»Ich war schon wirklich ein Revoluzzer«

Porträt

»Ich war schon wirklich ein Revoluzzer«

Olaf Meister

Porträt

Dezember 2015

Heimkind in der DDR, politischer Häftling, freigekauft von der BRD, mit 18 in den Westen gekommen. Alkoholprobleme, mit Ende dreißig ein Selbstmordversuch und ein beinahe tödlicher Unfall: Olaf Meister hat viel durchgemacht. Seit seiner Therapie in der Suchtfachklinik Ringgenhof lebt er abstinent und arbeitet heute im Facility Management der Zieglerschen. Das Porträt.

Text: Sarah Benkißer

»Olaf Meis­ter ist ein ele­gant geklei­de­ter, schmal gebau­ter Mann. In sei­ner Woh­nung fällt als ers­tes das Aqua­rium mit den großen Gold­fi­schen ins Auge: »Denen zuzu­gu­cken beru­higt mich total«, sagt der 49-Jährige. Ruhig ist Olaf Meis­ters Leben in der Tat nicht ver­lau­fen. Wenn er erzählt, tun sich die Abgründe des DDR-Regi­mes auf. Doch es ist keine Geschichts­stunde, son­dern sein ganz persönli­ches Schick­sal.

Auf­ge­wach­sen ist Olaf Meis­ter in der ehe­ma­li­gen DDR vor allem in Hei­men. »Meine Mut­ter wollte mich nicht«, erzählt er. Mit ihr hat er bis heute kei­nen Kon­takt mehr. Der Vater? »An einem 20. Dezem­ber ist er von der Stasi abge­holt wor­den. Am 21. Dezem­ber soll er eines natürli­chen Todes gestor­ben sein«, berich­tet Olaf Meis­ter mit Bit­ter­keit in der Stimme. Die Akte sei­nes Vaters hat er bis heute nicht ein­se­hen dürfen – aus Daten­schutzgründen. »Das hat mich kaputt gemacht«, sagt er.

An seine Zeit in ver­schie­de­nen Hei­men hat Olaf Meis­ter keine guten Erin­ne­run­gen: »In Leip­zig war’s am schlimms­ten. Das ein­zige, was mich im Heim auf­recht erhal­ten hat, war Hass.« Unter den Spätfol­gen der vom Jugend­werk­hof fest­ge­leg­ten Mau­rer­lehre, die Olaf Meis­ter mit 14 begin­nen muss, lei­det er heute noch: »Ich habe eine Fehl­stel­lung der Wir­belsäule«, erzählt er. »Ich war extrem schmal und klein. Ich hätte nie­mals so schwer tra­gen dürfen.« Wenig ver­wun­der­lich also, dass Olaf Meis­ter dem DDR-Regime kri­tisch gegenüber steht – zuerst aber nur inner­lich. Nach außen hin durchläuft er die klas­si­schen Sta­tio­nen einer mus­tergülti­gen DDR-Kind­heit: Bei den Pio­nie­ren ist er Grup­pen­lei­ter, in der GST [Gesell­schaft für Sport und Tech­nik, eine Orga­ni­sa­tion, die Jugend­li­che auf den Dienst in der Armee vor­be­rei­tete; Anm. d. Red.] bringt er es zum Bri­ga­de­lei­ter. »Aber ich habe immer anders gedacht«, sagt er. »Das wurde mir irgend­wann zum Verhängnis.«

Als Jugend­li­cher fängt Olaf Meis­ter an, öffent­lich zu rebel­lie­ren. Auf dem Markt­platz spielt er laut sys­tem­kri­ti­sche Musik ab. Mit 17 stellt er einen Aus­rei­se­an­trag, der abge­lehnt wird. In sei­nem Ärger schreibt er einen Brief, adres­siert an Erich Hone­cker. Zwei Tage später nimmt ihn die Stasi fest. Nach einem hal­ben Jahr in Unter­su­chungs­haft wird er wegen »öffent­li­cher Her­abwürdi­gung« zu 14 Mona­ten Haft ver­ur­teilt. Zehn Monate sitzt er ab, dann über­gibt ihn die DDR an die Bun­des­re­pu­blik im Rah­men des inof­fi­zi­el­len Frei­kaufs poli­ti­scher Häftlinge. Knapp 34.000 poli­ti­sche Gefan­gene kauft die BRD zwi­schen 1963 und 1989 aus den DDR-Gefängnis­sen frei. Olaf Meis­ter ist einer von ihnen. »94.640 D-Mark wur­den für mich bezahlt«, erzählt er. Olaf Meis­ter kommt nach Stutt­gart, wo er – mit zwei Jah­ren Unter­bre­chung, die er in West­ber­lin ver­bringt, um den Wehr­dienst zu umge­hen – bleibt, bis zwei ein­schnei­dende Erleb­nisse sein Leben für immer verändern.

»Das mit dem Alko­hol hat mit 16 auf dem Bau ange­fan­gen. Mit Bier. Schnaps oder Wein mochte ich vom Geruch her nicht«, erzählt Olaf Meis­ter. Rich­tig schlimm gewor­den sei es dann, als er in Stutt­gart ankam. Der Tod sei­nes Vater, die Erin­ne­run­gen ans Heim, alles wird ihm zuviel. »Ich habe mit nie­man­dem darüber gespro­chen, das war mir viel zu pein­lich«, gesteht er. Er fin­det Arbeit, unter ande­rem in der Gastro­no­mie. Die Che­fin weiß, dass er trinkt, sagt aber nichts. Er ent­wi­ckelt eine Stra­te­gie, wie er im All­tag mit sei­ner Sucht funk­tio­nie­ren kann: »Ich habe immer 14 Tage lang getrun­ken und dann wie­der 14 Tage gar nicht.« Bis zu sei­nem 39. Lebens­jahr zieht sich das so hin. Er trinkt zehn Fla­schen Bier am Tag und kon­su­miert zusätzlich noch am Arbeits­platz. »Irgend­wann habe ich den Sauf­druck nicht mehr aus­ge­hal­ten und wollte vor die S-Bahn sprin­gen«, berich­tet Olaf Meis­ter mit ruhi­ger Stimme. Zwei Passan­ten hal­ten ihn fest. Drei Wochen später schläft er betrun­ken mit einer bren­nen­den Ziga­rette in der Hand ein. »Als ich wie­der auf­wachte, war die ganze Woh­nung voll Rauch. Am 20.01.2006 habe ich dann auf­gehört mit Trin­ken.«

Olaf Meis­ter ent­schei­det sich für eine The­ra­pie. Eine Bera­tungs­stelle ver­mit­telt ihn nach Wil­helms­dorf auf den Ring­gen­hof der Zieg­ler­schen. »Als Pati­ent war ich extrem schwie­rig«, erin­nert sich Olaf Meis­ter. »Ich hab mich gegen alles gestellt. Kein Sport, keine Arbeits­the­ra­pie. Ich habe an nichts teil­ge­nom­men außer an mei­nen Grup­pen- und Ein­zel­ge­sprächen. Ich war schon ein Revo­luz­zer.« Dass er seine The­ra­pie trotz­dem erfolg­reich been­det, ist für ihn auch das Ver­dienst sei­ner Bezugs­the­ra­peu­tin. »Ich habe ihr zu ver­dan­ken, dass sie mich nicht hat fal­len las­sen«, sagt er. Nach der The­ra­pie sucht Olaf Meis­ter sich eine Woh­nung in der Umge­bung, ein Zurück nach Stutt­gart kommt für ihn nicht infrage. Arbeit fin­det er auch – im Faci­lity Mana­ge­ment der Zieg­ler­schen: Er kümmert sich um die Grünflächen auf dem Ring­gen­hof. Seit fast zehn Jah­ren lebt Olaf Meis­ter absti­nent. Zu den Mit­ar­bei­tern des Ring­gen­hofs hat er einen guten Draht. »Wenn die mich heute sehen, sind die schon echt stolz auf mich, weil es kei­ner erwar­tet hätte – ich ja auch nicht«, erzählt Olaf Meis­ter lächelnd. Sein Fazit: »Ich hab’s geschafft. Ich hab mei­nen Weg gemacht. Gut ist.«