Titelthema
März 2021
Zieglersche Digital
Homeoffice, Homeschooling, Videokonferenzen – Corona hat für einen Digitalisierungsschub gesorgt, auch bei den Zieglerschen.
Text: Stefan Wieland, Vanessa Lang, Nicola Philipp, Jacqueline de Riese und Annette Scherer
Corona hat die Welt verändert, beruflich wie privat. Ein Aspekt ist die Digitalisierung. Homeoffice, Homeschooling, Videokonferenzen ... die Pandemie hat für einen Digitalisierungsschub gesorgt, auch bei den Zieglerschen. Vieles war schon vorher da, etwa in der Verwaltung, wo die papierlose Rechnungstellung seit Jahren gängige Praxis ist. Oder beim digitalen Bewerbungsmanagement, wo längst alles online läuft, ohne dicke Briefe und Mappen. Aber wie sieht es in den Schulen, Kliniken und Altenheimen aus? Was tut sich hier und was hat sich durch Corona beschleunigt? Eine digitale Spurensuche.
Gleich ist es 15 Uhr. Margret Torbeck kann es kaum erwarten. Die 88-Jährige lebt im Seniorenzentrum »Im Brühl« in Aldingen und wartet gespannt darauf, dass sich ihre Nichte per Video meldet – wie jeden zweiten Mittwoch im Monat. Während Margret Torbeck schon ihren Nachmittagskuchen genossen hat, dampft bei Alice Runa gerade einmal der Frühstückskaffee. Bei ihr ist es erst 7 Uhr am Morgen, denn sie lebt in Aurora nahe Denver, Colorado. Stolze 8.200 Kilometer trennen die beiden, häufige Besuche sind deswegen nicht möglich. Und doch fühlen sie sich während ihrer Gespräche ganz nahe. Die digitale Technik macht’s möglich.
Tante und Nichte tauschen sich über Neuigkeiten aus oder Margret Torbeck liest aus ihren eigenen Gedichten vor. »Ich liebe die Gedichte meiner Tante«, schwärmt die Wahlamerikanerin. »Tante Margret ist mir sehr wichtig, sie war immer meine Lieblingstante«, erzählt die 63-Jährige. Dank der regelmäßigen Videogespräche wisse sie, wie es ihr gehe und dass sie in guten Händen sei. Persönlich gesehen haben sich beide zuletzt 2019, als Margret Torbeck in das Seniorenzentrum eingezogen ist. Damals hat Alice Runa beim Umzug geholfen. Und sie hat Karin Korb kennengelernt. Die engagierte Mitarbeiterin im Bereich Soziale Betreuung hilft, wenn die Technik mal streikt. Dafür sind ihr beide dankbar. »Das ist ein sehr gutes Gefühl zu wissen, dass die Lieben in guten Händen sind«, beteuert Alice Runa.
Nicht nur in Aldingen, sondern auch in anderen Seniorenzentren finden Videokonferenzen zwischen Bewohnern und Angehörigen seit Corona verstärkt statt. Sie sind aber nur ein Beispiel für die Digitalisierung in der Altenhilfe. »Grundsätzlich wollen und müssen wir uns damit auseinandersetzen und Innovationen in dem Bereich aktiv vorantreiben«, betont Sebastian Köbbert, Geschäftsführer der Altenhilfe. »Wir versuchen stets, verschiedene technische Mittel zu testen, für uns zu bewerten und wenn sie sich bewähren einzuführen.« So kommen etwa sogenannte Sturzmatten vor den Betten, die mit dem Notrufsystem verbunden sind, schon lange zum Einsatz – und mit ihnen ethische Fragen, nämlich das Abwägen zwischen Patientenschutz und Überwachung. Auch die digitale Pflegedokumentation hat in vielen Häusern erfolgreich Einzug gehalten. Sie ist ein Baustein für ein vernetztes, digitales Zusammenwirken in der Pflege. Die Einsicht in Anamnese- und Diagnostikaufzeichnungen sowie den Medikamentenplan durch Ärzte, Krankenhäuser oder Reha-Kliniken sind zwar noch Zukunftsmusik, weil das Thema Datenschutz nicht abschließend geklärt ist und die passende Software noch fehlt, aber vielversprechend.
Doch nicht jede Neuerung überzeugt. Beispiel Pflegerobben. Knuddelige Pelztiere mit süßen Knopfaugen, vollgestopft mit künstlicher Intelligenz. Die kleinen Computer reagieren bei Berührung und wurden vor allem für Demenzpatienten entwickelt. »Pflegerobben setzen wir in der Regel nicht ein, weil es kritische Stimmen gibt«, sagt Köbbert. »Ich lehne das Thema nicht per se ab, aber meine Überzeugung ist klar: Die persönliche Interaktion ist durch nichts zu ersetzen.« Gleiches gelte auch für Pflegeroboter. Grundsätzlich seien sie sinnvoll, etwa um bei körperlich schwerer Arbeit zu entlasten. Es sei aber eine »gruselige Vorstellung«, dass Roboter irgendwann die menschliche Pflege ersetzen könnten.
Statt Robben oder Robotern haben Tablets inzwischen in vielen Seniorenzentren Einzug gehalten. Etwa im Karlsstift Schorndorf. Hier wird das Gerät unter anderem genutzt, um mit einer App Musik und Tierlaute abzuspielen und Bilder zu zeigen. Bilder, die Erinnerungen bei Menschen mit Demenz wecken: alte Autos, Gebäude oder alte Geschichten. »Die Senioren freuen sich an Liedern und Fotos von früher. Man kann auch ad hoc eine passende Musik spielen, das ist toll«, sagt Manuela Petretschek, Leiterin der Sozialen Betreuung im Karlsstift. Auch im Seniorenzentrum Mengen sind schon länger Tablets im Einsatz. Hier haben die Bewohner von Kindern des Ortes gelernt, wie man so ein Gerät bedient, etwa Fotos anschaut oder Gedächtnisspiele spielt. Am Ende gab’s für die Senioren einen »Tablet-Führerschein« und viel Begeisterung. Die hat auch Manuela Petretschek beobachtet: »Bei uns will jeder mal das Tablet haben. Oft heißt es dann ›a neumodisch’s Deng, aber interessant on guat‹.«
Ähnlich wie in den Seniorenzentren hat der Corona-Lockdown auch in der Behindertenhilfe die lang ersehnte Ausstattung mit Tablets vorangebracht. »Endlich können wir per Videotelefonie mit den Eltern kommunizieren«, freut sich Marc Seeger, Leiter intensiv betreutes Wohnen in der Haslachmühle. Doch gerade in der Behindertenhilfe, wo Menschen leben und arbeiten, die sich häufig nur über Gebärden oder Symbole verständigen können, bedeuten die neuen Tablets noch viel mehr. Sie dienen als mobile Kommunikationsgeräte, um im Alltag ohne Hilfe zurechtzukommen. »Auf den Tablets sind verschiedene Kommunikations- und Gebärdenapps installiert«, erklärt Roswitha Österle, Referentin für Unterstützte Kommunikation in der Behindertenhilfe. »Damit kann sich jeder mitteilen, ob beim Bäcker, im Supermarkt oder in der Bahn.« Die Expertin hat sich früh für mobile digitale Lösungen eingesetzt und macht sich jetzt dafür stark, dass die von den Zieglerschen mit entwickelte Gebärdensammlung »Schau doch meine Hände an« endlich als runderneuerte App auf den Markt kommen kann.
Lockdown. Das Wort wurde erst kürzlich zum »Anglizismus des Jahres 2020« gekürt. Auf Platz 2, wenig überraschend, landete die Wortschöpfung Homeschooling. Auch für die Jüngsten hat Corona als Beschleuniger gewirkt und dem Digitalisierungsgedanken einen ordentlichen Schub versetzt. Zwar haben sich die Schulen des Hör-Sprachzentrums schon davor mit »Lernen und Lehren mit digitalen Medien« beschäftigt. Es gibt Projektgruppen zum Thema und Kinder haben Bilder gemalt, wie sie sich die »Schule der Zukunft« vorstellen. Darauf zu sehen: Tablets für alle, »Fur Jeden 1 KombJüter«, ein Baumhaus mit 5G-Netz, Tiere, »Fastul«, Putzroboter …
Alexandra Hoffmann, Leiterin der Lassbergschule in Sigmaringen, gehört zu dieser Projektgruppe. Sie ist überzeugt, dass das digitale Lernen auch für die Grundschulkinder ihres Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrums (SBBZ), also Kinder mit Hör- und Sprachbehinderungen, ein Gewinn ist. »Digitale Medien eröffnen den Schülern neue Lernwege und ein Mehr an Barrierefreiheit«, weiß sie zu berichten. Und schwärmt: »In Sachen Technik haben wir einen richtig großen Sprung gemacht.« Mit ihrem Enthusiasmus steckt Alex Hoffmann andere an. Und auch vom Homeschooling ist die 42-Jährige begeistert. »Natürlich ist die Situation für viele Eltern und auch manche Kinder sehr schwierig. Als Schulleiterin finde ich aber, dass Homeschooling bei uns gut funktioniert: variabel und total differenziert, wie man es sich für ein SBBZ wünscht.« Ein Kind, das die direkte Ansprache der Lehrkraft brauche, werde morgens angerufen und erhält die Aufgaben für den Tag. »Darüber hinaus gibt es Lernpakete per Post mit Material, das man in die Hand nehmen kann.« Mit einem Mix aus digital und analog gehen die Schüler etwa im Matheunterricht der Frage nach, wie der verflixte Räuber Minus funktioniert. Videocall-Sitzungen hingegen dienen eher dazu, sich im Klassenverband zu treffen.
Damit Fernunterricht gut funktioniere sei es wichtig, sich die Aufgaben zurückgeben zu lassen und zu kontrollieren. »Die Kinder bekommen also regelmäßig Rückmeldung zu dem, was sie erarbeitet haben«, betont sie. Das A und O sei allerdings eine gute technische Ausstattung, wie auch Daniel Peter weiß (siehe unseren Expertentipp). »Wir nutzen alle Fördermittel des Bundes und des Landes und uns reicht es immer noch nicht«, fügt Alex Hoffmann bedauernd hinzu: »Schließlich haben wir viele gute Ideen für den Einsatz digitaler Medien in Therapie und Unterricht.«
Szenenwechsel in die Suchthilfe. Zwar hat man von »Hometherapy« bislang noch nichts gehört. Doch auch hier ist viel in Bewegung gekommen. Während in den Kliniken die Therapien weiter in direkter Begegnung stattfinden, musste die ganztägig ambulante Tagesrehabilitation Ulm einen anderen Weg gehen. »Viele unserer Patientinnen und Patienten reisen täglich mit öffentlichen Verkehrsmitteln an. Daher ist das Ansteckungsrisiko bei uns deutlich höher«, erklärt Susann Entress, Therapeutische Leiterin der Tagesreha. In den besonders kritischen Corona-Zeiten von März bis Juni und wieder seit Oktober läuft die Therapie daher 50:50, halb analog, halb digital. Montag, Mittwoch und Freitag steht das reguläre Präsenzprogramm auf dem Plan, dienstags, donnerstags und samstags gibt es digitale Therapiegruppen. Dazu wurden zwei digitale Gruppenräume eingerichtet, in die sich Patienten und Therapeuten per Telefon einwählen – »in der Regel sehr zuverlässig und pünktlich«.
»Eine Therapie über Telefon ist natürlich schwieriger, weil man sich nicht sieht und wichtige Sinneskanäle fehlen«, weiß die Suchtexpertin. Doch Videokonferenzen würden voraussetzen, dass jeder Patient über ein modernes Smartphone verfügt. »Das ist nicht der Fall. Deshalb haben wir uns fürs Telefon entschieden.« Neben den telefonischen Gruppentherapien gibt es für die Tage, an denen die Patienten daheim bleiben, einen Plan, der helfen soll, den Tag gut zu strukturieren. Die Patienten selbst reagieren positiv auf die neuen Therapieformen. »Laut unseren Rückmeldebogen wird die Mischung von Präsenz und digital gut angenommen. Die Zufriedenheit ist unverändert hoch«, konstatiert Susann Entress. Dankbar seien die Patienten vor allem, dass die Therapie überhaupt weitergehen konnte. Für die Zeit nach Corona wünscht sie sich, »dass Teile des digitalen Programmes, die sich besonders bewährt haben, perspektivisch das Präsenzprogramm ergänzen«. Die anfängliche Notlösung habe sich vielfach bewährt. »Aber das muss natürlich mit den Kostenträgern geklärt werden.«
Auch in der Verwaltung der Zieglerschen hat mit der Pandemie digitales Arbeiten stark zugenommen. Kaum eine Managementkonferenz oder Teamsitzung findet derzeit als Präsenzmeeting statt, alles läuft über Videokonferenzen. Was einfach klingt, war eine große Herausforderung für die IT-Abteilung. »Von jetzt auf gleich mussten wir ein passendes System identifizieren und auf hunderten Rechnern bereitstellen«, berichtet Gerburg Joos-Braun, Leiterin der IT-Abteilung. Hinzu kamen sichere Rechnerzugänge, damit möglichst viele Mitarbeitende von zu Hause arbeiten können. Was als Pandemie-Notfallprogramm daherkam, entspricht auch der Unternehmensstrategie der Zieglerschen. Digitale Teilhabe lautet das Ziel, das Social Intranet EmiL ist ein Teil davon. Als Wissens- und Kommunikationsplattform für den Austausch und die Vernetzung ist EmiL Ausgangspunkt des zukünftigen digitalen Arbeitsplatzes. Damit alle Mitarbeitenden daran partizipieren können, wurden 1.600 neue E-Mail-Konten eingerichtet. Außerdem wurde gemeinsam mit dem Facility Management der Ausbau der Infrastruktur für digitale Teilhabe von Bewohnern, Klienten und Schülern an den Standorten vorangetrieben. Und das wird nicht der letzte technische Kraftakt bleiben, ist sich IT-Leiterin Gerburg Joos-Braun sicher. »Digitalisierung ist ein Prozess, der nie zu Ende gehen wird. Für uns alle gilt, sich ständig weiterzuentwickeln, um in der Transformation zu bestehen.«
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Stolze 8.200 Kilometer trennen Margret Torbeck (l.) und ihre Nichte Alice Runa. Dank Videochat sind sie sich dennoch nah.
Damit Fernunterricht funktioniert, ist es wichtig, dass die Kinder Rückmeldung bekommen zu dem, was sie erarbeitet haben.
Kaum eine Sitzung findet derzeit als Präsenzmeeting statt, alles läuft über Videokonderenzen.