Expertentipp
Dezember 2018
Ulla Krüger, 63, ist Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin. Seit fast 30 Jahren arbeitet sie in der Behindertenhilfe der Zieglerschen und begleitet Menschen mit Behinderung in emotionalen Situationen.
Text: Annette Scherer
Frau Krüger, wie definieren Sie als Psychologin den Begriff Heimat?
Heimat ist für die meisten Menschen der Ort, wo sie herkommen und geboren wurden. Heimat muss aber nicht zwangsläufig ein Ort sein. Es kann auch etwas anderes sein, was emotional besetzt ist. Zum Beispiel Menschen, zu denen man in jungen Jahren immer kommen konnte. Oder auch ein Lieblingsessen. Im Unterschied zur Heimat ist ein Zuhause übrigens etwas, das man selber gestalten kann: eine Wohnung oder ein Haus mit entsprechender Einrichtung und Mitbewohnern. Ganz wichtig, um sich heimisch zu fühlen, ist die Sprache. Wer die Sprache nicht versteht, kann sich nicht mitteilen und bekommt nichts mit. Man bleibt in einer gewissen Anspannung, was die Beheimatung behindert.
Kann für Menschen mit Behinderung ihr eigenes Zimmer, zum Beispiel in einer Wohngruppe der Zieglerschen, zur Heimat werden?
Für Menschen mit Behinderung ist Heimat meist der Ort, wo ihre Eltern sind. Egal, wie alt sie sind. Wenn sie sagen: »I gang hoim«, dann ist fast immer die Fahrt ins Elternhaus gemeint. Aber natürlich können wir ihnen dabei helfen, bei uns ihre Heimat beziehungsweise ein Zuhause zu finden. Sehr hilfreich ist eine gewisse Kontinuität bei den Mitarbeitern – das sind ganz wichtige Bezugspersonen, um sich sicher und geborgen zu fühlen. Auch eigene Sachen ins neue Zuhause mitnehmen zu können, ist sehr wichtig.
Wie gehen Menschen mit Behinderung mit Umzügen um?
Meistens besser als befürchtet. Sie sind es gewohnt, sich anzupassen und sich mit wechselnden Bedingungen zurechtzufinden. Und sie sind neugierig. Wichtig ist es, sie wo immer möglich an den Prozessen zu beteiligen, also bei Neubauten hinzufahren und das Grundstück sowie den Baufortschritt zu zeigen. Es ist immer gut, wenn Menschen emotional mitwachsen können. Etwas schwieriger wird es, wenn das Haus schon besteht und ein Neuer dazukommt. Aber das klappt dank der Kompetenz meiner Kolleginnen und Kollegen meist auch ganz gut. Wenn möglich, sollte man nicht gleichzeitig Wohn- und Arbeitsort wechseln. Das versuchen wir zu beachten.
Tipp
Für unsere Klienten ist besonders der Sprachraum von großer Bedeutung. Wer gebärdet, braucht Menschen, die ebenfalls gebärden. Sonst verlieren die Menschen ihre Sprache. Angebote wie etwa die Gebärdenschilder beim Einkaufen in Wilhelmsdorf helfen, dass unsere Klienten sich angenommen fühlen.