Der glückliche Löwe

Porträt

Der glückliche Löwe

Werner Baur

Porträt

September 2021

Seit zehn Jahren ist Werner Baur Aufsichtsratsvorsitzender der Zieglerschen. Der frühere Hauptschullehrer hat das Unternehmen durch wilde Wasser gesteuert  – und das neben einem fordernden Hauptamt als Oberkirchenrat. »Es gab Zeiten, da habe ich gebangt und gelitten«, gesteht der heute 69-Jährige. Doch die Dankbarkeit, »staunend Einblicke in die Schätze der Zieglerschen erhalten zu haben«, wiegt schwerer. Das Porträt.

Text: Petra Hennicke

»Irgend­wie hat man mir immer Auf­ga­ben zuge­traut«, sagt Wer­ner Baur nach­denk­lich, wenn man ihn nach den Sta­tio­nen sei­nes Berufs­le­bens befragt. Mehr als ein­mal fällt die­ser Satz, so oder ähnlich. Wer­ner Baur, 69, weiß um die Macht der Worte. Selbst­dar­stel­lung ist ihm unan­ge­nehm, Beschei­den­heit ist ihm wich­tig. Des­halb muss man für sich selbst ergänzen: »Es wird schon Gründe gehabt haben, dass ... «

Verant­wor­tungs­be­wusst­sein, Enga­ge­ment, Fleiß, Verlässlich­keit, die Werte des christ­li­chen Glau­bens – das könnten diese Gründe sein. Eigen­schaf­ten, die Wer­ner Baur, gebo­ren 1952 in Mössin­gen-Bel­sen, quasi in die Wiege gelegt wur­den. Aber auch unter­neh­me­ri­sches Den­ken und Begeis­te­rung für die Kunst. Nicht eben selbst­verständlich für ein klei­nes Dorf am Fuß der Schwäbischen Alb. Wer­ner Baurs Großvater ist Land­wirt, der Vater Kauf­mann und für die Finan­zen der Tex­til­druck­firma Pausa in Mössin­gen zuständig. Pausa ist damals welt­berühmt, pro­du­ziert hoch­wer­tige Deko­stoffe. Bis heute legendär sind die »Künst­ler­stoffe« nach Entwürfen von Willi Bau­meis­ter, HAP Gries­ha­ber oder Andreas Fel­ger, einem Ver­wand­ten der Baurs. Es muss der Geist der wei­ten Welt gewe­sen sein, der damals durchs Eltern­haus der Fami­lie wehte – geer­det durch die großelter­li­che Land­wirt­schaft.

Wer­ner Baur soll in die Fußstap­fen des Vaters tre­ten und Betriebs­wirt­schaft stu­die­ren. Doch die evan­ge­li­sche Jugend­ar­beit, für die er sich begeis­tert enga­giert, hat Spu­ren hin­ter­las­sen. Als er kurz vorm Stu­dium eine ehe­ma­lige Leh­re­rin trifft, sagt diese: »Du wärst aber auch ein guter Leh­rer gewor­den«. Der Satz lässt ihn nicht mehr los. Sch­ließlich wirft Wer­ner Baur alle Pläne über den Hau­fen und stu­diert Pädago­gik. Und Theo­lo­gie. Und Tech­nik. Und noch Phy­sik. Wow! Sein Berufs­le­ben beginnt er als Leh­rer an einer Haupt­schule bei Her­ren­berg. Eine Zeit, die ihn mit ande­ren Milieus und Pro­ble­men kon­fron­tiert, eine Zeit, in der er ganz und gar Pädagoge ist. Zehn Jahre bleibt er an der Schule, über­nimmt zusätzlich Auf­ga­ben in der Leh­rer­aus­bil­dung, wird später Rek­tor. Dann wech­selt er ins Ober­schul­amt. 1998 beruft man ihn zum Ober­kir­chen­rat bei der Lan­des­kir­che, er ist dort für Bil­dung zuständig. Und da ist er wie­der, der Satz: »Man hat mir immer Auf­ga­ben zuge­traut.«

2008 wird Ober­kir­chen­rat Baur in den zehnköpfi­gen Auf­sichts­rat der Zieg­ler­schen gewählt. Eines von vie­len Gre­mien, in dem man seine Mei­nung schätzt. Bald muss für den erkrank­ten Auf­sichts­rats­vor­sit­zen­den ein Nach­fol­ger gesucht wer­den. Wie­der trägt man Wer­ner Baur eine Auf­gabe an. »Ich hab sehr mit mir gerun­gen. Kann ich das leis­ten? Voll im Beruf und so weit weg von Wil­helms­dorf?« Am Ende siegt das Verant­wor­tungs­be­wusst­sein. Seit 2011 ist er im Amt.

»Bei Son­nen­schein ist es ganz nett, Auf­sichts­rat zu sein«, sagt Wer­ner Baur heute. »Aber wenn ein Unter­neh­men in Kri­sen gerät, dann wird es her­aus­for­dernd.« Die Zieg­ler­schen gera­ten in eine Krise. Eine Reor­ga­ni­sa­tion bringt Unruhe und Unsi­cher­heit ins Unter­neh­men. Wer­ner Baur ist gefor­dert. Er muss Präsenz zei­gen, aber »bin ich so nah dran, dass ich der Auf­gabe gerecht wer­den kann?« Mona­te­lang tele­fo­niert er mor­gens vor der Arbeit mit den Zieg­ler­schen. Woche­n­en­den ver­bringt er mit Work­shops, Tref­fen, Gesprächen, man­che bei ihm zu Hause. Er wird immer ver­trau­ter mit dem Unter­neh­men, erhält »stau­nend Ein­bli­cke in die Schätze der Zieg­ler­schen«. Und posi­tio­niert sich, beglei­tet, führt. Heute sind die Tur­bu­len­zen bei den Zieg­ler­schen über­wun­den. Wer­ner Baur ist froh darum.

Den­noch fiel eine »enorme Last« von ihm ab, als er in den Ruhe­stand ging. »Es gab Zei­ten, da habe ich gebangt und gelit­ten«, gesteht er heute. Ehe­frau Andrea, mit der er 44 Jahre ver­hei­ra­tet ist, die drei Kin­der, sie kamen manch­mal zu kurz: »20 Jahre hab ich im Grunde nur zu Hause geschla­fen«. Heute steht die Fami­lie wie­der im Mit­tel­punkt. Die Toch­ter hat nebenan gebaut, er hat sechs Enkel. Wer­ner Baur trifft in Mössin­gen Freunde, Bekannte, ist ehren­amt­lich enga­giert. Für ein Nach­bar­schafts­hilfe-Netz­werk etwa und nach wie vor für die Zieg­ler­schen im Auf­sichts­rat. Zum Abschluss gefragt, als wel­ches Tier er sich sähe, über­legt Wer­ner Baur kurz: »Ein Löwe. Mit­ten im Rudel, gelas­sen, präsent und zupa­ckend, wenn nötig.« Und dann fällt ihm noch ein Bil­der­buch aus Kin­der­ta­gen dazu ein: »Der glückli­che Löwe«.