat Prof. Dr. Christian Heckel.