»Alles Unverstellte ist ein Geschenk«

Hanspeter Wieland

Unter Künstlern

»Alles Unverstellte ist ein Geschenk«

Hanspeter Wieland

Unter Künstlern

Dezember 2016

Der in Überlingen lebende Schrift­steller Hans­peter Wieland ist für seine Bücher und Gedichte in See­ale­mannisch bekannt. Manchmal schreibt er aber auch auf Hoch­deutsch. Zum Beispiel über seinen Besuch in der Mal­werkstatt unserer Behinderten­hilfe. Einen Tag lang hat er die Künstler erlebt, ihnen über die Schulter gesehen. Sein Fazit? »Ich möcht wieder­kommen.«

Text: Hanspeter Wieland

Pin­sel­krat­zen, andächti­ges Pin­sel­scha­ben, Blei­stift­spitz­ma­schi­nen­dril­len, Bunt­stifte auch, wie­der und wie­der dril­len. Ölkrei­den, Tuschen, Ölfar­ben, Acryl­far­ben; Böden auch voll davon, Stühle, Hände, Wan­gen, Nasen ... Es macht das vom vie­len Getöse geschla­gene arme Gemüt fried­voll, zuzu­se­hen den Männern und Frauen »mit Hör-Sprach­be­hin­de­rung, auch zusätzlich geis­ti­ger Behin­de­rung, Men­schen, mit ganz unter­schied­li­chen Assis­ten­zer­for­der­nis­sen zur künst­le­ri­schen Arbeit«, wie es in der Selbst­dar­stel­lung heißt. Es ent­ste­hen hier Bil­der­wel­ten von Künst­lern, die man­ches anders hören, über die Dinge viel­leicht auch unge­wohnt spre­chen und gleich­sam das Leben beden­ken. Es geschieht eben oft anders, beglückend in nicht so gewohn­ter Art.

Hier – das ist in der Mal­werk­statt der Behin­der­ten­hilfe. Bei Silke Leo­pold, Mal­werk­statt­lei­te­rin, Agen­tin, Assis­ten­tin ihrer Künst­ler, tref­fen sie sich jeden zwei­ten Sams­tag im Monat in den freund­lich-alt­mo­di­schen Räumen der Wil­helms­dor­fer Alten Hof­mann­schule. Da wird jeder einen Tag ver­brin­gen, für sich und doch in Gemein­sam­keit.

Alles Unver­stellte ist ein Geschenk. Es lädt ein, es ihm herz­lich gleich­zu­tun. Warum etwas vor­ma­chen? In der Werk­statt hätte Kaschie­ren nicht viel Wert. Man sieht gleich, was mit mir los ist. Nimm mich, wie ich bin. Nimm mich an! Daraus ent­steht alles. Bil­der auch. Gewiss gäb es auch hier Anlässe genug für Ver­stel­lung. Aber viel­leicht ist sie gleich durch­schau­bar? Und schon hat es allen Schre­cken der Täuschung ver­lo­ren, wenn jemand fragt: Hoi, woran hast du das gemerkt? Man ist gerührt, sodass man am liebs­ten umar­men möchte, aber da ist man schon selbst umarmt.

Damit ist nun eigent­lich alles gesagt, warum ich gekom­men bin. Und noch wie ich täppisch dort steh und frem­dele, kommt Ralf Cies­lik auf mich zu. Der junge Mann als Künst­ler bedeu­tet mir, dass wir auf­ein­an­der zugehn mit erho­be­ner Hand! Sodass mir sein Hand­tel­ler zuge­wie­sen ist und ich sofort kapier und mei­ner­seits den mei­nen auf den sei­nen haue, dass es klatscht. Mit mir hat zuvor das noch nie­mand getan.

Ich sehe Ruth Link beim Malen mit Ölkreide zu. Ihre Bil­der kenne ich schon von Post­kar­ten; es sind dort immer Schafe dar­auf. Eigent­lich könnte es auch Horn­vieh sein. Aber die »Hörner« sind so rund­lich gebo­gen wie Hörner eigent­lich nicht sind, eher wie gelockt. Also sind es Locken – also sind es Schafe. Heute aber ist eine Wasch­ma­schine das Thema. Gerade malt sie am Knopf zum Ein­stel­len der Pro­gramme, der in allen Far­ben ihrer Ölkrei­den leuch­tet. »Zum Dre­hen«, sage ich. Sie nickt. In ihrem blauen Arbeits­man­tel kann ich früher kannte, wie sie jen­seits allen Lärms der Mon­tage­bänder an ihren Tisch­chen saßen, Lied­chen sum­mend, und mit Hämmer­chen Zah­len und Buch­sta­ben in die Typen­schild­chen schlu­gen für z.B. Elek­tro­motörchen. Sie malt, in sich ver­sun­ken, kon­zen­triert; es stört sie nicht, dass ich ihr still zuschau und keine Fra­gen stelle, dafür stellt sie hin und wie­der eine kluge nach mei­nem Woher und Warum, und später, nach­mit­tags, ist es dann ein­fa­cher Aus­kunft zu geben – über das, was man zu Mit­tag gehabt hatte. Sie, Lin­sen mit Spätzle, und da es bei mir Kässpätzle waren, haben wir sogar eine Art von unver­hoff­ter Oberländer Ver­bun­den­heit mit­ein­an­der.

Inge Nold mag sich nicht so zuschauen las­sen, jeden­falls nicht über die Schul­ter. Davon werd ich unsi­cher und schnell hilf­los. Und man muss die Situa­tion ret­ten. Inge Nold wird mir ein Buch zei­gen. Es ist ein Buch vom Nach­hau­se­ge­hen. Fünf Jahre lang hat sie daran geschrie­ben und gemalt. Es ist auch ein Buch vom Glücklich­sein: »Mama, Papa, Sohn und Toch­ter/ Alle 4 sind glücklich.« Auf das Blatt sind die vier hin­ge­malt. Es ist ein dickes Buch, in dem es sich immer wie­der ums Spa­zie­ren, Kaf­fee­trin­ken und ums Nach­hau­se­ge­hen dreht. Alle wer­den gezählt, beschrie­ben und hin­ge­malt. Vater, Mut­ter, Geschwis­ter, sogar Tiere. Aber da sind auch gemalte Tage­bucheinträge: »Ich male sehr gerne, am liebs­ten wenn die Sonne scheint. (Inge Nold.)« – »Ich bin eine Frau in den bes­ten Jah­ren und nicht mehr krank.« – »Was ich mag? – Hier blei­ben, bald gibt es Kaf­fee mit Zucker und Milch!« Wohin wir gehen? In Inge Nolds Bil­der­ge­schich­ten ist diese alte Frage wie­der und wie­der ver­zeich­net und auch die Ant­wort kommt so, wie´s keine andere dar­auf könnte geben: Immer nach Haus.

Eine Skulp­tur aus Papp­ma­schee wird ange­malt. Die Skulp­tu­renkünst­le­rin, die Arme in die Hüften gestemmt, nimmt Maß. Dann macht sie den gan­zen Kopf wein­rot. Dahin­ter Gin­dele (Karl Gin­dele!, des­sen Bil­der weit­herum im Land zu sehen sind). Was hat er mit sei­nem schönen Bild gemacht, das sich erneut verändert hat? Er verändert ständig For­men und Far­ben, über­pin­selt inbrünstig, so sehr, dass sein schma­ler Körper sich biegt. Ich denke, er ändert so lange, bis alles weg ist, was mir gefal­len hat.

Ralf Cies­lik – der junge Mann als Künst­ler mit rotem Cap, weißem Over­all und Son­nen­brille hat die Bil­der, die in rascher Folge von ihm fast schon hin­ge­wor­fen wor­den waren, um sich herum gebaut. Sie zei­gen an die­sem Tag immer das­selbe, mal mit Son­nen­strah­len, mal ohne Sonne: ein Haus. Seine Gebärde ist leicht verständlich; er stellt die Fin­ger­spit­zen gegen­ein­an­der, dass sie ein Dach erge­ben. Ich sage: Haus. Da lacht er und macht das Vic­tory-Zei­chen!

Ich möcht wie­der­kom­men.