Angedachtes_von

Stefan Geiger

Mal ehrlich: Mich macht Weihnachten kirre. Was machen wir da? Was stimmt da nicht? – Gedanken von Stefan Geiger, Therapeut und Seelsorger in unserer Jugendhilfe.

Angedachtes

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Stefan Geiger

Mal ehrlich: Mich macht Weihnachten kirre. Was machen wir da? Was stimmt da nicht? – Gedanken von Stefan Geiger, Therapeut und Seelsorger in unserer Jugendhilfe.

Angedachtes

Dezember 2015

Fröhliche Weihnachten?

Text: Stefan Geiger

Ich habe lange über­legt, wie ich diese Andacht gestal­ten soll. Jetzt weiß ich es: ich will ein­fach ehr­lich sein. Früher habe ich Besin­nun­gen gerne gemacht. Es hat mir Spaß gemacht, etwas vor­zu­be­rei­ten, mir Gedan­ken zu machen. Das hat sich geändert, es fällt mir von Mal zu Mal schwe­rer. Warum?

»Fröhli­che Weih­nach­ten« bekommt man über­all zu hören. Doch was heißt hier »fröhlich«? Noch bevor Weih­nach­ten ist, wird es einem schon ver­saut. So kommt es mir vor. Da brüllt es Weih­nachts­lie­der aus allen Ecken der Kaufhäuser, da herrscht ein Kauf- und Schenk­zwang: »Was soll ich nur dem und jenem schen­ken?« Da wird die »besinn­li­che« Zeit zur hek­tischs­ten des Jah­res. Von Weih­nachts­s­tim­mung keine Spur. Die Weih­nachtsmärkte sind kom­mer­zi­ell, es geht nur ums liebe Geld. Was hat das noch mit Weih­nach­ten zu tun? Nichts – aber wir haben uns schein­bar daran gewöhnt.

Dann: Es soll Har­mo­nie herr­schen. Welch ein Quatsch! Das ist doch ein­fach nicht wahr: Am Hei­li­gen Abend gibt es die höchste Selbst­mor­drate der 13- bis 18-Jähri­gen in Deutsch­land. Am Hei­li­gen Abend kracht es in unzähli­gen Fami­lien, der Streit ist vor­pro­gram­miert.

Fröhli­che Weih­nach­ten. Letz­tes Jahr war ich in einer der drei Kli­ni­ken, in deren Ambu­lan­zen ich arbeite. Da wurde ich in die Onko­lo­gie geru­fen. Dort lag ein 11-Jähri­ger, der vor eini­gen Wochen ein­fach ohnmächtig zusam­men­ge­bro­chen war. Dia­gnose: ein großer, sehr aggres­si­ver Hirn­tu­mor und über­all Meta­sta­sen im Körper. Er kann sich nicht mehr bewe­gen, nicht mehr reden, muss beat­met wer­den. Seit dem Tag davor weiß er, was Sache ist: Die­ses Weih­nach­ten ist sein letz­tes. Das nächste Weih­nach­ten wird er nicht mehr erle­ben. Fröhli­che Weih­nach­ten? Er ist kurz danach ent­las­sen wor­den – in ein Kin­der­hos­piz. Mich hat das mit­ge­nom­men: Wie soll so ein Junge Weih­nach­ten »fei­ern«?

Ich will Weih­nach­ten nicht schlecht reden. Aber ich will auch nicht oberflächlich so tun, als wäre es die heile Welt. Mich macht Weih­nach­ten kirre. Was machen wir da? Was stimmt da nicht? Und wenn ich so darüber nach­denke, stelle ich fest: Die­ses Kirre-Sein, das spie­gelt die Zeit damals, als Jesus gebo­ren wurde, auch wider.

Das war keine Zeit mit Glanz und Glo­ria. Jesus wurde ärmlich in einem pri­mi­ti­ven Stall gebo­ren. Nie­mand hat Notiz davon genom­men, außer den komi­schen, von der Gesell­schaft abge­stem­pel­ten Hir­ten. Alles war im Umbruch und nichts nor­mal. Und die­ser Typ, genannt der Mes­sias, kümmerte sich aus­ge­rech­net um die, die abge­lehnt wur­den, die nie­mand haben wollte, die nicht in die Gesell­schaft pass­ten. Und nicht um die Super­from­men, die Spießer, die Beden­kenträger. Komisch. Hat die Geschichte Jesu viel­leicht doch mehr mit uns zu tun, als uns lieb ist?